»Geschichtet wie Schwarzwälder Kirsch«

Markus Wehmers Ausgrabungen erzählen aus Dorf- und Stadtgeschichte

Stadtarchäologe Markus Wehmer

Einbeck. Skelette, Münzen, Keramik, Feuersteine, Hausgrundrisse verschiedener Epochen: Stadtarchäologe Markus Wehmer hatte auch bei seinem zweiten Vortrag im Einbecker Geschichtsverein viel zu berichten. Zurzeit werde überall gebaut, stellte er fest. Die Chronische Nasenhöhlenentzündung kannte man bereits um 1770: Der Sturm »Friederike« hatte auch auf dem Neustädter Friedhof zu herausgerissenen Baumwurzeln samt zweier Gräber geführt.

Eine Untersuchung ergab: Im ersten Grab lag eine Frau, 30 bis 40 Jahre alt, mit diesen Nasenproblemen, mit einem auffallend flachen und hohen Hirnschädel. Die genaue Datierung war auch möglich, weil im Grab eine Münze von 1769 aus Hessen-Kassel dabei war.

Im zweiten Grab lag das Skelett eines Mannes, klein, robust, etwa 50 bis 60 Jahre alt, mit einer Rippenfraktur sowie Tumor und Abszess im Kiefer - das Publikum in der Teichenwegschule litt hörbar mit. Bei ihm fand sich eine Kupfermünze aus dem Jahr 1772 aus Sachsen-Coburg-Gotha. Durch Kirchenbücher will Wehmer versuchen, die Identität der zwei, die verwandt sein könnten, zu ermitteln. Beide lagen in der ersten Belegungsreihe des Kirchhofs.

Totenkrone an Marktkirche

Weiter ging die archäologische Reise zur Marktkirche. Direkt an der Außenwand bei den Fundamenten fanden sich gleich fünf Bestattungen, davon drei Kinder - ungetauft gestorbene »Traufkinder«: Von dem Trauf-Regenwasser, das hier herunterkam, erhofften sich die Eltern noch ein wenig geweihtes Wasser für die Kinder, damit diese doch in den Himmel kamen - im 14./15. Jahrhundert europaweit üblich.

In der Baugrube für das Kunstwerk »Von Null bis unendlich« entdeckte Wehmer Marktplatz-Pflasterschichten, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen, und erneut ein Kindergrab unmittelbar an der ehemaligen Friedhofsmauer der Marktkirche, das einen grün verfärbten Schädel aufwies.

Des Rätsels Lösung: Das sechs- bis achtjährige Mädchen wurde mit einer Totenkrone begraben, aus Drahtgeflecht mit sehr dünnen Perlen kunstvoll zu Blüten und umwickelten Stängeln gebunden, aufgenäht auf eine Haube, ein Brauch der Barockzeit. Die Grünfärbung stammt von den Kupfersalzen des korrodierenden Kopfschmucks.

Küchlers Feuersteine aus 19 Jahren

In Einbecker Dörfern, so berichtete Wehmer weiter, habe Hans-Jürgen Küchler zwischen 1999 und 2018 Feldbegehungen gemacht, über die bereits Ursula Werben berichtete. Diese Funde sollen nun wissenschaftlich untersucht werden, und dann wolle Küchler sie der Stadt schenken. Sehr viele Feuersteine entdeckte dieser aus dem Zeitraum zwischen 5.300 bis 5.000 vor Christus, die Zeit der ersten sesshaften Ackerbauern, erklärte Wehmer, so zum Beispiel in Buensen.

Die Steine dienten zumeist als Schneideinsätze von Sicheln, befestigt mit Birkenrindenpech. Ganz begeistert zeigte Wehmer sich auch von einer »unheimlich präzise gearbeiteten« vier Zentimeter langen Pfeilspitze aus Edemissen und jener aus der frühen Bronzezeit, zirka 2100 bis 1800 vor Christus, in Drüber sowie einer dreieckigen aus der noch älteren Epoche der Rössener-Kultur, etwa 4650 bis 4450 vor Christus.

