Neue Medien: Eltern und Kinder schulen sich gegenseitig

Mediennutzung von Jugendlichen / Vortrag im Paulinum / Orientierung, Anerkennung und Vertrauen helfen bei der Nutzung des Internets

Dass fast jeder Schüler in der fünften Klasse ein mobiles Telefon habe und nahezu alle Jungen und Mädchen im siebten Jahrgang täglich bei Facebook kommunizieren, stellte Ralf Willius bei seinem Vortrag »Jugendkulturelle Mediennutzung« im Paulinum der Paul-Gerhardt-Schule dar.

Dassel. In seinem Vortag erklärte Ralf Willius, dass die Jugendlichen mit den Medien wie Fernsehen und Internet aufwachsen, so dass diese nicht pauschal verboten werden sollten. Der Sozial- und Informationspädagoge ist Lehrbeauftragter an den Fachhochschulen in Hildesheim und Hannover. Als Mitarbeiter des Vereins zur Förderung von Medienkompetenz (»smiley«) führt er Veranstaltungen für Eltern, Lehrer und Schüler durch, um ihnen zu erklären, wie die Mediennutzungsgewohnheiten der Kinder und Jugendlichen sind und wie diese sich mit den Medien auseinandersetzen. Da schon ein nicht gesetzter Haken bei Facebook aus einer Privatparty eine öffentliche Straßenfeier mit mehr als 3.000 Menschen machen könne, sei die Medienkompetenz der Kinder wie auch die der Eltern sehr wichtig, so Willius.

Bei seinem Vortag konnten die anwesenden Besucher sich Karteikarten nehmen, die die für sie wichtigen Fragen widerspiegelten. Vor allem die Sicherheit im Netz, die Entspannung per Internet, die Anzahl der Freundschaften in sozialen Netzwerken oder die profanen Statusmeldungen wie »bin Einkaufen« oder »mir ist langweilig« beschäftigen die Eltern.

Erfrischend amüsant sowie mit praktischen Beispielen versehen, gab Willius den Zuhörern Tipps und Anregungen, wie die Jugend in Bezug auf die neuen Medien »tickt«. An Hand des fiktiven Jugendlichen »Max«, der 13 Jahre alt ist, führte er den Anwesenden überzeugend vor Augen, wie die Jugendlichen sich durch Neugier, Freiheitssuche, dem Wunsch nach Lob und Anerkennung, der Suche nach der eigenen Identität sowie dem Zugehörigkeitszwang zu sozialen Gemeinschaften, real oder virtuell, entwickeln und formen. Er erklärte, dass diese Bedürfnisse bekannt seien, da es die selben sind, die auch schon die Eltern und Großeltern beeinflusst hatten.
Während sich die Technik früher über einige Jahre entwickelt habe, wie beim Fernsehen oder beim CD-Spieler, verändere sich das Internet in so rasanter Geschwindigkeit, dass Eltern kaum Schritt halten könnten, so der Sozialpädagoge. Durch das Aufwachsen mit der Vielfältigkeit der Technik haben sich für die Jugendlichen zusätzliche Möglichkeiten ergeben, so dass viele Jungen und Mädchen Portale wie »Facebook« oder »Youtube« als mediale Grundversorgung ansehen, zu denen sie eine unreflektierte Sichtweise hätten. Der Drang und das Verlangen, die eigene Person in Kommentaren oder privaten Videos sowie Fotos öffentlich ins Netz zu stellen, sei der Wunsch nach Bestätigung sowie der Ansatz von jugendlichem Protest gegen die »veraltete« Welt der Erwachsenen und Eltern, erklärte Willius; »Smileys«, Instant Massenger, Statusmeldungen bei sozialen Netzwerken, DSDS, »Germany’s next Topmodel« und »Schlag den Raab« contra Nike-Schuhe, Bonanza-Rad, Scout-Ranzen, Game-Boy, Geha-Füller oder Fernseher mit nur drei Kanälen.

Er rät den Erziehungsberechtigten, ihren Kindern das Internet nicht generell zu verbieten, es aber auch nicht zu strikt zu reglementieren. Sie sollten eher Diskussionen zulassen, Interesse zeigen, sich Spiele oder Programme erklären lassen sowie sich selbst informieren oder sich von ihren Kindern schulen lassen. Dann könnten sie ihren Jungen oder Mädchen Orientierung im Netz bieten und ihnen erklären, was das Recht auf das eigene Bild sei oder was »Privatsphäre« bedeutet, im realen wie im virtuellen Leben.
Der Sozialpädagoge vertrat die These, dass ein Kind, das von seinen Eltern ausreichend Vertrauen, Lob, Aufmerksamkeit und Beachtung erhält, kein Video auf »Youtube« stellen braucht, um anerkannt und akzeptiert zu sein. Weiter stellte er dar, dass Jungen und Mädchen, die frühzeitig gelernt haben Verantwortung zu übernehmen, auch im Internet mit verlockenden Herausforderungen umgehen können. Diese Mechanismen greifen dann selbst bei virtuellen Spielen, deren positive Rückmeldungen die Nutzer oft über Stunden vor den Computern »fesseln« wollen und die ihnen »vorgauckeln«, dass Erfolg käuflich sei. Als Beispiel gab er Programme wie »FarmVille« oder »Wurzelimperium« an, bei denen durch finanzielle Investitionen schnell höhere Level erreicht werden können, so dass die Benutzer besser als ihre Freunde oder Mitspieler dastehen. Wenn die Jugendlichen anfangen, ihr Leben um ein Computer-Spiel herum zu planen, läge schon hohes Sucht-Potential vor, bei dem helfend eingegriffen werden müsse, mahnte Willius.

Abschließend stellte er dar, dass Kinder und Jugendliche während ihrer Wachstumsphase auch mal Fehler machen sollten oder »vom Baum fallen müssten«. Nur durch die Folgen des Handelns könnten sie lernen, selbst und eigenverantwortlich auf ihren eigenen Füßen zu stehen. Er betonte, dass diese Vorgehensweise auch für den Erwerb von Medienkompetenz gelte, da diese ebenfalls auf positive Verstärkung, Vertrauen, rücksichtsvollen Umgang, Übertragung von Verantwortung sowie lösungsorientiertem Handeln basiere.mru