»Zeit für mehr Solidarität«

Maikundgebung auf dem Möncheplatz | Hartmut Meine hält Mairede

Einbeck. Unter dem Motto »Zeit für mehr Solidarität« hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zu gewerkschaftlichen Demonstrationen und Maifeiern geladen. Zur traditionellen Kundgebung auf dem Einbecker Möncheplatz waren rund 250 Personen gekommen. Die Solidarität zwischen arbeitenden Menschen, Generationen, Starken und Schwachen, Bürgern und Flüchtlingen stand im Mittelpunkt als notwendiges Gegenprogramm zu Lohndumping, sozialen Kürzungen, Ausgrenzung und Hass.

Peter Zarske, stellvertretender DGB-Kreisvorsitzender freute sich über den hohen Zuspruch. Zusammen mit ihren Mitglieder setzen sich die  Gewerkschaften für Freiheit, Rechte der Arbeitnehmer und eine weltoffene Gesellschaft ein. Viel wurde schon erreicht, doch müsse man ständig weiterkämpfen. Ziel sei, dass jeder einen Tarifvertrag habe, in dem sechs Wochen bezahlter Urlaub, Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie das Zahlen eines verdienten Lohn verankert sei. Gute Arbeit sei durch guten Verdienst zu honorieren. Die ver.di-Verhandlungen verliefen gut, das wünschte er sich auch für die IG Metall.

Auf eine 125-jährige Tradition kann der Aktionstag zurückblicken. Damals wie heute gelte das Motto »Zusammen können wir mehr erreichen«, so Zarske, auch daher heiße es in diesem Jahr: »Zeit für mehr Solidarität. Die gut besuchte Veranstaltung wurde musikalisch umrahmt von Marcus Kümmerling und Cecile Beelmann. Weiter gab es Luftballonaktion, Kinderschminken, Kaffee, Kuchen, Bratwurst und Stände der einzelnen Gewerkschaften.Hartmut Meine, IG Metall-Bezirksleiter in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, sagte, dass man am 1. Mai zusammenstehe, um als Gewerkschafter für die eigenen Interessen Flagge zu zeigen. Erfreulich sei, dass nach der Veröffentlichung der Panama-Papiere wieder vermehrt über die Kluft zwischen Armut und Reichtum in Deutschland gesprochen werde. Jeder spüre, die Schere gehe weiter auseinander.

Die Aldi-Familie Albrecht habe zum Beispiel 16 Milliarden Euro Vermögen. Unerklärlich sei, dass sie nicht in der Lage sein sollte, Vermögenssteuer zu zahlen. Die Kohl-Regierung und die Schröder-Regierung haben diese Steuer abgeschafft. Die Reichen wurden entlastet, während sie gleichzeitig den armen Menschen in die Tasche gefasst haben.

Die Vorstandsvorsitzenden der 30 Dax-Konzerne erhalten pro Jahr durchschnittlich 6,6 Millionen Euro. Wenn sie 60 Stunden pro Woche arbeiten, haben sie eine stündliche Vergütung von rund 2.000 Euro. Der Bezirksleiter hinterfragte, ob es zu vertreten sei, dass die Dax-Chefs in einer Stunde mehr verdienen als viele Bürger im Monat? Das könne nicht sein. Gefordert werde, die Vermögenssteuer wieder einzuführen und die Spitzensteuersätze für Top-Verdiener auf 49 Prozent zu erhöhenDer Staat brauche dringend mehr Einnahmen: für den Bau und die Sanierung von Schulen und Kitas, für die Verbesserung von Straßen und Brücken, für die Investitionen in Breitbandkabelnetze, für die Integration von Flüchtlingen, für Krankenhäuser und Pflegeheime sowie für eine ordentliche Bezahlung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Durch die Vermögenssteuer oder eine Vermögensabgabe oder durch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes seien die dringend notwendigen Geldmittel erhebbar.

In den vergangenen Jahren stieg die Zahl der Niedriglöhner stark. Begrüßt werde, dass die CDU-SPD-Regierung endlich einen Mindestlohn mit 8,50 Euro eingeführt habe. Ein erster Schritt in die richtige Richtung. Jedoch: »Mindestlohn ist Silber, Tariflohn ist Gold«; die Gewerkschaften seien gefordert. Man müsse in allen Branchen so stark werden, dass eigenständig gute Tariflöhne ausgehandelt werden, um nicht auf einen gesetzlichen Mindestlohn angewiesen zu sein. In vielen Bereichen wurden jedoch die Flächentarifverträge ausgehöhlt oder abgeschafft. Der Niedriglohnbereich erfuhr eine massive Ausweitung. Das darf nicht so bleiben.

Seit sechs Jahren kümmert sich die IG Metall verstärkt um Leiharbeiter. Mittlerweile haben mehr als 50.000 akzeptable Tarifverträge und Löhne, die deutlich höher als der Mindestlohn seien. Gefordert werden bessere Gesetze für Leiharbeiter und Beschäftigte mit Werkverträgen. »Gleiches Geld für gleiche Arbeit«.

