Die Stimme der Vernunft muss hörbar bleiben

Neujahrsempfang der Einbecker Freimaurerloge | 2015 war ein Jahr der Gegensätze | Wieder besonderes Konzert

Ein hochkarätiges, abwechslungsreiches Programm konnte der Meister vom Stuhl der Einbecker Freimaurerloge »Georg zu den drei Säulen«, Dr. Volker Bullwinkel, den Besuchern des Neujahrsempfangs ver - sprechen: Eingeladen waren Dr. Wolfgang Kreis, Redner der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland, sowie Clara Marlene Büchi und Franca Bröll, erfolgreiche Nachwuchsmusikerinnen, begleitet von Michael Schäfer am Klavier.

Einbeck. Der Empfang solle einstimmen auf das neue Jahr, die Möglichkeit schaffen, Bekanntschaften zu schließen und Rückschau zu halten. Beim Blick auf 2015 sei ihm Charles Dickens eingefallen, sagte Dr. Volker Bullwinkel: »Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten, es war das Zeitalter der Weisheit, es war das Zeitalter der Dummheit ...«, genau das treffe auf das vergangene Jahr zu. Es sei ein Jahr der Widersprüche, Gegensätze und Herausforderungen gewesen, ein schlimmes politisches Jahr mit Krisen und Nationalstaaterei. Ein Scheitern der EU scheine nicht mehr unrealistisch. Es sei aber auch ein Jahr der Solidarität gewesen, wenn man an »Je suis Charlie«, Platz 2 bei den »Wörtern des Jahres«, denke. Platz 1 ging an »Flüchtling«, Platz 3 an »Grexit «, »und das bildet ab, was uns bewegte.« Weitere Wortschöpfungen zeigten, wie Illusionen zerstört wurden, etwa »Schummel-WM« oder »Mogel- Motor«. Skepsis gegenüber sportlichen Großereignissen sei ebenso eine Folge wie der freie Fall des Volkswagen-Images.

Mit Germanwings-Absturz, Kita-Streik und NSA-Überwachung nannte er weitere Schlagworte, aber die Flüchtlingssituation sei das beherrschende Thema gewesen. 60 Millionen Menschen seien weltweit auf der Flucht, hunderttausende strebten nach Europa, in Deutschland seien mehr als eine Million Flüchtlinge angekommen. Das sei zwar eine große humanitäre Herausforderung, aber keine unlösbare Aufgabe. In Abwandlung des Merkel-Zitats sagte er: »Wir können es schaffen.« Davon sei er überzeugt. Was ihm Sorgen mache, sei die ideologische Vereinnahmung des Themas. Im vergangenen Jahr hätten rund 800 Unterkünfte gebrannt. Das spalte die Gesellschaft. »Die« Flüchtlinge seien keine homogene Gruppe, es gebe eine Vielzahl von Werten und Interessen. Gemeinsam hätten sie die Erfahrung der Flucht – mehr aber nicht. Und so müsse man es auch bewerten. Zwischen den Horden von der Kölner Silvesternacht und der Familie mit zwei traumatisierten kleinen Kindern gebe es keine Gemeinsamkeiten. Entsprechend dürfe man die Situation nicht mit Stammtischparolen bewerten, und man müsse Opfer und Täter klar benennen. Sowohl die verstörenden Bilder als auch die Menschenjagd seien inakzeptabel. »Wehret dem Unrecht, wo es sich zeigt, kehrt niemals der Not und dem Elend den Rücken «, damit werden Freimaurer am Ende ritueller Arbeiten entlassen. So rief Dr. Volker Bullwinkel dazu auf, Menschen nach ihren Taten zu beurteilen, damit die Stimme der Vernunft auch in der Eskalation hörbar bleibe. Dr. Wolfgang Kreis, Redner der Großloge, dem Dachverband, Kommunikationstrainer und Coach, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Frage »Moderne Freimaurerei: fast 300 Jahre und immer noch zeitgemäß?« Die Entstehung der Großlogen am Johannistag 1717 sei der Beginn der modernen Freimaurerei, führte er aus. Entstanden sind die Logen als Nachfolger der Steinmetzbruderschaften im 14. Jahrhundert. »Free mansion« wurden sie ab 1396 genannt, sie sorgten für Ordnung auf den kirchlichen Großbaustellen der damaligen Zeit. Nachdem die operative Arbeit der sogenannten spekulativen Freimaurerei zurück ging, stiegen die Mitgliederzahlen bei den modernen Freimaurern an. Übernommen wurden Rituale aus dem Baubereich, und arbeitete man früher am echten Stein, so wurde dies durch die Arbeit am »rauhen Stein«, am eigenen Charakter, abgelöst. Die Persönlichkeit weiterzuentwickeln, sich an Werten wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu orientieren, das wurde wichtig.

