Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Frauen, Familie und Senioren

Ärztliche Versorgung im ländlichen Raum im Blick

KVN-Geschäftsführer zu aktuellen Zahlen und Entwicklung in den kommenden Jahren | Telenotfallmedizin

Harald Jeschonnek, Geschäftsführer der KVN in Göttingen, berichtete im Ausschuss über den aktuellen Stand bei der Ärzteversorgung und über die Prognosen für die Region.

Die Bedarfsplanung der Vertragsärztlichen Versorgung im Landkreis Northeim war Thema der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Frauen, Familie und Senioren. Dazu berichtete der Geschäftsführer der Bezirksstelle Göttingen der Kassenärzt­lichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), Harald Jeschonnek. Weiteres Thema war die Telenotfallmedizin, die die Landkreise Northeim und Goslar gemeinsam aufbauen wollen. Referent dazu war Dr. Bodo Lenkewitz, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes.

Region. Für die hausärztliche Versorgung, die allgemeine, die spezialisierte und die gesonderte fachärztliche Versorgung würden jeweils räumliche Grundlagen herangezogen, erläuterte Harald Jeschonnek: Je intensiver die Kontakte zwischen Arzt und Patient, desto kleinräumiger die Planung. Für die Versorgung gebe es Messzahlen: Eine 100-prozentige Versorgung bedeute beispielsweise: ein Hausarzt auf 1.609 Einwohner. Diese allgemeine Verhältniszahl werde angepasst mit Blick auf Alters- und Geschlechts- sowie Morbiditätsstruktur im Planungsbereich. Für den Planungsbereich Northeim rechne man mit einer Verhältniszahl von 1.521, für Uslar von 1.401 und für Einbeck von 1.465. Planungszahlen gebe es auch für alle Fachgruppen, beispielsweise 14.742 Einwohner pro Augen- oder 7.032 Frauen pro Frauenarzt.

Für den Bereich Northeim ergebe sich ein hausärztlicher Versorgungsgrad von 119 Prozent, für Uslar von 107 Prozent und für Einbeck ebenfalls von 119 Prozent, wobei man in Bad Gandersheim 152 Prozent erreiche, in Dassel 130 Prozent und in Einbeck 105 Prozent. Insbesondere in Northeim, wo Patienten in den vergangenen Jahren kaum Hausärzte gefunden hätten, habe sich die Situation verbessert. Ein niedriger Versorgungsgrad bedeute nicht zwangsläufig schlechte Versorgung, betonte er. Bei den Fachärzten beträgt der Versorgungsgrad 178 Prozent bei den Frauenärzten und 73 Prozent bei den Nervenärzten. Bei Fachärzten für Innere Medizin gibt es einen Versorgungsgrad von 177 Prozent, bei Kinder- und Jugendpsychiatern von 291 Prozent.

Künftige Situation

Mit Blick auf die Entwicklung bis 2035 sei es sehr wahrscheinlich, dass die Akteure im Gesundheitswesen schon vor diesem Zeitpunkt zum Handeln auch auf regionaler Ebene gezwungen seien, um Einfluss auf die künftige Versorgung zu nehmen. Bei der hausärztlichen Versorgung sei es heute so, das eine Zulassung nur möglich sei, wenn ein vorhandener Sitz übernommen werde. Bis 2035 werde sich die Situation »quasi überall« verschlechtern, was den Versorgungsgrad angehe. Bei einigen Fachärzten sehe man einen erheblichen Rückgang, gerade dann, wenn die Situation, wie bei den Nervenärzten, schon heute problematisch sei.

Frauenanteil an Ärzteschaft wächst

Zu den Entwicklungstendenzen stellte er fest, dass sich der Frauenanteil in der Ärzteschaft von 41 auf 52 Prozent erhöhen werde. Zu erwarten sei eine ungleichmäßige regionale Verteilung, häufig mit guter Versorgung in den Städten und einer drohenden Unterversorgung im ländlichen Raum. Hauptursache dafür sei der Rückgang an praktischen Ärzten bis 2035 um 20 Prozent. Einen Rückgang sieht die KVN bei den Allgemeinen Fachärzten teilweise um bis zu 50 Prozent, so dass eine Unterversorgung vielerorts wahrscheinlich sei. Die spezialisierte fachärztliche Versorgung wäre gekennzeichnet von einer Unterversorgung bei Radiologen und einer guten bis Überversorgung bei Kinder- und Jugendpsychiatern; bei der gesonderten fachärztlichen Versorgung sieht man ebenfalls eine Überversorgung in einzelnen Gruppen und einen gravierenden Rückgang bei Transfusionsmedizinern.

Das alles führe zu einer drohenden Unterversorgung im ländlichen Raum. Die zunehmende fachliche Spezialisierung verstärke die Versorgungsengpässe in hausärztlicher und allgemeiner fachärztlicher Versorgung. Eine höhere Niederlassungstendenz wäre gegen den Arztzahlenrückgang am effektivsten. Eine Erhöhung der Zahl von Studienplätzen bringe wegen des langen Studiums einschließlich Spezialisierung erst nach 2035 Entlastung.

