»Zelle 92« erinnert an Dietrich Bonhoeffer

CVJM-Haus »Solling« richtet Gedenkraum für Widerstandskämpfer ein

Dassel. Im Dasseler CVJM-Haus »Solling« ist ein Raum zur Erinnerung an den Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906 bis 1945) eingerichtet und eingeweiht worden: »D. Bonhoeffer – Zelle 92«. CVJM-Hausleiter Gerald Stehrenberg begrüßte die Gäste, darunter Bürgermeister Gerhard Melching, den Leiter der Gästehäuser des CVJM-Gesamtverbandes aus Kassel, Ramon Haag, und die am Projekt Beteiligten Pastor i.R. Dr. Günter Ebbrecht, der für die Dokumentation verantwortlich war, und Rolf-Dieter Spann vom Kunsthaus »Collage« in Dassel, das die praktische Umsetzung vorgenommen hat.

Stehrenberg erinnerte, dass der Impuls für die Einrichtung eines Gedenkraumes an Diet-rich Bonhoeffer am Rand der 100-Jahr-Feier des CVJM-Hauses 2012 durch Dr. Ferdinand Schlingen­siepen, einen evangelischen Theologen und Bonhoeffer-Kenner, gekommen sei: »Wuss­ten Sie eigentlich, dass Bonhoeffer 1933 Teilnehmer einer ökume­nischen Arbeitstagung in ›Ihrem‹ Haus, dem ehemaligen Christlichen Erholungsheim, war?«, so seine damalige Frage. Dieser Impuls genügte, nach kurzer Zeit des Überlegens, Abwägens und Planens einen kleinen Gruppenraum umzugestalten zur »Zelle 92«, frei nachempfunden der original Gestapozelle in Berlin-Tegel. So ist ein Raum für Dokumentationen, für ein Nachdenken über die Zeit des Dritten Reiches, speziell auch des Widerstands gegen Hitler, entstanden, der einerseits etwas bedrückend wirkt mit der Pritsche nebst Strohsäcken und den angedeuteten Zellenstäben in der Eingangstür und an den Fenstern. Andererseits vermittelt er eine Atmosphäre des Festhaltens am Glauben gerade in extremer Bedrängnis bis zum bevorstehenden gewaltsamen Tod. Dazwischen finden sich Briefe an Bonhoeffers Verlobte Maria von Wedemeyer. Ein alter Stuhl und ein passender Tisch mit Bibel und kirchlichen Schriften vermitteln einen Eindruck dieser Zeit.

»Eine besondere Idee, ein sehenswerter Raum«, stellte Bürgermeister Gerhard Melching fest. Dies sei eine Bereicherung des Hauses und ein attraktiver Anlaufpunkt auch für die Dasseler Bevölkerung.  
Pastor Dr. Günter Ebbrecht hielt die Eröffnungsrede. Zuvor wurde das vertonte Bonhoeffer-Lied »Von guten Mächten wunderbar geborgen« gesungen, begleitet vom Organisten Stefan Guhl aus Dassel. Die Zeilen hat der Theologe 1944 im Gestapogefängnis in Berlin geschrieben, sie waren weder als Lied noch für die Öffentlichkeit gedacht, sondern als persönliches Gedicht für seine Verlobte und seine Mutter Paula. Vergangenheit und Zukunft würden sich hier im vertrauensvollen Bekenntnis verbinden, so Pastor Dr. Ebbrecht. Bonhoeffer habe sich an seine behütete Kindheit erinnert, an Musik und Bücher, an biblische Texte und Gebete, er fühlte sich »treu und still umgeben«. Das sei nicht immer so gewesen, doch nach dem Schock zu Beginn seiner Haft stand fest, dass das NS-Regime keine Herrschaft über seine Lebensgeschichte bekommen sollte. »Zelle 92« wurde ihm zum Raum der Erinnerung und zum Ort der Erneuerung. Er versuchte, in dem Schicksal, das ihn dorthin gebracht hatte, die Führung Gottes zu erkennen. Gedankenaustausch war ihm möglich mit seinem Freund Eberhard Bethge.
Der Bonhoefferraum lade Besucher ein, sich hinzusetzen, sich durch Bild- und Texttafeln inspirieren zu lassen und einzutauchen in die Erinnerungen Bonhoeffers, so Pastor Dr. Ebbrecht. Der bekennende Christ, große ökumenische Theologe und verantwortungsvolle Widerstandskämpfer gegen das menschenverachtende NS-Regime wurde mit 39 Jahren von den Nazis im Konzentrationslager Flossenbürg durch Erhängen hingerichtet. Wie Bonhoeffer seine Gefängnis- in eine Klosterzelle und Studierstube verwandelte, so sollte der Raum Fragen nach Gott auslösen und Beten und Meditieren eröffnen.

Dietrich Bonhoeffer, berichtete Dr. Ebbrecht weiter, sei vom 6. bis 10. März 1933 mit 18 anderen Theo­logen und Laien zur ökumenischen Arbeitstagung in Dassel gewesen, als Sekretär der »Mittelstelle für ökumenische Jugendarbeit« des Bundesamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Stelle sollte theologische Grundlagen für die künftige Ökumene klären – in einer Zeit, in der in Deutschland die nationalsozialistische Ideologie auch die Kirchen ergriff.

1933, das Jahr von Bonhoeffers Besuch in Dassel, war durch die Machtübernahme Hitlers ein Schicksalsjahr für Deutschland und das entscheidungsintensivste Jahr für Bonhoeffer. Eine »Wand des Jahres 1933« zeigt den Besuchern die großen Themen, mit denen er in dieser Zeit konfrontiert war: Es ging ihm um die Verantwortung des Menschen für seine Mitmenschen, um den Schutz der Juden beziehungsweise von Minderheiten als Aufgabe des Staates und die Förderung des weltweiten Friedens und Überwindung des Krieges. Bonhoeffers Gedicht »Wer bin ich?« soll zum Nachdenken über Identität anregen.

»Lassen Sie den Raum auf sich wirken«, lud Dr. Ebbrecht zum Besuch ein. Man könne den Lebensweg Bonhoeffers nachvollziehen, die Gestaltung der Wän­de folgt, links neben dem Eingang beginnend, einer Chronologie. Bildtafeln zeigen die Stationen seines Lebens bis hin zum Galgen in Flossenbürg.
Anlässlich der Einweihung bestand die Möglichkeit, den Film »Wer glaubt, der flieht nicht…« anzusehen, der die Lebensgeschichte Bonhoeffers erzählt und in dem er selbst zu Wort kommt. Zwischen Dokumentationstafeln und der Pritsche mit Tisch und Stuhl entstanden in »Zelle 92« angeregte Gespräche – »eine erfolgreiche Eröffnung«, bilanzierten Stehrenberg und Dr. Günter Ebbrecht.oh