Schatten der Vergangenheit

Zeitzeugin Rozette Kats gestaltet eindrucksvolle Geschichtsstunde

Geschichtsunterricht: Die zehnten Klassen der Rainald-von-­Dassel-Schule hörten Rozette Kats genau zu. Die Zeitzeugin erzählte anschaulich aus ihrem Leben, das zur Zeit der Besetzung der Niederlande durch die Nazis begann.

Dassel. Viele Zeitzeugen, die mit dem Nazi-Regime in Kontakt gekommen sind, gibt es nicht mehr. Umso mehr freute sich Kerstin Voß, Schulleiterin der Rainald-von-Dassel-Schule, dass die Niederländerin Rozette Kats dem zehnten Jahrgang für ein Zeitzeugengespräch zur Verfügung stand. Die »böse Zeit und ihre Auswirkungen auf Menschen ganz direkt« erlebten die Schüler durch den Einblick in das Leben von Rozette Kats aus Amsterdam.

Die 76-Jährige nahm die Schüler mit in ihr Geburtsjahr 1942, als ihre Eltern schnell gezwungen waren unterzutauchen. Das erwies sich als nicht leicht – ein Säugling schreit und verbraucht Windeln, die damals noch aus Tuch bestanden, jeden Tag ausgekocht und getrocknet werden mussten. Ihre Eltern wurden verraten, wurde damals doch ein »Kopfgeld« in den Niederlanden bezahlt. Vorher bringen sie ihre Tochter bei einer Pflegefamilie unter, die zwei Kinder kurz nach der Geburt verloren hat. Als Sechsjährige, kurz vor ihrer Einschulung, erfährt sie, dass sie nicht Rita, sondern eigentlich Rozette ist. Ihre Pflegeeltern und Rettern spielt Rozette das fröhliche Kind vor, doch sie plagen Ängste. Mit zunehmenden Alter stellt sie Fragen über das Leben und Sterben ihrer Eltern – Antworten bekommt sie keine.

Erst Mitte der 1980er Jahre bekommt sie von ihrem Onkel – einziger Überlebender der Familie – das Hochzeitsbild ihrer Eltern. In detektivischer Kleinarbeit spürt sie ihrer Familie nach. Sie erfährt, dass sie einen Bruder Robert hatte, der mit ihrer Mutter gleich nach der Deportation ermordet wurde. Ihr Vater musste, bevor er im Lager Sobibor vernichtet wurde, vier Monate »Sklavenarbeit« leisten.

Mit Lebensmittelmarken, einem Davidstern, Fotos und weiteren Dokumenten blätterte Kats ihre Geschichte vor den Schülern auf. Eindrücklich erzählte sie vom »Ausweis mit dem schwarzen J«, vom Schmerz ihres Onkels, der einfach nicht über die Vergangenheit sprechen konnte, von den Eheringen ihrer Eltern, die sie zu einem Davidstern-Schmuckstück hat umarbeiten lassen, von ihrem eigenen Leben, das durch die Nazis fast zerstört wurde.

In einem langen Prozess lernte Kats, mit den  Schatten ihrer Vergangenheit zu leben. Seit 23 Jahren betreibt die engagierte 76-Jährige mittlerweile Erinnerungsarbeit in den Niederlanden und in Deutschland. Immer wieder fordert sie ihre Zuhörer dabei auf, Fragen zu stellen. Sie ist offen und zeigt damit, das Toleranz wichtig ist. Ganz klar fordert sie die Schüler auf, bei Unrecht ihren Mund aufzumachen.

Gefördert wurde das Zeitzeugengespräch vom Lokalen Aktionsplan. Ein Dank gilt Jörg Bachmann, der die Veranstaltung organisiert hat.sts