Tiedexer Straße war Hauptstraße

Tidexen um 900 erwähnt | Häuser zwischen 1541 und 1549 erbaut | Hauptstraße bis 1775

Die Nordostseite der Tiedexer Straße ist die längste komplett erhaltene Häuserzeile aus der Zeit zwischen den grossen Stadtbränden von 1540 und 1549. Heute ist die Straße mit den vielen Zierschnitzereien und Hausinschriften das bedeutendste Denkmalensemble der Stadt.

Einbeck. Von den insgesamt etwa 400 Einbecker Fachwerkbauten stehen an der Nordseite der Tiedexer Straße in einer rund 250 Meter langen geschlossenen Zeile die Häuser Nr. 4 bis 46. Sie wurden ab 1541 in der so genannten »spätgotischen Fachwerkbauweise« errichtet und stellen eine der bekanntesten Einbecker Sehenswürdigkeiten dar. Es sind gleichzeitig die ältesten, aber wegen der über die ganze Straßenlänge verteilten Fächerrosetten auch die »modernsten« Häuser der Stadt. Die Schmuckform der Fächerrosette kam erst kurz bevor die Häuser gebaut wurden in Mode und wurde das am weitesten verbreitete Ornament der Weser-Renaissance.

Die Fachwerkschnitzereien waren damals der »letzte Schrei«. Ursprünglich entstammt die Fächerrosette der Steinarchitektur und geht auf das bekannte Muschelmotiv der Renaissance, beziehungsweise auf die Palmette der Romanik zurück. Das Motiv trat zuerst in den 1530er Jahren im östlichen Niedersachsen auf und breitete sich schnell aus. Möglich wurde diese Schnitzform, weil die Winkelstreben mit den Fachwerkständern ein geschlossenes Dreieck bildeten, auf deren Holzfläche die dekorative Ausschmückung vorgenommen werden konnte.

Benannt ist die Tiedexer Straße nach dem wüst gewordenen Dorf Tidexen. Der uralte Ort (erstmals erwähnt um das Jahr 900) hatte im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Schreibweisen, wie »Tidessen« »Thiddegeshus«, »Tyddegessen«, »Tyde- kenhusen«, »Thedekenhusen« und »Tidegise«. Das Dorf lag zwischen der Krummen-Wasser-Mühle und dem Johannis-Brunnen.

Im Jahr 1238 wird ein Dietrich von Tidexen als Zeuge in einer Urkunde des Herzogs Otto von Braunschweig erwähnt. Ritter Dietrich war auch dabei, als 1252 in einer Urkunde erstmalig ein Einbecker Stadtrat genannt wird. Die umliegenden Dörfer hatten im Gegensatz zur Stadt keine Befestigungsanlagen. Die Zeiten waren unsicher. Überfälle waren fast an der Tagesordnung – ob es sich dabei um klassische Räuberbanden, Raubritter oder Kriegszüge benachbarter Herzöge handelte, konnte den Bewohnern egal sein. Am Ende war immer das Dorf geplündert, in schlimmen Fällen steckten die Angreifer ganze Dörfer in Brand.

So kam es in der Stadt Einbeck am Ende des 13. Jahrhunderts zu einer größeren Zuwanderung. Tidexen war eines der größeren Dörfer in der Umgebung und lag sehr nah an der jungen Stadt. Immer mehr Tidexer zogen nach Einbeck. Tagsüber bewirtschafteten sie ihre Felder und Äcker rund um Tidexen und abends kehrten sie in die sicheren Mauern der Stadt zurück. Nach und nach zogen sie endgültig in die Stadt. Das Dorf Tidexen wurde aufgegeben und verlassen – Tidexen verschwand genauso wie Altendorf, Reinsen und Bensen – sie sind zu Wüstungen geworden.Jahrhunderte lang war die Tiedexer Straße die Einbecker Hauptstraße. Der gesamte Verkehr kam hier durch die Stadt. Erst als 1775 die neue Heerstraße von Hannover nach Göttingen fertig gestellt wurde, verlor die Tiedexer Straße an Bedeutung, weil der Weg nun nicht mehr vom alten Hubeweg nach dem Tiedexer Tor führte. Die Fachwerkhäuser aus der Wiederaufbauzeit von 1540 bis 1549 sind in der so genannten spätgotischen Knaggenbauweise erbaut. Dabei wurden die Häuser in einer Mischkonstruktion aus Geschossbau- und Fachwerkbauweise errichtet. Die Deckenbalken kragen über dem ersten Obergeschoss, von Knaggen gestützt, an der Straßenseite fast einen Meter vor. Wahrscheinlich hatten viele Häuser der Tiedexer Strasse (zum Beispiel Nr. 19 und 20a) einen Erker, wie zum Beispiel am heutigen Gildehof, dessen Erker über Eck gebaut wurde und den Blick auf Tiedexer Strasse, Pastorenstraße und Marktplatz ermöglichte.

Heute gibt es aus der Zeit bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges noch 159 Bürgerhäuser,50 von ihnen sind durch eine Inschrift datiert. Außer in der Tiedexer Strasse gibt es noch an der Nordseite des Marktplatzes, der Westseite der Marktstraße und an der Langen Brücke kleine Häusergruppen und Einzelbauten aus dieser Zeit.

Zum Ende des 16. Jahrhunderts gab es in Einbeck etwa 1200 Wohnhäuser, von denen fast zwei Drittel die Brauberechtigung besaßen.wk