Durch Verschwiegenheit galten die Logen als Geheimgesellschaften. Der Zugang erfolgte über Prüfungen. Heute sei es einfacher, Öffentlichkeit herzustellen, wobei der Zutritt schwierig bleibe, denn die Logen würden sich nach wie vor als geschützter Raum sehen, in dem Diskussionen möglich sein sollten, ohne dafür zerrissen zu werden.

»Wer legt eigentlich fest, was politisch korrekt ist?«, fragte der Referent. Die Freiheit sei auch heute noch ein großes Thema, und die Brüder wollten ihre Meinung unzensiert äußern könne. »Laut denken mit dem Freunde« habe Lessing das genannt, und das könne man hier ungestraft tun. Für sein Handeln müsse jeder Verantwortung übernehmen, sich Grenzen setzen, um sich im Meer der Freiheit nicht zu verlieren. Wenn Toleranz und Humanität gefragt seien, sollten sich Freimaurer zu Wort melden. Die Aufforderung zum Handeln gehe an jeden Einzelnen bei der Unterstützung von Opfern von Krieg, Terror und Gewalt. Dazu zähle auch das schon vom Meister vom Stuhl genannte Engagement für Flüchtlinge. Die moderne Freimaurerei wurde gegründet in der Aufklärung zur Befreiung von Vorherrschaft von Kirche und Staat. Die Aufklärung sei noch nicht vorbei, mahnt er, und für die Ururenkel der damaligen Brüder sei es die Aufgabe heute, die Werte der Humanität weiter zu verwirklichen und zu festigen. »Wir bauen einen Tempel der Humanität mit gleichwertigen Ebenen: intellektuell, emotional und spirituell.«

Dazu zählten beispielsweise Vorträge, bei denen auch Gäste willkommen seien, fröhliche Fest und schließlich die Ebene, die man rational nicht erfassen könne mit Lehren, die Eingeweihten zugänglich seien. Die Idee, nach freimaurerischen Werten zu leben, sei noch immer aktuell; die Werte seien zeitlos, aber man müsse sie sich erarbeiten und einüben. Die Gedanken seien nicht exklusiv, Freimaurerei sei eine Möglichkeit, daran zu arbeiten. Jeder könne sich das suchen, was zu ihm passe, um die Welt etwas besser und humaner zu machen, Trennendes zu überwinden, Brücken zu bauen, am Schicksal anderer Anteil zu nehmen und Vorurteile nicht zuzulassen. Der Neujahrsempfang wurde traditionell abgerundet durch ein hervorragendes Konzert mit jungen Künstlern. Zu Gast waren Franca Bröll, Klarinette, aus Verden, und Clara Marlene Büchi, Querflöte, geboren in Göttingen. Beide sind 17 Jahre, Preisträgerinnen des Bundeswettbewerbs »Jugend musiziert« und Schülerinnen des Musikgymnasiums Schloss Belvedere, Hochbegabtenzentrum der Hochschule für Musik »Franz Liszt« Weimar. Auf dem Programm standen Werke von Johannes Brahms, Wolfgang Amadeus Mozart und Camille Saint-Saëns.

Begleitet wurden sie am Flügel von Michael Schäfer aus Göttingen. Begeisterter Beifall begleitete die Beiträge, und auf ungeteilte Zustimmung stieß schließlich auch der traditionell letzte Teil des freimaurerischen Neujahrsempfang: die selbstgemachte Kartoffelsuppe.ek