Bis 1876 stand die Polizeistation auf dem Marktplatz

Von der Stadtwache zur Kleinkinderschule / Abgetragen und am Krähengraben wieder aufgebaut

Auf dem Marktplatz stand früher an der Ostseite der Marktkirche die Stadtwache oder Scharwache – die alte Einbecker Polizeistation. Als die Stadtverwaltung den Platz für das Denkmal von 1870/71 benötigte, wurde das Haus abgetragen und am Krähengraben wieder aufgebaut. Auch das Denkmal wurde später abgebaut – heute steht an dieser Stelle der Eulenspiegelbrunnen.

Einbeck. Auf dem Stadtplan des Ernest Eberhard Braun aus dem Jahre 1728 ist sie als »die Haupt Wachte« eingezeichnet. Zu dieser Zeit war die Marktkirche im Norden, Süden und Osten noch vom alten Friedhof umgeben. Wann das Gebäude erbaut wurde ist unklar. Einbeck hatte im 30jährigen Krieg viele Häuser und Einwohner verloren. Der Wiederaufbau setzte erst ab 1670 ein. Bis 1750 wurden 160 neue Häuser gebaut. Die Einwohnerzahl stieg von 3700 auf 5000. »Als dann durch die kräftige Unterstützung der Regierung wieder gebaut wurde, konnte das nur auf das einfachste und billigste geschehen. Meist wurden nur zweigeschossige Gebäude errichtet«. In diese Zeit dürfte man den Bau der Einbecker Hauptwache legen. Dem widerspricht allerdings ein Plan aus dem Jahr 1641, auf dem die Lage des Gebäudes genau eingezeichnet ist. Die Maße des Gebäudes sind in den Katastern des 19. Jahrhunderts eingezeichnet. Die Stadtwache hatte die Maße von 14,25 Meter mal 8 Meter.

1757 – zu Beginn des siebenjährigen Krieges – gehörte die Stadtwache zu den sechs Bürger-Compagnien und war einem Leutnant Schacht unterstellt. Für die Zeit um 1770 sind die Einbecker Polizisten und ihre Gehälter überliefert: Stadtwachtmeister Brandmann verdiente 24 Reichstaler im Jahr, der »Stockmeister« Kleinpeter bekam die Hälfte und die »Executoren« Hautop und Müller erhielten jeweils ein Sechstel des Gehaltes ihres Vorgesetzten.

1813 wurde die Stadtwache während der Befreiung von der napoleonischen Herrschaft gestürmt. 80 Einbecker Bürger, sowohl »französisch Gesinnte und Hannoveraner« versorgten sich mit Waffen. Glücklicherweise kam es aber nicht zu Schießereien zwischen den Einbeckern.

Bis zum Jahre 1866 gingen die Einbecker Ordnungshüter von hier aus auf Streife. Zu dieser Zeit war das Königreich Hannover, zu dem die Stadt Einbeck gehörte, an drei Seiten von Preußen umgeben. Deren eiserner Kanzler, der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck, führte eine konsequente Expansionspolitik. Bei einem Gebietskonflikt um Österreich stellte er dem hannoverschen König ein Ultimatum: Hannover sollte sich Preußen anschließen. König Georg lehnte ab und es kam zum Krieg. Die einzige Schlacht in diesem Konflikt wurde zwar von den Hannoveranern gewonnen, aber angesichts der preußischen Übermacht musste Hannover kapitulieren. Die neue Regierung hatte kein Interesse mehr an der Stadtwache auf dem Marktplatz. Das Gebäude bekam einen völlig neuen Zweck. Es wurde als »Kleinkinderschule« genutzt.