Weinberg II: »Teileingetiefte« Grubenhäuser

Auch von der Arbeit auf einem 1,2 Hektar umfassenden Areal im Bereich des künftigen Wohngebiets Weinberg II erzählte der Archäologe (die Einbecker Morgenpost berichtete bereits teilweise). Ein gutes Drittel der zwei Kubikmeter Scherben aus einer Töpfereiabfallgrube habe man schon untersucht. Es handelt sich um die Überreste von mindestens 200 typischen Kugelbodentöpfen, welche man in der Wüstung Kugenhusen getöpfert hatte.

Um Getreidevorrat als Saatgut und Lebensmittel zu lagern, legte man in der Eisenzeit (etwa 600 bis 400 vor Christus) Vorratsgruben im Boden an, rund zwischen zwei und drei Kubikmeter groß - Wehmer erklärte gut und ließ die Begeisterung für seine Arbeit spüren. Sein geschultes Auge erklärte auch die Keramik auf Senkrechtaufnahmen: Vorratstopf als Kochtopf, Schüsseln, Reibsteine und gebrannter Lehm von Brotbacköfen.

Alles sei nun bei der Restauratorin. Sehr beeindruckte auch die Rekonstruktionszeichnung eines Grubenhauses, eine Bauweise, die zwischen dem neunten und zwölften Jahrhundert üblich war. Zwei mal drei Meter oder maximal vier mal fünf Meter groß waren sie »teileingetieft« in den Boden und erleichterten durch die Raumfeuchtigkeit die Webarbeit, dienten aber auch als Arbeitshäuser der Töpfer.

Kolberger Straße: Steinzeit-Hausgrundriss

Pfosten von Häusern, eines nachweislich aus der Steinzeit, die anderen aus der Zeit um 480 vor Christus, plus/minus 50 Jahre, fanden sich in der Kolberger Straße. Mit regelmäßigen Pfostenspuren, die sich auf einer Grundfläche von fünf mal zwölf Metern zeigten, konnte hier ein Grundriss eines der größten eisenzeitlichen Häuser in Südniedersachsen nachgewiesen werden.

Hier wies man Strukturen von verstreut liegenden Einzelgehöften nach, zwischen denen sich wenige Vorrats- und Abfallgruben befanden, keine Dörfer.

Jagdfallen an der Schwammelwitzer Straße:

Ausführlich erläuterte Wehmer auch die Grundrisse, Häuserpfosten und Fallgruben für Wild, sogenannte »Schlitzgruben« in der Schwammelwitzer Straße (die »EM« berichtete): 15 Häuser aus der Zeit um 500 bis 400 vor Christus sowie drei aus der Rössener-Kultur, das heißt, aus der Zeit um 4650 bis 4450 vor Christus, wurden nachgewiesen.

Epochenschichten am Stiftplatz 9

Spannendes auch am Stiftplatz 9, wo das neue Gemeindehaus entstehen soll: Suchschnitte zeigten hier »wirklich wie bei einer Schwarzwälder Kirschtorte« Schicht um Schicht vorangegangene Zeiten: Mutterboden, Lößschicht, Müll des 18. Jahrhunderts, Keramik aus dem 15., Schicht des 14. Jahrhunderts bis zur Sohle, der Eisenzeit.

Eine Grube aus dem 17. Jahrhundert förderte bemalte Keramik, Duinger Steinzeug, Tabakpfeifen, den Stiel eines Portweinglases und Reste von Pyrmonter Mineralwasserflaschen – damals in der Apotheke zu kaufen – zutage, außerdem noch einen Goslarer Mariengroschen von 1752. Von der jüngsten Grabung in der Knochenhauerstraße werde er das nächste Mal berichten, schloss der Archäologe unter viel Beifall seinen anschaulichen Vortrag mit fast 90 Abbildungen.

Dr. Elke Heege, Vorsitzende des Geschichtsvereins, dankte ihm, mit den zahlreichen Zuhörern in der Teichenwegschule für den spannenden Vortrag. Am Dienstag, 18. Juni, wird im Alten Rathaus ab 17 Uhr in einer öffentlichen Veranstaltung Dr. Thomas Kellmann den dritten Band seiner Denkmaltopographie vorstellen. Darauf wiesen Dr. Heege und Dr. Kellmann hin.des