100 Jahre CVJM-Haus: »Durchatmen auf weitem Raum«

Einst »stärkende Luft, tadellose Milchversorgung und Waldgottesdienste« / Heute Freizeit-, Tagungs- und Entspannungsort

Band zehn liegt vor. Anneliese Bartels und Manfred Schnepel, Dassels Stadtarchivar, haben mit der Reihe »Zeitspuren aus Dassel« bereits nach fünf Jahren diese Fleißarbeit geschafft. Nun geht es um ein ganzes Jahrhundert und ein Jubiläum.

Dassel. »Durchatmen auf freiem Raum« heisst heute das Motto im CVJM-Haus »Solling« bei Gerald Stehrenberg und seinem Team. Konfessionsunabhängig sind alle Altersstufen, alle Gruppierungen - ob Familie, Klasse oder Gemeinde - willkommen, um zu tagen und zu entspannen. Wie vor 100 Jahren soll ein Aufenthalt ein Erlebnis sein, das zur Wiederkehr einlädt. Doch ist natürlich die Ausstattung, auch behindertengerecht, mit Ein- bis Vierbettzimmern und 18 Seminarräumen längst modern und komfortabel. 1913 waren es noch Einzel-Bettstellen mit Strohsäcken.

1912 begann alles: Dies wird am 1. Juli mit einer Jubiläums-Veranstaltung gefeiert. Wie es anfing, ist jetzt nachzulesen auf 220 Seiten mit über 300 Fotos, Zeitungsartikeln und Dokumenten. Die Arbeit dauerte neun Monate, recherchiert wurde in Archiven der Stadt, des CVJM, der Kirche und bei Zeitzeugen.
In 26 Kapiteln schildern Anneliese Bartels und Manfred Schnepel die spannende Entwicklung »Vom Christlichen Erholungsheim zum CVJM-Haus Solling« über Zeiten, in denen das Haus als Lazarett diente und genesende Soldaten die Terrasse bauten. Es folgten Reichsarbeitsdienst und Hitlerjugend, Beschlagnahme für Heimkehrer aus baltischen Staaten, ab 1948 eine Heimkehrer-Erholungsstätte und Friedland-Außenstelle sowie ein Hilfswerk für »streunende Jugendliche«, bevor ab 1952 wieder Erholung der Zweck war. In all den Jahrzehnten kamen und kommen immer wieder Kindergruppen zur Erholung - zahlreiche Fotos zeigen diese ausgelassen, mit frohen Gesichtern. Konfirmanden reisen regelmäßig an, 2012 waren es 300 mit Betreuern. Hohe Prominenz kam 1998 mit Roman Herzog und Ehefrau Christiane. Zu einem Abiturtreffen waren beide angereist, auf Einladung von Herzogs einstigem Mitschüler, Theodor Müller. Selbstverständlich gibt es seitdem eine »Präsidentensuite« im Haus. An »normalen« Wochenenden, habe man in den 60-er Jahren 500 Gäste gehabt - durch eine Gemeindefreizeit aus Grone bewirtete das »kampferprobte Personal« am 22. Juli 1962 über 1.000.
Ideengeber, Initiator, Spendensammler und Begründer des ersten Trägervereins war Pastor Gerhard Julius Wedekind, von 1902 bis 1934 Pastor in Dassel. Auch das Gemeindehaus Ballerstraße veranlasste er (Schnepel ist einem Nachfahren Wedekinds noch auf der Spur - in der Hoffnung, ihn zum Jubiläum einladen zu können). Er wollte Erholungsheime bauen, je eines für Schüler und junge Männer sowie Familien. Er sah eine Notwendigkeit, Stätten zu schaffen, wo das »Nervensystem gekräftigt wird« und »Erholung an Leib und Seele« möglich ist. Er überzeugte Politiker, Lokalkomitees, schrieb eine Werbeschrift, erwies sich als ein Meister im Spendensammeln und gründete dafür einen Verein. Baurat Professor Karl Heinrich Mohrmann aus Einbeck zeichnete einen Bauplan: drei Schlafhallen mit Haupthaus und Innenhof. Schuldenfrei sollte gebaut werden. So entstanden bis Pfingsten 1912 zwei Schlafhallen. Der Artikel des »Einbecker Tageblatt« zur Eröffnung mit Grundsteinlegung für das Haupthaus am 30. Juni 1912 ist im Buch enthalten.

