»Geschichte zum Anfassen«

Jürgen von Falkenhayn berichtet in der Rainald-von-Dassel-Schule aus seinem Leben

Schulleiterin Kerstin Voss dankte Jürgen von Falkenhayn für seinen Vortrag mit einem Bildband über den Solling.

Dassel. Lebendiger Geschichtsunterricht an der Rainald-von-Dassel-Schule: Zu Gast bei den zehnten Klassen war jetzt Jürgen von Falkenhayn. Der Generalmajor a. D blickte in die Geschichte und schilderte als Zeitzeuge seine persönliche Geschichte. Er ließ sehr persönliche Fragen seitens der Schülerschaft zu und beantwortete sie. Sein Interesse an der Geschichte erwachte mit den Büchern seines Vaters, vor allem Biografien habe er gelesen, berichtet er.

»Geschichte interessiert, wenn sie lebendig dargestellt wird«, war sich von Falkenhayn sicher, und er bot den Schülern wirklich eindrückliche »Geschichte zum Anfassen«. Durch die Jahrhunderte der Geschichte nahm der 80-Jährige die Schüler mit, von der römischen Geschichte über Napoleon und Stalin bis Hitler. Er nannte Gründe für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der mittlerweile 80-Jährige ist der Großneffe des preußischen Kriegsministers Erich von Falkenhayn (1861-1922). Erich von Falkenhayn hatte die »Ermattungsstrategie« für Verdun entwickelt.

1917 konnte er die von der türkischen Regierung geplante Zwangsumsiedlung der Juden aus Palästina, die nach dem Muster des Völkermordes an den Armeniern ablaufen sollte, verhindern. Jürgen von Falkenhayn streifte die Weimarer Republik und kam zum Zweiten Weltkrieg: In Bezug auf den Holocaust betonte er, dass jeder Verantwortung trage, dass sich diese Maschinerie des Tötens nicht wiederhole. »Die Kriege waren der Selbstmord Europas«, stellte von Falkenhayn fest.

Der heutige Rendsburger erklärte, dass selbstgefällige Menschen oftmals danach fragten, warum die Greueltaten der Nazis nicht verhindert worden wären. Aber selbst heute, in einer gefestigten Demokratie, sei es seiner Meinung nach nicht einfach, etwas einzubringen oder zu verändern. 38 Jahre seines Lebens war Jürgen von Falkenhayn Soldat. Erst nach seinem Berufsleben befasste er sich intensiv mit der Geschichte seines Vaters.

Er verarbeitet in seinem Buch »Sarossawa – Auf der Suche nach dem verlorenen Vater« den Tod seines Vaters Ulrich von Falkenhayn (*1898), der als Hauptmann der Reserve und Kompaniechef mit 43 Jahren 1941 bei Sarossawa/Ukraine fiel. Außerdem schilderte von Falkenhayn die Geschichte seiner westpreußischen Offiziers- und Gutsbesitzerfamilie. Dabei stellte er Fragen nach dem Antrieb und Charakter seines Vaters, der bereits im Ersten Weltkrieg als Jägeroffizier diente und mit beiden Klassen des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet wurde.

Anhand von Briefen, Urkunden, Zeugnissen und mündlichen Überlieferungen setzt sich Jürgen von Falkenhayn kritisch mit dem Verhalten von Wehrmachtoffizieren sowie der sogenannten »verlorenen Generation« und deren Idealen auseinander. Eindrücklich schilderte von Falkenhayn, wie er mit seiner Familie 1943 in überfüllten Zügen Berlin in Richtung Bad Kissingen verließ. Dabei machte er darauf aufmerksam, dass das nicht zu vergleichen sei mit denen, die flüchten mussten und ihr gesamtes Hab und Gut zurückließen.

»In Kissingen ging es friedlich zu«, erinnerte er sich. Die Mutter brachte ihre vier Kinder mit Hilfe der Fürsorge - 100 Reichsmark für fünf Personen - und vor allem mit den Naturalien aus Großmutters Garten durch. Alles lief nach strenger Ordnung : drei Stunden Gartenarbeit in der Schul- und fünf Stunden Gartenarbeit täglich in der Ferienzeit, erinnert sich der 80-Jährige.

Das Geld war knapp und so wurde selbst der Kauf eines neuen Schulheftes für einen Groschen zu einem »Kampf«.Anfang der 1950er Jahre ging es der Familie mit einer kleinen Rente besser. »Bis 1950 war das Leben hart, danach war es - mit Glück - ausgezeichnet«, resümiert Jürgen von Falkenhayn, der von 1984 bis 1988 die Panzergrenadier-Brigade 16 »Herzogtum Lauenburg« führte.

Von 1990 bis 1995 befehligte er die 6. Panzergrenadierdivision. Von 1993 bis 1994 war von Falkenhayn der letzte Befehlshaber des Territorialkommandos Schleswig-Holstein. Dass es seit 1945 bis heute keinen Krieg im Kernland Europas gegeben habe, nannte von Falkenhayn ein »großes Glück«. Auch erste Generalstabsoffizier der Heeresgruppe, Henning von Tresckow, war Thema.

Er war eines der entschlossensten Mitglieder und neben Claus Schenk Graf von Stauffenberg die zentrale Figur des militärischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Neben Stauffenberg war von Tresckow die treibende Kraft hinter dem Umsturzplan des 20. Juli 1944. Das Attentat ging schief, von Tresckow nahm sich das Leben. Seine Witwe, Greta von Tresckow, stritt - obwohl eingeweiht - jedwede Mitwisserschaft ab.

Sie überlebte - und wurde in den 1970er Jahren - in Göttingen - die Patentante eines der Kinder von Jürgen von Falkenhayn. »Sie war eine fantastische Frau«, stellte Falkenhayn fest. Dass das Fach Geschichte mit Geschichten und Menschen zu tun hat, wurde in dieser Doppelstunde deutlich - so wie es sich Schulleiterin Kerstin Voss gewünscht hatte. Sie dankte Lehrer Ralf Pahl, dem es immer wieder gelinge, interessante Menschen in die Schule zu holen.sts