Gründe für den Ärztemangel

Gründe für den Ärztemangel sind, dass die Mediziner aus der »Ärzteschwemme« der 80er und 90er Jahre jetzt ins Rentenalter kommen. In den nächsten Jahren werden überproportional viele Praxen zu verkaufen sein. Junge Ärzte können sich aussuchen, ob sich sie in der Stadt oder auf dem Land niederlassen wollen. Seit den 90er Jahren war die Anzahl der Medizin-Studienplätze rückläufig. Eine zunehmende Spezialisierung in der Medizin entzieht der fach- und hausärztlichen Grundversorgung den Nachwuchs. Krankenhäuser benötigen erheblich mehr Ärzte, um die Versorgung zu gewährleisten, unter anderem durch Neuregelung der Arbeitszeiten. Viele junge Mediziner haben andere Lebensarbeitszeitmodelle als die älteren Kollegen, und schließlich schrecke auch die Bürokratie ab, wobei er die eigene Organisation nicht ausnehme, sagte Jeschonnek.

Fördermaßnahmen

Die KVN wolle das Versorgungsniveau erhalten und vorrangig eine Nachfolge organisieren. Gelinge das nicht, wolle man andere vorhandene Standorte stärken. Bei Bedarf müsse man neue geeignete Standorte suchen. Man werde dabei Prioritäten setzen müssen mit Blick auf Versorgungsgrad und Altersstruktur in den Regionen. An Fördermaßnahmen gebe es unter anderem Investitionskostenzuschüsse, eine Förderung in Einzelfällen, Niederlassungsseminare und -beratung, eine Praxisbörse im Internet, die Förderung im Praktischen Jahr, FamulaturFörderung, ein Landesstipendium sowie Austausch zwischen Studenten und Ärzten. Die KVN habe ein breites Angebot, und sie stehe zu ihrer Verantwortung zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung. Sie könne aber nicht alle Rahmenbedingungen für den strukturellen Verändungsprozess gestalten, etwa Infrastruktur, Mobilität, Arbeitsmöglichkeiten oder Demographie.
In der Broschüre »Hausarzt m/w gesucht« des Amtes für regionale Landesentwicklung Leine-Weser für Kommunen gibt es unter anderem Hinweise dazu, den realistischen Blick auf Situationen und Lösungen zu legen. Man müsse zu interkommunaler Zusammenarbeit anstelle von Kirchturmpolitik kommen. Durch Nutzung der Potenziale vor Ort könne man Nachwuchs binden. Neue Strukturen könnten für neue Standorte sorgen oder für die Erweiterung von bestehenden Standorten. Vorausschauende Beobachtung sei ebenso wichtig wie die Stärkung der Attraktivität der Region

Versorgungsauftrag

Die KVN habe ihren Versorgungsauftrag nicht ausreichend erfüllt, man sollte sie abschaffen, stellte Christel Eppenstein, CDU, fest. Es seien in der Vergangenheit viele Fehler gemacht worden, die man teilweise inzwischen erkannt habe. Der letzte Aufreger sei die Schließung des Corona-Testzentrums in Einbeck gewesen. Es wundere sie nicht, warum kaum Hausärzte aufs Land wollten – wenn man das verbessern wolle, müsse man auch ans Budget gehen. Einige Vorwürfe, etwa zur Begrenzung der Zahl der Studienplätze, habe die KVN nicht zu verantworten, so Jeschonnek. Andere Probleme seien nicht zu lösen, indem man die Organisation abschaffe. Und es sei nicht so, dass man nichts mache: So sei die Ausweitung der Telemedizin eine Möglichkeit, mehr Zeit für Behandlung zu haben, statt sie für Fahrten aufzuwenden. Der Ausschuss nahm die Ausführungen zur Kenntnis.

Wie Telenotfallmedzin aussehen kann und dass sie nicht bedeutet, den Notarztstandort abzuschaffen, dazu gab es Erläuterungen von Dr. Bodo Lenkewitz. Die Idee stamme aus Aachen, wo man viel Geld in die Hand genommen habe. Im Landkreis Goslar habe man dies aufgegriffen, aber mit dem Anliegen, es kostengünstiger zu schaffen, medizinisches Wissen in den Rettungswagen zu bringen, ohne den Notarzt physisch dabei zu haben. Sowohl Goslar als auch Northeim seien ländlich strukturiert, wenig bevölkerte Landkreise, es biete sich an, das Projekt gemeinsam umzusetzen.

Digitales Wissen schneller an Patienten bringen

Für die Gabe mancher Medikamente brauche man nicht unbedingt einen Arzt, der dabei sei, sondern es gebe digitale Möglichkeiten, das notwendige Wissen schneller an den Patienten zu bringen, erläuterte er. In einigen Fällen könne der Arzt etwas anordnen, und er bleibe am Monitor beim Notfallsanitäter vor Ort. Mit einer Vereinheitlichung von Handlungsanweisungen und gemeinsamen Fortbildungen sei man auf einem guten Weg. Sollte das Projekt scheitern, habe man nur geringe Summe vergeblich ausgegeben – in diesem Fall Handys und Halterungen: »Nichts, was wehtun wird.« Mit den Kostenträgern habe sich der Landkreis Goslar bereits auseinandergesetzt.

Erfahrungen durch Klinikum Oldenburg

Kooperationspartner sei das Klinikum Oldenburg, ein Maximalversorger, der bereits Erfahrungen mit Telemedizin im Offshore-Bereich, etwa auf Windkraftanlagen oder den Nordseeinseln, gesammelt habe. Die Universität Oldenburg übernehme die wissenschaftliche Aufarbeitung. In Goslar soll die Telenotfallmedizin im Rettungsdienst zum 1. Januar 2021 eingeführt werden. Northeim nimmt den Betrieb zum 1. April kommenden Jahres auf. Bei der nächsten Sitzung des Ausschusses am 23. November wird es noch einmal genauere Informationen zum Thema geben.ek

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