Der »Hundertjährige« begeisterte

Schauspieler präsentierten mit Spielfreude die bekannte Komödie in Einbeck

Die Komödie »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand«, aufgeführt vom Altonaer Theater und organisiert vom Einbeck Kulturring, begeisterte die Zuschauer im gut besuchten Wilhelm-Bendow-Theater. Der Roman von Jonas Jonasson wurde in der Insze­nierung von Regisseurin Eva Hosemann und Drehbuchautor Axel Schneider mit viel Humor, Situationskomik und schauspielerischem Talent aufgeführt.

Einbeck. Statt sich von seinen Mitbewohnern im Altenheim und den Honoratioren der Stadt feiern zu lassen, steigt zu Beginn des Stückes der 100-Jährige Allan Karlsson aus dem Fenster. Der Grund: Rebellion gegen die »Spaßbremsen« der Alteneinrichtung. Bei seiner »Flucht« hat er kein wirkliches Ziel, ist aber immer auf der Suche nach einem Schnäpschen – in Einbeck auch mal nach einem Glas Bier. Eine Haltung, die sein ganzes Leben prägt, denn viele Dispute der Welt, die wegen einer Nichtigkeit angefangen wurden, könnten mit einer Flasche Schnaps gelöst werden, ist er der Meinung. In Pantoffeln und mit wenig Geld gerät der 100-Jährige in eine skurrile Gaunergeschichte um einen Geldkoffer, die eine Mischung aus Kriminalkomödie, Schelmenstück und Roadmovie ist. So mancher Bösewicht bleibt dabei gewollt oder ungewollt auf der Strecke.

Auf dem Busbahnhof, dem »Tor zur weiten Welt«, kauft sich Allan mit seinem restlichen Geld ein Busticket. Dort bittet ihn ein junger Mann, auf sein Gepäck aufzupassen. Kurz entschlossen steigt Allan jedoch mit dem anvertrauten Rollkoffer in den Bus. Nach dem Ausstieg im Nirgendwo trifft er auf den siebzigjährigen Gelegenheitsdieb Julius Jonsson, mit dem er sich bei einer Flasche Schnaps und Elchfleischgulasch anfreundet. Beide öffnen den Koffer und sind über die Fundsache, 50 Millionen schwedische Kronen, überrascht. Nach dem Verschwinden seines Koffers hat der junge Mann vom Busbahnhof die Verfolgung aufgenommen und trifft auf die beiden Alten. Sie können ihn mit dem »Donnerbalken« überwältigen und stellen ihn dann im Kühlhaus »kalt«. In der Folge sind Polizei, Staatsanwaltschaft und die Rockerbande »Never again«, der der Geldkoffer gehört, dem naiven und listenreichen Hundertjährigen auf der Spur. Auf der Reise durch Schweden lernt Allan neben Julius ebenfalls den Langzeitstudenten und ehemaligen Imbissbudenbesitzer Benny Ljungberg, die einsam auf ihrem Hof lebende »schöne Frau« Gunilla Björklund samt Elefanten Sonja, Bennys Bruder Bosse, Per-Gunnar »Piranha« Gerdin, den Boss von »Never again«, und den Kommissar Göran Aronsson kennen. Während der gemeinsamen Tour gibt es einige Todesfälle, so dass schon von einem »Tattergreis als Mordmaschine« gesprochen wird. Zum Schluss vereinen sich die Weggefährten, »tischen« dem Staatsanwalt »biblische« Vorgänge auf und reisen nach Bali, um ihre 50 Millionen Kronen auszugeben.

Eingebunden in die Gruppenreise ist die Lebensgeschichte des Hundertjährigen. Der 1905 geborene Allan verlies mit neun Jahren die Schule, um sich in einer Nitroglyzerinfabrik zum anerkannten Sprengstoffexperten auszubilden. Nach einem Sprengunfall wird er in die Klinik eines wahnsinnigen Rassenbiologen eingewisen, in der es zur Zwangssterilisation kommt. Als er als »geheilt« gilt, nimmt er die Arbeit in der Sprengstofffabrik wieder auf.

Dort wird er von einem Revolutinär überredet, mit ihm im spanischen Bürgerkrieg zu kämpfen, der Beginn seiner vielfältigen Verstrickungen in die Weltgeschichte. Obwohl er von Politik nichts wissen will, gerät er wegen seiner sprengstofftechnischen Kompetenzen in verschiedene ideologische Lager. Er gilt sogar als Atomexperte. Ob beim Manhattan-Projekt, bei dem Harry Truman sein Freund wird, der Rettung von Jiang Qing, der zukünftigen Frau von Mao Zedong, in China, der Überquerung des Himalayas, dem Aufenthalt im Iran oder der Rückkehr nach Europa mit Winston Churchill, stets versteht er als bauernschlauer Pragmatiker, der gern dem Schnaps zuspricht (»Schnaps kann viel für die Völkerverständigung leisten«), zu bestehen. Irgendwie hat er immer das Gefühl, dass »ich auch das noch überleben kann.« Dies trifft auch bei der Atombombenentwicklung in Russland, obwohl er sich Stalins Zorn zuzieht und unter »Druck« steht, oder der Flucht nach Nordkorea mit Albert Einsteins vermeintlichem Halbruder Herbert Einstein zu. Nach 15 Jahre Urlaub auf Bali kehrt er schließlich über Paris nach als Senior nach Schweden zurück.

Mit viel Spielfreude präsentierte das Ensemble die Bühnenfassung des Romans von Jonas Jonasson. Auf das Wesentliche reduziert, schafften es die Mitwirkenden immer wieder, die bekannte Geschichte mit viel Wortwitz und Situationskomik zu präsentieren.

Dazu trug bei, dass sich die Regisseurin Klischees – nicht nur schwedische – bediente: Botschaftsangehörige trugen blonde Perücken sowie blau-gelbe Outfitis, die Mitglieder der Rocker-Bande traten dümmlich, der Kommisar trottelig und der Staatsanwalt extrovertiert auf; dazu wurde ebenfalls die Pippi-Langstrumpf-Melodie gesummt.

Die Kulisse bildeten weiße Rahmen in verschiednenen Ebenen. Hineingeschoben wurden Stellwände, Holzpaneelen, Podeste, Kisten oder Tischkonstruktionen. Sie hatten Aufschriften wie «Tanne«, »Alter Bahnhof im Wald«, »Tischrückseite« oder »Donnerbalken«. Neben »Zeitsprüngen« gab ebenfalls ein beschriftetes Pappquadrat mit dem Titel »Das Fenster zum Hundertsten«, ein Kleiderwagen als Kühlhaus, ein Pappauto als Fortbewegungsmittel, eine mit Rocker-Beinen angetriebe Flucht-Draisine oder viele weitere skurrile Dekorationen und Bauten, die zum Schmunzeln anregten. Für ihre wandlungsfähigen und gekonnten Darbietungen erhielten die Schauspieler den verdienten Beifall. Die Zuschauer waren faszinert von der Aufführung der Komödie »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand«.mru