Allein auf herrlichen Straßen

Aus Bierbaums Reisebericht von 1902: Mit einem »Adler« nach Italien

Das Abenteuer einer Automobil-Hochzeitsreise 1902, notiert von Otto Julius Bierbaum, brachte Stephan Schäfer (links) den Zuhörern im PS.Speicher näher. Dr. Günter Diener (rechts) dankte für die gekonnte Rezitation.

Einbeck. Als das Reisen mit dem Automobil etwas Exotisches war, gute Vorbereitung erforderte und idealerweise einen Chauffeur, hat sich Otto Julius Bierbaum auf den Weg gemacht nach Italien, dem Heimatland seiner Ehefrau. 1902 reiste er mit dem »Adler Laufwagen« bis nach Sorrent. Seine Erlebnisse hat er aufgeschrieben.

Aus »Eine empfindsame Reise im Automobil« hat Stephan Schäfer, Experte für zeitgenössische Reisebeschreibungen, auf Einladung der Förderfreunde des PS.SPEICHERs vorgetragen. Bierbaums Werk gilt als erstes Autoreisebuch der deutschen Literatur. Die weitesten Reisen unternehme man im Kopf, stellte Schäfer fest. Der Adler, den Julius Bierbaum für seine Reise ausgewählt habe, sei ein Alleskönner gewesen. »Reisen, ohne zu rasen«, mit diesem Motto sei er unterwegs gewesen. Feuilletonist Bierbaum, 1865 in Schlesien geboren, war Schöpfer solcher Bonmots wie »Humor ist, wenn man trotzdem lacht«. Er war eine wichtige Persönlichkeit in der Jugendstil-Szene in München und Mitarbeiter des »Simplizissimus«.

Der Adler, ein rotes Cabrio mit Chauffeur und acht PS, wurde ihm von einem Berliner Verlag zur Verfügung gestellt. Er verfügte über drei Geschwindigkeiten und war »ingeniös erfunden«. Das Ehepaar Bierbaum hatte wasserdichte Mäntel, Sportkleid und -anzug, Ledermützen, drei Reisedecken und hohe Stiefel dabei. Man war für Kälte vor und Hitze nach dem Brenner gerüstet und hatte eine Gummibadewanne verlastet. Ein Vorteil dieses Reisens sei es, dass man nie Angst haben müsse, den Zug zu versäumen. Bierbaum schätzte die Freiheit der Bewegung. Die Fahrt war die Hochzeitsreise. Das Durchschnittstempo lag bei 30 Kilometern pro Stunde, gefahren wurde man von Louis Riegel: Er war Maschinist, Besorger und Lenker, hatte bei Adler gelernt und »konnte gut mit Menschen«.

Die Beobachtungen unterwegs hat Bierbaum in langen Briefen festgehalten, mit pointierten Bemerkungen: In Venedig bezeichnet er das Grandhotel als »Engländer-Falle«. Die Deutschen schätzten Ruhe und Bequemlichkeit, Engländer und Amerikaner wollten »Tingeltangel auf dem Canale Grande«, auf dem »Gitarrenrupfer« ihr Programm runterleierten. Der Hauptreiz der Stadt liege im Verfall, mutmaßte er. Sie sei aber doch eine riesige Schaustellung eines Kunstwerks.

In Florenz regte er sich über den »Feigenblätterunfug« an den Kunstwerken auf, »Miniaturblechschürzen« auf Wunsch englischer Touristinnen. Für die Schönheit der Toscana fand Bierbaum keine Worte, die Harmonie von Kultur und Natur begeisterte ihn. Zuweilen vermisste er die Stille, die Italiener seien so laut. »Rom in fünf Tagen«, das erzeuge einen »Wirbel der Seele«.

Ein Deutscher brauche für Rom mindestens ein halbes Jahr. Es sei die Hauptstadt der europäischen Kultur. Ratloses Staunen, nachdenklich werden und die Frage, wie es untergehen konnte, kamen ihm in den Sinn. Die Katakomben betitelte er als »Maulwurfsgänge des Todes«. Schätzen lernte er die »gute römische Trappisten-Schokolade«. Viele Bettler kamen ihm vor wie ästhetisch malerisch Zerlumpte.

Unterwegs gingen die Gedanken immer wieder, selbst beim Tanken in der Apotheke, zu Goethe, der Italien ebenfalls bereiste. Je weiter es nach Süden geht, desto staubiger wurde es. Auserlesenen Reisegenuss und Schönheit erlebten Bierbaums bei Amalfi. Die Straßen seien wie gemacht für das Automobil. Wenn man die erste größere Autoreise plane, sollte man Italien im Sommer wählen, so Bierbaums Rat – mit der heute unglaublich anmutenden Begründung, man habe die herrlichen Straßen für sich allein. Bierbaum sah in den schönen und bequemen Reisewagen eine zukunftsreiche Industrie, die »Reisekur« sei ihm gut bekommen.

Förderfreunde-Vorstand Dr. Günter Diener dankte dem Rezitator, und er erinnerte an die kürzlich verstorbene Heidi Hetzer, die mehrfach bei den Förderfreunden zu Gast war.ek