Bis nach Illinois sandte Wedekind nach dem Ersten Weltkrieg Bittbriefe. Eine Zeitung mit deutschstämmigen Lesern druckte einen Artikel mit Wirkung: Die Philadelphia-Turner veranstalteten ein Benefiz-Konzert, ebenso die Knabenkapelle des Waisenhauses Wartburg-Mount-Vernon. Mit dieser Unterstützung wurde bis 1923 das Hauptgebäude gebaut. Dem rührigen Mann widmete man in Dassel eine Straße, jedoch ohne Vornamen oder den Zusatz »Pastor«.

Gebaut wurde immer: Zur Selbstversorgung mit Milch, Schweinezucht und Gärtnerei entstand später ein Wirtschaftsgebäude, Jahre danach wurde daraus - mit Gäste-Unterstützung - eine Herberge. In den 80-er Jahren folgte Abriss - bis auf das Haupthaus - , Neubau und Sanierung. Es entstand eine »Familienferienstätte« mit Duschen und WC in jedem Zimmer. Über Bewältigung des Wasserverbrauchs, seit 2002 mit einer Pflanzenkläranlage, berichtet Leiter Stehrenberg selbst.

Die Autoren überzeugen mit ihrer Recherche-Leistung. Ihre Zusammenstellung von Fakten, Fotos und Dokumenten durch einhundert Jahre gibt ein Bild von Gesellschaftsveränderungen, Politik, Zeitgeist und der Bedeutung dieses Ortes für Erholungsuchende und Arbeitnehmer. Auch Besucher-Eindrücke in Zeichnungen und Versen aus elf Gästebüchern seit 1948 wurden dokumentiert: Von Franzosen, Holländern und Schweden aus den 50-er Jahren, die sich für die nette Atmosphäre, das gute Essen und die erholsame Stille bedankten, ebenso von Soldaten und PH-Studenten.
Beeindruckt von deutscher Leberwurst, der herrlichen Landschaft und dem freundlichen Personal war 1959 Donald Armour aus Edinburgh, der zum Deutschlernen und Arbeiten kam: Es wurden die »schönsten drei Monate meines Lebens«. Armour, Korrespondent, heute in Paris, will zum Jubiläum kommen, so Schnepel. Auch der Sohn des Heimleiters von 1952 bis 1962, Walter Stache junior, Brüssel, berichtet selbst über »einen der schönsten Abschnitte meines Lebens«. Dass diese ganz persönlichen Schilderungen zur Veröffentlichung vorliegen, ist etwas Besonderes.

Weitere Gäste, die sich erholten und arbeiteten, waren Teilnehmer des CVJM Lemgo 1973: »Unverzagt und ohne Grauen ging es ran ans Sportplatzbauen.« Mit einer berührenden »Schlüssel-Geschichte« vom Weg zum christlichen Glauben, berichtet vom Hausleiter, schließen die Autoren. 

Auch Dassels Bürgermeister Gerhard Melching gratuliert dem Haus und dankt Mitarbeitern und Management für ihr Engagement. Ein weiteres Grußwort schickt der Generalsekretär des deutschen CVJM-Gesamtverbandes, Dr. Roland Werner.

Das Buch gibt es, wie die anderen Bände, in der Bücherstube Sprink. Das Team Bartels-Schnepel bittet weiter um Unterstützung bei der Sammlung von Fotos, Dokumenten sowie Schilderungen von Erlebnissen und Anekdoten zur Geschichte Dassels.des

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