1876 musste die Stadtwache für das neue Ehrenmal für den Krieg 1870/71 weichen. Die Verwaltung der Stadt entschloss sich, das Haus abzutragen und an einer anderen Stelle wieder aufzubauen: Am 9. August 1876 schrieb das Kreisblatt für den Kreis Einbeck: »Die an dem hiesigen Markplatze befindliche, aus dem vorigen Jahrhundert stammende und in freundlichem Stile aufgeführte, seit 1866 unbenutzt stehende Hauptwache soll nach dem Beschlusse der städtischen Collegien vor dem Hullerserthore auf dem Walle neben dem freien Platze der höheren Bürgerschule wieder aufgebaut werden, wenn auch in etwas anderer Gestalt. Der Marktplatz macht nach Wegräumung des Gebäudes einen um so großartigeren, schönern Eindruck«. Das Haus wurde in seine Einzelteile zerlegt und am Krähengraben Nr. 1 wieder zusammengesetzt.

Wer das alte Haus an neuem Platz zuerst bewohnte, ist unklar. Das Adressbuch von 1888 gibt keine Auskunft darüber. 1899 lebten hier der Stadtbauführer Heinrich Hellberg und der prominente Einbecker Geschichtsforscher Professor Dr. Otto Adolf Ellissen mit »Fräulein« Ottilie Ellissen. Als sich 1895 der »Verein für Geschichte und Alterthümer der Stadt Einbeck und Umgebung« – der spätere Geschichtsverein gründete, wurde Otto Ellissen zum 1. Vorsitzenden gewählt. Als man um 1900 den inneren Stadtgraben auffüllte, wurde dem Haus gegenüber unmittelbar vor dem Storchenturm ein Tennisplatz angelegt. 1911 ist ein »Kreisausschußsekretär Rindfleisch« als Bewohner eingetragen. 1930 lebte der Wegemeister Karl Barkschat mit seiner Familie im Haus, Eigentümer des Gebäudes war Hugo Rindfleisch. Um 1935 ging das Gebäude an die »Weberei Salzmann und Comp. – Mechanische Segeltuch, Drell- u. Leinen-Webereien Imprägnier-Anstalten u. Färberei«. Die Fabrik stand dort, wo sich heute das Terrassenhaus am Tiedexer Tor befindet. 1939 trat der Einbecker Willi Bode in Verkaufsverhandlungen mit dem Fabrikbesitzer H.-G. Salzmann. Der Schriftverkehr ist heute noch erhalten. Daraus ist zu ersehen, dass die Weberei das Haus für 12.000 Reichsmark erworben hatte und danach »gut RM 2.000 Instandsetzungskosten angewandt« hatte. Willi Bode konnte das Gebäude mit Grundstück für 10.500 Reichsmark erwerben und bezog das Haus mit seiner Frau Else. Dann begann der Zweite Weltkrieg. Bode wurde Soldat – er fiel im April 1945. Im gleichen Monat wurde Einbeck besetzt. Beim Einmarsch der amerikanischen Truppen wurden die Mannschaften im Gebäude der heutigen Kreisvolkshochschule untergebracht. Ein amerikanische Panzerspähwagen fuhr von der alten B 3 kommend, durch den Zaun bis vor das Haus. Else Bode musste mit ihren Kindern Horst und Elli das Haus innerhalb von zwei Stunden verlassen. Sie kamen bei der Großmutter in Hullersen unter. Die alte Stadtwache am Krähengraben wurde von amerikanischen Offizieren bezogen. Einige Zeit später konnten die Bodes in ihr Haus zurückkehren. 1946 zogen drei Flüchtlingsfamilien aus Schlesien mit in das Haus. In den 1950er Jahren wurde das Haus von Else Bode mit ihren Kindern, Frau Dora Pinther und dem Sattler Otto Stanek bewohnt.

Heute leben Horst und Maria Bode in der alten Stadtwache. Das Ehepaar kümmert sich liebevoll um Haus und Anwesen. Horst Bode ist in Einbeck als Sportler und Gästeführer stadtbekannt. Historische Funde aus Umbaumaßnahmen wurden von ihm sorgfältig archiviert: Handgeschmiedete Türschlösser, Nägel und zwei alte Säulensockel. Auch die alte Wetterfahne der Einbecker Hauptwache ist noch erhalten.wk