Der Henker: ausgestoßen, geächtet und doch gebraucht

B. K. Jerofkes Einpersonenstück »Der Henker von Paris«: Viel Beifall bei der Premiere in der Dasseler Bücherei / Politik und Leid

Henker war kein angesehener Beruf. Man brauchte ihn allerdings, und häufig hatte er auch besondere Kenntnisse in Sachen Heilkunst: Diejenigen, die ihn ausstießen und verachteten, konnten doch zugleich von ihm profitieren. Wie die Familie Sanson ihr von Generation zu Generation weitervererbtes Henker-Dasein erlebt, das schildert Bernd Klaus Jerofke in seinem neuesten Stück: »Der Henker von Paris« war jetzt in der Dasseler Bücherei zu sehen, und für seine beeindruckende Darstellung erhielt Klaus Hamann von den »Bühnenstürmern« großen Beifall.

Dassel. Ein paar Quadratmeter Spielfläche, wenige Requisiten, Lichteffekte und ein beeindruckender Schauspieler, mehr brauchte der Premierenabend für »Der Henker von Paris« in der Dasseler Stadtbücherei im Ratskeller nicht. Komplett ausverkauft war die Vorstellung, mit der Autor und Regisseur Bernd Klaus Jerofke die Zuschauer mitnahm auf eine Zeitreise durch französische Geschichte, festgemacht an der Person des Henkers von Paris.
Ein vielschichtiges und faszinierendes Portrait hat er geschaffen, und Klaus Hamann hat es in dem Einpersonenstück beeindruckend umgesetzt – vorgelesen und vorgetragen. Henri Sanson ist Henker, der siebte des »Familienunternehmens«. Seit fast 200 Jahren tragen die Sansons die Bürde des Amtes, nun wurde er Anfang März 1847 entlassen. Intensiv hatte er sich auf seine Arbeit vorbereitet, wenngleich er sich hätte befreien können. Er wäre aber doch immer der Sohn des Henkers geblieben.

Der erste Henker der Familie ist Henris Ur-Ur-Ur-Großvater, 1635 geboren. Er verliebt sich in die Tochter eines Henkers, und er muss nicht nur die Tochter, sondern auch das Amt nehmen. 1663 überträgt ihm der Schwiegervater die Aufgaben, und sein erster Auftritt endet in einer Ohnmacht und mit Spottgelächter. Auf den Sohn vererbt er sein Amt. Mittlerweile in Paris ansässig, spürt die Familie die mit dem Amt verbundenen Nachteile: Er darf nicht in die Schenken gehen, muss außerhalb der Mauern leben. Aber er interessiert sich für die Toten, untersucht sie, entdeckt Zusammenhänge und eignet sich Wissen über Medizin an. Selbst Ärzte suchen – im Verborgenen – seinen Rat, er stellt heilende Salben und Tinkturen her, versteht sich auf Kräuterheilkunde.
Cartouche, der Dieb, gehört zu den prominentesten Opfern der nächsten Generation, sensationslüstern verfolgt das Volk 1721 seine Hinrichtung. Von Kindesbeinen an schauen die Kinder dem Vater bei der Arbeit zu, und immer steht die Übernahme des Amtes außer Frage. So werden die Sansons zum führenden Henkersgeschlecht Frankreichs. Sie verfügen über Erfahrungen zu Tortur und Hinrichtungen, werden geschätzt für Präzision. »Der verfügte Tod hat für uns Würde.« Er ist für sie ein Geschäft, und so wird die Rechnung geschrieben wie von einem Handwerk: Verstümmeln, aufspannen, brennen, brandmarken, köpfen, rädern, auf den Scheiterhaufen stellen oder mit dem Spanischen Stiefel foltern, alles hat seinen genauen Preis. Und er kann stolz darauf sein, bisher keinen »Fehlschlag« getan zu haben.

Dass das Volk sich an derlei Schauspiel mit Begeisterung beteiligt, beweist etwa ein Brief von Casanova, in dem er genau schildert, was bei einer Hinrichtung passiert ist: Die höhere Gesellschaft mietet gar Separees, um einen besseren Blick aufs Geschehen zu haben.

Den Sansons gelingt der gesellschaftliche Aufstieg, sie bekommen Wappen und Amtstracht, ihre Verdienste für Kranke und Arme werden gewürdigt. Das Leben wird angenehm, das eigene Anwesen komfortabel. Aber auf Dauer hinterlässt dieses Amt Spuren, das Volk wird immer blutrünstiger: »Sanson heißt töten müssen«, zu dieser Erkenntnis kommt der Henker. Er träumt von seinen Opfern, sie quälen ihn, und er wünscht sich, dass Schluss ist, denn wie fühlt es sich denn an, die erste Liebe, Madame Dubarry, inzwischen Geliebte Ludwigs XVI., köpfen zu müssen? Oder einen unschuldigen Vatermörder durch Rädern zu töten?

Die politischen Geschehnisse gehen an den Sansons nicht vorbei: Die Erstürmung der Bastille und die Französische Revolution sorgen für »Mehrarbeit«. Die Guillotine wird zur »Königin des befreiten Volkes«. Die Menschen sind geradezu im Blutrausch, innerhalb weniger Wochen werden die politischen Eliten geköpft. Für zwei Jahre steht die Guillotine, für die der König selbst noch Verbesserungsvorschläge gemacht hatte, keinen Tag still. 2.918 Enthauptungen zählt Sanson, darunter die von Danton oder Robespierre.

Napoleon kommt und geht, und die Guillotine bleibt. Die Sansons sind ein Rad in der Justizmaschinerie. Er empfindet schließlich keinen Anstand und keine Würde mehr, doch was hätte er tun sollen. Henri möchte am liebten kein Sanson mehr sein. Die letzte öffentliche Hinrichtung ist 1820, danach kommt das Fallbeil nur noch im Gefängnis zum Einsatz. Henri braucht Geld, er zeigt Schaulustigen das Gerät, verkauft die Familienchronik an Balzac, verschachert die Werkzeuge, bringt die Guillotine ins Leihhaus, wo sie vor sich hin rostet, – und dann wird sie noch einmal gebraucht. Das ist der Grund für seine Entlassung, für das Ende eines Amtes über Generationen. »Unsere Zeit ist zu Ende – und wir mit ihr«, sieht er ein.

Klaus Hamann schlüpft nicht nur in die Henkers-Rollen, sondern auch in die zeitgeschichtlicher Begleiter: Er wird zum König, zu einem Journalisten, der das Geschehen verfolgt, zum Briefschreiber Casanova. Teilweise in gruseliger Szenerie, manchmal heiter-ironisch, in jedem Fall aber eindrucksvoll spiegelt Jerofkes Stück ein Stück bedrückender Historie. Er zeigt menschliche Abgründe, Zweifel und Leid. Der Applaus, den es in der Dasseler Bücherei gab, war trotz begrenzter Zuschauerzahl lautstark und zu Recht begeistert.ek

Dassel

Hegering IV sammelt Müll

Osterfeuer lockte Jung und Alt auf den Steinberg