Alle tragen Verantwortung für die Zukunft

Volkstrauertag mit Gottesdienst und stiller Kranzniederlegung | Nicht die Augen verschließen

Am Volkstrauertag legten Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek und der stellvertretende Bürgermeister Marcus Seidel im Namen der Stadt und des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge zwei Kränze am Mahnmal nieder – wegen der Pandemie im kleinsten Kreis.

Einbeck. Zu einem Gottesdienst zum Volkstrauertag luden die lutherischen, katholischen und baptistischen Gemeinden Einbecks in die Münsterkirche ein. Pastor Martin Giering bezog sich in seiner Predigt auf das Markus-Evangelium und stellte fest, dass es keine gerechten Kriege gebe, nur selbstgerechte Krieger. Nicht Abgrenzung, sondern Öffnung und Herzlichkeit seien das, was Gott als Weg zur Freude weise. In ihrem Grußwort rief Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek alle dazu auf, ihren Beitrag zu leisten, dass in Einbeck kein Klima von Hass, Gewalt oder Ausgrenzung entstehen kann.

»Nur durch die Erziehung der nachfolgenden Generationen im Geist von Frieden, Mitgefühl, Mut und kritischem Denken können wir verhindern, dass die Grausamkeiten des Krieges sich wiederholen« – mit diesem Zitat aus der Videobotschaft von Violeta Avram, der Büroleiterin der Hanns-Seidel-Stiftung in der Republik Moldau, die sie in diesem Jahr anlässlich des Gedenkens an den 8. Mai 1945 veröffentlicht hat, begrüßte Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek im Namen von Rat und Verwaltung die Gottesdienstbesucher.

Am Volkstrauertag wird erinnert an die Opfer von Krieg und Gewalt, und es wird gemahnt zu Versöhnung, Verständigung und Frieden. 2020 jährt sich das Ende des 2. Weltkrieges zum 75. Mal. Am Ende der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges standen mehr als 55 Millionen Tote, Ruinen, Massenmord, Schutt und Asche in Europa und darüber hinaus. Viele Deutsche empfanden die Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 als Niederlage. 40 Jahre später, am 8. Mai 1985, hielt Bundespräsident Richard von Weizsäcker eine bemerkenswerte Rede zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs im Parlament in Bonn.

Die Bürgermeisterin war an diesem Tag knapp 18 Jahre alt und dieser Tag und diese Rede haben sich »tief in ihr Bewusstsein« eingeprägt. »Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der national- sozialistischen Gewaltherrschaft.« Das sei wohl der bedeutendste und der am häufigsten zitierte Abschnitt aus von Weizsäckers Gedenkrede, so Dr. Michalek. Durch seine »nüchternen, aber unglaublich präzisen Sätze« gelang es ihm, ihr das eigentlich Unvorstellbare verständlich zu machen. Er bezeichnete in dieser Rede den »Völkermord an den Juden« ausdrücklich als »beispiellos in der Geschichte«. Auch schloss er zuvor wenig beachtete Opfergruppen wie Sinti und Roma in das Gedenken ein. Und er charakterisierte den Tag des Kriegsendes eben als einen »Tag der Befreiung«. Er verknüpfte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in dem er sagte, dass es lebenswichtig sei, die Erinnerung wachzuhalten: »Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren. Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.« Er bat junge Menschen, sich nicht hineintreiben zu lassen in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen, gegen Russen oder Amerikaner, gegen Juden oder Türken, gegen Alternative oder Konservative, gegen Schwarz oder Weiß. »Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.«

Diese 40 Jahre alte Botschaft von Richard von Weizsäcker sei aktueller denn je, unterstrich die Bürgermeisterin. »In unserer Gesellschaft schwinden das Bewusstsein für den Wert des Friedens und der Respekt vor dem Nächsten: Hassreden nehmen vor allem im digitalen Raum zu, wo politische Diskurse vielfach populistisch geführt werden und einen Anstieg von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung bewirken. Auch in unserer Stadt erstarken wieder Kräfte, die aus der Geschichte nicht gelernt haben und auch nicht lernen wollen. Sie gehen wieder auf die Straße, rufen die gleichen Hetzparolen wie damals, sie grenzen wieder Minderheiten aus, sie verüben wieder Gewalt gegen Menschen und Sachen.«

Angesichts dessen dürfe man nicht die Augen verschließen, nicht schweigen, nicht tatenlos hinnehmen, was in Einbeck geschieht. Vielmehr sollte man deutlich machen, dass es in Einbeck eben kein Klima von Hass, Gewalt oder Ausgrenzung gibt. Einbeck solle eine Stadt sein, in der man sich füreinander einsetzt, den Nächsten im Blick behält, in der Menschen solidarisch miteinander umgehen, in der eine Kultur des menschlichen Miteinanders gepflegt wird. »Wir alle tragen Verantwortung für die Zukunft – für Freiheit, für eine starke Demokratie, für eine friedliche und menschliche Welt«, so Michalek.

Die Geschichte um Johannes und Jakobus, die Söhne des Zebedäus, rückte Pastor Giering in den Mittelpunkt seiner Predigt. Denn manchmal gehe es in der Welt zu wie im Kindergarten, wichtig sei, wer die größere Schaufel und den besseren Eimer habe. Dabei seien Konflikte einfach zu lösen, in dem man zuhöre, sich in andere hineinversetze, die Bedürfnisse des anderen wahrnehme und zu Kompromissen bereit ist. »So einfach könnte es sein«, so Giering, oftmals aber gehe es um Macht oder Rechthaberei – genau wie bei Johannes und Jacobus, die um den besten Platz streiten. Giering unterstrich, dass es nicht richtig sei, sein Ego aufzupolieren mit der Abwertung des anderen, vielmehr wichtig seien Öffnung und Herzlichkeit. »Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht klarkommen.«sts