»Und da war meine Jugend schlagartig vorbei«

Flucht aus Ostpreußen: Günther Grigoleit berichtet an der Rainald-von-Dassel-Schule

Günther Grigoleit nahm die Schüler mit nach Ostpreußen, lebendig berichtete er von seiner Kindheit.

Dassel. Im Klassenzimmer ist es still, die Schüler des neunten Jahrgangs der Rainald-von-Dassel-Schule hören konzentriert zu, als Günther Grigoleit aus seinem Leben erzählt. Die Lehrer Ralf Pahl und Sebastian Schrader haben den Zeitzeugen in den Unterricht geholt, damit im Geschichts-WPK die Flucht aus Ostpreußen thematisiert wird. Die beiden Lehrer planen, das Thema weiter zu vertiefen und eventuell mit Hilfe einer Stiftung für Schüler eine Fahrt in das ostpreußische Gebiet zu organisieren.

Günther Grigoleit ist mittlerweile 88 Jahre alt und kann aus einem ereignisreichen Leben berichten. Im »Memelland« in Heydekrug geboren, erinnert sich Grigoleit an eine zunächst unbeschwerte Kindheit - als er beispielsweise bei niedrigen Temperaturen Schlittschuh laufen war - mit Haselnüssen in der Tasche.

»Haselnüsse riecht jeder Ostpreuße noch heute.« Als er 14 Jahre alt war, musste seine Familie ohne den Vater das Land verlassen. Die Flucht führte Richtung Danzig, der Vater holte sie zurück, bald aber war die Familie wieder auf der Flucht, diesmal in Richtung Sachsen.

Der Vater wurde eingezogen und an die Front versetzt. Er übertrug dem ältesten Sohn die Verantwortung für die Familie: »Und da war meine Jugend vorbei«, stellt Grigoleit fest. Über Österreich nach Schleswig-Holstein verschlug es die Familie. In den Jahren »fehlte es immer an allem«, auch »Hungerjahre« hat er erlebt. »Die Eltern waren fromm, die Erziehung streng«, erinnert sich Grigoleit.

Züchtigung mit dem Stock habe es in Schule und Zuhause gegebenen. »Kinder durften damals keinen Willen haben«, und so macht er den heute lebenden Jugendlichen bewusst, wie gut sie es hätten. Schon immer habe er Pastor werden wollen, doch Stipendien gab es nicht, die Familie hatte kein Geld. So sei er zunächst Zollbeamter geworden - nachdem zunächst »Spätheimkehrer und Kriegsversehrte« mit Arbeit versorgt waren.

Später arbeitete er als Lehrer, studierte im Abendstudium Psychologie mit Graphologie, später im Abendstudium evangelische Theologie. Er arbeitete in im Gemeindedienst, als Militärseelsorger, machte noch eine Kurzausbildung als Redakteur und schreibt heute noch gerne Gedichte.

Durch seine gemeinsame Grenze mit dem Russischen Reich und seine geographische Lage wurde Ostpreußen im Ersten Weltkrieg zu einem entscheidenden Schauplatz der Ostfront. Durch den Versailler Vertrag, der am 10. Januar 1920 in Kraft trat und unter anderem die Abtretung deutscher Gebiete an Polen beinhaltete, wurde Ostpreußen durch den Polnischen Korridor geographisch vom übrigen Deutschen Reich abgetrennt.

Als Exklave war es nur auf dem Seeweg oder über polnisches Gebiet zu erreichen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Ostpreußen von der Roten Armee nach verlustreichen Kämpfen in der Schlacht um Ostpreußen erobert. Als die Front des Zweiten Weltkrieges Ostpreußen erreichte, wurde die Evakuierung durch das Militär und den Staatsapparat zunächst behindert, dann in letzter Minute im Januar 1945 unter denkbar schlechtesten Bedingungen - tiefster Winter, Abschnürung des Landweges - ungeordnet begonnen.

Dadurch war ein Großteil der Zivilbevölkerung unmittelbar Kampfhandlungen ausgesetzt. Ein Teil der Bevölkerung konnte sich auf dem Landweg mit Pferdefuhrwerken nach Westen retten. Es wird geschätzt, dass von den bei Kriegsende etwa 2,4 Millionen Bewohnern Ostpreußens ungefähr 300.000 unter elenden Bedingungen auf der Flucht ums Leben gekommen sind. Das »Memelland« sei ein armes Land ohne Industrie gewesen, nahm Grigoleit seine jungen Zuhörer mit in die Vergangenheit. Den Charakter der Ostpreußen umriss er als ausgesprochen freundlich und wenig streitbar.

»Wenn Ostpreußen zusammen kommen, singen sie gerne.« Als »Juwel« bezeichnete Grigoleit die ostpreußischen Sprache mit ihren Besonderheiten - beispielsweise die Nachsilbe »-che«, die Vorsilbe »be-« oder auch die Benutzung des »wie« anstelle des »als«.

Die Schüler nutzten eifrig die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Und so erfuhren sie noch einiges an »Besonderheiten der Ostpreußen« aus Grigoleits Sicht. Die lebendige Schilderung des Lebenswegs hat die Neuntklässler sichtlich gefesselt. Mit Zeitzeugen Geschichte lebendig werden zu lassen - wie an der Rainald-von-Dassel-Schule-, lohnt sich.sts

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