Menschen, die Jahrzehnte gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, werden im Falle der Arbeitslosigkeit nach zwölf oder nach 18 Monaten auf das sogenannte Arbeitslosengeld II »heruntergeschruppt«, auf 399 Euro pro Monat plus Warmmiete. Die Chefs der Dax-Unternehmen verdienen hingegen 2.000 Euro pro Stunde – also stündlich fünfmal so viel wie Hartz-IV-Bezieher im Monat.

Viele Arbeitgeber schaffen keine regulären Arbeitsverhältnisse, sie stellten nur befristet ein oder beschäftigen Leiharbeiter. Wer mit zeitlichem Limit arbeitet, lebt über Monate hinweg in der Unwissenheit, ob er übernommen wird und ob er eine Perspektive hat. Erforderlich sei ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu guten Tarifbedingungen samt ordentlichem Monatseinkommen, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, 30 Tagen Urlaub und sechs Wochen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Zu guter Arbeit gehöre auch die Möglichkeit, nach einem langen Arbeitsleben gesund in Rente zu gehen samt akzeptablem Geldanspruch. Die schwarz-rote Regierung in Berlin führte gegen den heftigen Widerstand der Gewerkschaften die Rente mit 67 ein, das entspreche nicht den realen Belastungen in den Betrieben. Ein Schichtarbeiter, der im Dreischichtbetrieb am Fließband arbeitet, hält dies nicht bis zum 63. und schon gar nicht bis zum 67. Lebensjahr aus. Das gelte für viele Beschäftigtengruppen, die unter hohen körperlichen und psychischen Belastungen arbeiten.

In zahlreichen Branchen finden zurzeit die Tarifrunden statt. Die Gewerkschaften fordern zwischen fünf bis sechs Prozent, die Arbeitgeber bieten hingegen skandalöse Miniangebote. Bei der IG Metall sind es 0,9 Prozent. Das niedrigste Angebot, das Metallarbeitgeber jemals gemacht haben, so Meine. Die Offerte sei empörend. Die Verhandlungen und Friedenspflicht endeten, Warnstreiks stehen an. Mehr als 100.000 sind bereits bundesweit vor die Werkstore gezogen, um für fünf Prozent mehr Geld zu kämpfen. In der kommenden Woche werden die Streiks ausgeweitet. Anschließen werden sich in Einbeck die Belegschaften von Renold, Dura und Gattermann. Alle DGB-Gewerkschaften kämpfen gemeinsam gegen »unverschämte« Arbeitgeber.Ein Thema bewege viele seit Monaten: Tausende von Menschen in akuter Not flüchten nach Deutschland. Die große Anzahl stelle alle vor immense Herausforderungen. Es sei schön, so der Bezirksleiter, dass sich viele Menschen spontan dazu bereit erklärten, den neuen Nachbarn zu helfen. Entsetzt sei er, dass eine Partei wie die AfD versuche, die Sorgen der Menschen zu instrumentalisieren und mit ausländerfeindlichen und rassistischen Äußerungen die Stimmung anheize. Erschreckend war, wie die Partei bei Landtagswahlen in drei Bundesländern zweistellige Ergebnisse erzielte.

Der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder, die AfD gewählt haben, sei genauso hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Dieses stelle die Gewerkschafter vor große Herausforderungen. Es bringe nichts, AfD-Mitglieder als »Nazis« zu beschimpfen, besser sei, um jedes Gewerkschaftsmitglied, das zur AfD neige, mit Argumenten und inhaltlich zu kämpfen. Gemeinsam müsse man sie überzeugen, dass sie auf dem falschen Weg seien. Es reiche nicht, nur nach Baden-Württemberg, Reinlandpfalz oder Sachsen-Anhalt zu schauen; im Herbst stehen in Niedersachsen Kommunalwahlen an. Die AfD dürfe nicht in die Stadtparlamente ziehen, ausländerfeindliche Parteien haben dort nichts zu suchen. Gewerkschafter treten für eine Gesellschaftsform ein, die nichts mit dem rassistischen, nationalistischen und ausländerfeindlichen Gedankengut der AfD zu tun habe. Man stehe für eine Gesellschaft, in der gemäß des Zitats von Stephan Heim »Herz und Verstand mehr zählen als der Ellenbogen«. Es sei »Zeit für mehr Solidarität«.

Zum Abschluss dankte DGB-Kreisvorsitzender Achim Wenzig allen für die Teilnahme an der Maifeier und denjenigen, die bei der Organisation halfen. Auf mehr Beteiligung hoffte er im kommenden Jahr. Große Solidarität habe er schon selber erfahren, so Wenzig, diese wünschte er allen anderen auch, denn es sei »Zeit für mehr Solidarität.«mru