Lesung: Daniel und Sa’ed auf ihrem Weg ins Paradies

Martin Schäuble stellt sein Buch »Black Box Dschihad« den neunten und zehnten Klassen der Paul-Gerhardt-Schule vor

Der Dschihad, im Deutschen meist mit »Heiliger Krieg« übersetzt, ist weit entfernt vom Alltag deutscher Schüler. Die Verknüpfung des Dschihad, was eigentlich übersetzt Anstrengung bedeutet, mit zwei Biografien macht das Thema lebendig: Gelungen ist das Martin Schäuble, der dem neunten und zehnten Jahrgang der Paul-Gerhardt-Schule jetzt sein Buch »Black Box Dschihad« vorstellte.

Dassel. Warum will ein junger Mensch Gotteskrieger werden? Diese Frage hat den Autor Martin Schäuble beschäftigt. Drei Jahre lang recherchierte er, entstanden ist neben seiner Doktorarbeit, der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema, nun das Buch »Black Box Dschihad«. Darin nimmt Schäuble, der als freier Autor und Sozialforscher in Berlin lebt, den Nahen Osten in den Blick. Anhand der Biografien von Daniel und Sa’ed zeichnet er – aus wechselnder Perspektive – ein Bild davon, was junge Menschen zu Gotteskriegern werden lässt.

Sa’ed stammt aus Nablus in den Palästinensergebieten, er teilt sich ein Zimmer mit acht Geschwistern. Mit elf Jahren bereits erscheint er nicht mehr im Klassenzimmer. Um seine Familie zu unterstützen, geht er arbeiten. Als sein bester Freund stirbt und das Haus der Familie zerstört wird, radikalisiert er sich. Er wendet sich der Religion zu, glaubt an ein Leben danach, das weitaus besser sein würde als das in Nablus. »Sein eigenes Leben aufzugeben und andere mit sich selbst in die Luft zu sprengen, dazu benötigt es mehr: eine feste Überzeugung, das richtige zu tun«, schreibt Schäuble. Sa’ed zündet die Bombe an seinem Körper – mit ihm sterben sieben weitere Menschen zwischen fünf und 60 Jahren. »In seiner Welt ist Sa’ed ein heldenhafter Märtyrer«, erklärt der Autor den Zuhörern.

Schäuble kommt es darauf an, dass man die Perspektive wechselt. Und so stellt er Sa’ed in seinem Buch Daniel gegenüber: Daniel wächst als einer von zwei Söhnen in einer gut situierten deutschen Familie im Saarland auf. Er geht aufs Gymnasium, begeistert sich für Hip-Hop. Ein kritischer Schüler sei er gewesen, erinnert sich ein Lehrer. Nach der Scheidung der Eltern – da ist Daniel elf Jahre alt – rutscht er ab. Er sucht Menschen, die ihm den Weg weisen. Er fängt an zu kiffen, wirft die Schule hin, will nach Brasilien auswandern. Am Amazonas ist das Geld schnell aufgebraucht, gescheitert kehrt er zurück. Nun will er mehr erfahren von der Religion, er hört seinem Freund Hussein zu, findet den Weg in die Moschee. Bald schmiedet er Anschlagspläne – die er allerdings nie umsetzt. Polizisten haben Daniel, der später als einer der Sauerland-Bomber in den Medien bezeichnet wurde, überwacht. Bei der Verhaftung löst sich ein Schuss, das Gericht bewertet den Vorgang als versuchten Mord. Daniel wird zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Sa’ed und Daniel haben nur eins gemein: das Geburtsjahr 1985. In den Biografien der beiden erforscht der Autor ihr Leben, spricht mit Verwandten, Lehrern und Freunden. Erzählerisch versucht er der Frage nahe zu kommen, warum junge Menschen Gotteskrieger werden. Behutsam blättert der Autor die Lebensgeschichte der beiden auf, nimmt den Leser mit in die Welt der Jugendlichen, die unterschiedlicher nicht sein kann.

Lange Zeit hat er für das Buch – sein zweites nach »Die Geschichte der Israelis und Palästinenser« – recherchiert. Das Thema »Gotteskrieger« habe er gewählt, um Auswege zu finden: Er wolle wissen »was wir dagegen machen können«, umschreibt er seine Motivation. Den Schülern berichtet er, dass die Recherche nicht einfach gewesen sei. Die deutsche Familie habe nicht mit ihm sprechen wollen, auch Daniel nicht. In Palästina seien Übersetzungsschwierigkeiten nicht zu vermeiden gewesen. Nicht nur mit Auszügen aus seinem Buch, sondern auch mit Fotos ließ Schäuble seine Protagonisten in der Paul-Gerhardt-Schule lebendig werden. Aufmerksame Schüler waren der Lohn. Nun arbeitet Schäuble bereits am nächsten Buch.

Diese Art der Lesung fand zum ersten Mal an der Paul Gerhardt-Schule statt. Pädagogin Maja Fasterling hatte den Kontakt zum Literarischen Zentrum Göttingen hergestellt. Im Rahmen der Reihe »Literatur macht Schule organisierte Marit Borcherding vom Literarischen Zentrum die Lesung für das Dasseler Gymnasium.sts