Alle Kinder können von inklusiver Schule profitieren

Bildungskonferenz: Großer Zuspruch zum Thema, das Schulen grundlegend verändern wird / Art der Behinderung kein Hindernis

Die Schule von morgen wird eine inklusive Schule sein. Auf der Basis der UN-Konvention über Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen soll ihnen volle gesellschaftliche Teilhabe und Diskriminierungsfreiheit garantiert werden. Das gilt auch für die Schulen. Gemeinsam mit der Fachschule Heilerziehungspflege der Berufsbildenden Schulen Einbeck, dem Beirat für Menschen mit Behinderungen im Landkreis Northeim sowie weiteren Partnern hat die Bildungsregion Göttingen eine Bildungskonferenz dazu veranstaltet. Hier gab es vor einem großen Publikum Informationen, wie der Weg zur inklusiven Schule aussehen könnte – allzu lange warten sollte man damit nicht, so der Appell der Experten.

Einbeck. Inklusion bedeute ein Dazugehören, ein Einbezogensein, stellte der Leiter der BBS Einbeck, Günter Dietzek, in seiner Begrüßung fest. Alle Menschen seien gleich viel wert, Unterschiede seien normal. Es sei wichtig, nicht auszusortieren oder abzuschieben, sondern Barrieren sollten in Gedanken und in der Praxis überwunden werden. Dies sei eine moralische Entscheidung und eine Frage des politischen Wollens gleichermaßen.

Niedersachsen sei bisher Schlusslicht bei der Beschulung von behinderten und nicht behinderten Kindern. So stehe man vor einer großen pädagogischen Herausforderung, die Mut und Kreativität, aber auch mehr Geld verlange, um Lernsituationen zu gestalten. Fertige Rezepte gebe es dabei nicht, vielmehr müsse man pädagogische Netzwerke knüpfen. Er hoffe, die Tagung werde der Start zur Gestaltung einer inklusiven Bildungslandschaft in Südniedersachsen.

Viele kleine Kartons nebeneinander, zwischen denen es keinen Kontakt gebe, so sehe die Bildungslandschaft derzeit aus, erläuterte Landrat Michael Wickmann. Jeder könne von jedem lernen, darauf setze die Inklusion. Die Schule von morgen sei eine Schule für alle, wobei Inklusion schon in der Krippe beginnen müsse und erst in der Ausbildung aufhöre.

Wie Integration gelebt und umgesetzt werden kann, erläuterten die Expertinnen Dr. Edith Brugger-Paggi von der Freien Universität Bozen und Dr. Susanne Abram vom Schuldienst Bozen. Inklusive Beschulung ist in Italien gang und gebe.

Die Situation des Lernens in Schachteln  sei falsch, Vielfalt habe es immer gegeben. Das italienische Bildungssystem setze seit Jahrzehnten auf die Einheitsschule, und Kinder mit Beeinträchtigungen hinzuzunehmen, habe die Schule verändert. »Alle Kinder können davon profitieren«, betonte Brugger-Paggi. Für die Lehrkräfte bedeute das, dass sie den Unterricht öffnen müssten. Schon in der Lehrerausbildung müsse da etwas getan werden, eine Integrations-Zusatzausbildung sei ebenfalls erforderlich. Man müsse die Lehrer befähigen, die unterschiedlichen Situationen zu meistern. Im Miteinander von vielen Beteiligten ziehe man an einem Strang – zum Wohl des Kindes. Wichtig seien kleine Klassengrößen, ebenso bauliche Veränderungen, die es den Kindern ermöglichten, gewinnbringend am Unterricht teilzunehmen. Die Eltern, versicherten die Referentinnen, wollten das integrative Bildungssystem, sie seien ein wichtiger Partner in diesem Bereich.

»Die Aufnahme der Behinderten veränderte allmählich die Schulen«, es habe sich viel getan, sagten Brugger-Paggi und Abram. Man müsse nämlich vom Lernen im Gleichschritt zu offenen Unterrichtsformen kommen. Den Schülern müsse deutlich werden, dass jeder den für sich möglichen Bildungserfolg erreichen könne. Dem Anderssein müsse man mit Respekt und Offenheit begegnen. An alle Schüler könne man hohe Erwartungen richten und ihnen etwas zutrauen. Die Schulleitungen seien der Schlüssel und der Garant für die Inklusion, an ihnen sei es, ein kooperationsförderndes Klima zu schaffen.

Welche Schritte zur gemeinsamen Erziehung für alle beschritten werden müssen, führte Professor Dr. Ulf Preuss-Lausitz von der TU Berlin aus. Behinderungen, sagte er, würden im Alltag sichtbarer als früher; zugleich werde Bildung in den letzten zehn Jahren intensiver diskutiert. Auch an die Kinder- und Schülerrolle stelle man höhere Erwartungen. Die UN-Konvention habe ein Bildungsverständnis, das von Wertschätzung und Anspruch ausgehe. Die Ziele der Inklusion seien, dass jedes Kind dazugehöre, keines abgeschoben werde und keine Sondergruppen gebildeten würden. Schulpolitische Inklusionsziele seien der Abbau von Benachteiligungen und die Stärkung von Persönlichkeitskompetenzen und sozialen Bildungen. Auf dem Weg dorthin sei es wichtig, von Erfahrenen zu lernen, etwa von den Referentinnen aus Südtirol.

Niedersachsen, bedauerte er, singe immer noch das »Hohelied der Selektion«. Die Art der Behinderung sei kein Inklusionshindernis. Vor einem Niveauverlust könne er beruhigen: Schwache Schüler würden von diesem Verfahren profitieren, »und die Starken lernen immer.« Um die Ideen der Inklusion umzusetzen, müsste ein Aktionsplan entwickelt werden mit einem Inklusionsbeirat und einem zentralen Ansprechpartner. Die Förderschulen könne man nach und nach auslaufen lassen, das Personal integrieren – das mache das Modell kostenneutral. Guter inklusiver Unterricht bedeute unter anderem das Lernen mit allen Sinnen, Teamarbeit im selben Raum, die Einhaltung von gemeinsamen Regeln, ein freundlicher Lehrerstil und Verantwortungsabgabe. Als Grundlage müsse man sich darauf verständigen, das Schulgesetz inklusiv anzupassen und Entscheidungen über Umwandlungen und Schließungen von Schulen zu treffen – dies sei Aufgabe der Schulträger.

Geld, so eine Bilanz der Workshops, in denen anschließend intensiv diskutiert wurde, dürfe kein Argument sein, die Inklusion weiter hinauszuschieben. Inklusive Beschulung könne zu einem Teil des Leitbildes einer Schule werden. »Es muss beginnen«, machten die Teilnehmer der Abschlussdiskussion deutlich. »Wir wollen nicht zusehen und warten, sondern mitgestalten.« ek