Ausstellung dort, »wo man drüber stolpert«

»Arolsen Archives«: Für persönliche Habe von NS-Opfern Recherche nach Angehörigen | »Unschätzbarer Wert«

Bei der Ausstellungseröffnung dabei waren (von links): Christa Seidenstücker, »Arolsen Archives«, Alexander Kloss, Eunice Schenitzki, Astrid Klinkert-Kittel, Dr. Sabine Michalek, Leoretta Itaj, »Arolsen Archives«, Susanne Gerdes, Dagmar Baur-Burg und Dr. Christian Riemenschneider.

Einbeck. 2015 konnten den Söhnen des Widerstandskämpfers Peter Will viele Fotos und ein Abschiedsbrief ausgehändigt werden, die er vor seiner Verhaftung 1943 schrieb. 2019 erhielt die Enkelin von Teodor Buttler dessen Armbanduhr und Manschettenknöpfe. Der Opa, verhaftet während des Warschauer Aufstands, wurde im Oktober 1944 bei einem Fliegerangriff auf das Außenlager Neuengamme getötet. Zwei Beispiele, wie persönliche Gegenstände von NS-Opfern, die die »Arolsen Archives« aufbewahrten, nach Recherchen – betroffen sind mehr als 30 Länder – zu den Angehörigen gelangten.

Nachzulesen ist dies auf großen Postern in einem Container an der Einbecker Marktkirche, gegenüber von Woolworth. Bis zum 22. September lenkt dieser Container die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich und fordert geradezu auf, sich mit dem Inhalt – mit Berichten von Gegenständen, die Geschichte erzählen – auseinanderzusetzen.

Keine Baustelle, keine Kunst im öffentlichen Raum ist dies. Sondern dort, »wo man drüber stolpert«, erklärte Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek, steht die Wanderausstellung »Stolen Memory«, zusammengestellt von den »Arolsen Archives«, eine Ausstellung, die nochmals verdeutlicht, wie menschenverachtend die NS-Zeit war. Auch hat die Containerschau das Ziel, durch eine breite Öffentlichkeit Menschen zu finden, die bei der Rückgabe-Recherche von 2.500 weiteren Gegenständen helfen können – heute durch die sozialen Medien eher möglich als früher. Auch sei das Ganze ein Wettlauf gegen die Zeit. Näheres ist auf der Homepage »stolen memory.org« zu lesen.

Geöffnet ist täglich von 9 bis 19 Uhr bei freiem Eintritt. Leoretta Itaj von den »Archives« ist vor Ort und gibt Erläuterungen. In herunterladbaren Apps auf den Postern – auch im Internet zu finden – berichten Angehörige von den Verfolgten, und was ihnen diese zurückerhaltenen Dinge bedeuten.
Den Opfern im Nationalsozialismus wurden alle persönlichen Gegenstände wie Schmuck, Fotos und Dokumente weggenommen. In Arolsen suchte man über Jahrzehnte Schicksale von Vermissten zu klären, erinnerte Dr. Michalek bei der Ausstellungseröffnung mit der Landrätin Astrid-Klinkert-Kittel, Christa

Seidenstücker von den »Arolsen Archives«, Susanne Gerdes, Dagmar Baur-Burg und Monika Reichardt vom Museum, in Vertretung des erkrankten Leiters Marco Heckhoff, »dem Motor der Ausstellung mit ganz viel Vorarbeit«, so die Bürgermeisterin. Außerdem noch da waren Ratsfrau Eunice Schenitzki, Ratsherr Alexander Kloss und Referent Dr. Christian Riemenschneider, der bereits 2019 in Einbeck zu Provenienzforschungs-Ergebnissen berichtete sowie erste interessierte stehenbleibende Passanten.

Nicht nur die Dokumente, sondern auch die sogenannte Zentrale Namenkartei mit über 55 Millionen Hinweiskarten auf rund 17,5 Millionen Menschen zählen inzwischen zum UNESCO-Weltdokumentenerbe, rief Dr. Michalek ins Gedächtnis. Bis heute würden jährlich noch 20.000 Anfragen eintreffen. In Arolsen bewahrt man aber auch noch zigtausende von persönlichen Gegenständen auf und versucht, die Nachkommen der einstigen Besitzer zu finden. Es sei von »unschätzbarem, ideellem  Wert für Familien«, diese letzten Gegenstände zu erhalten«, erklärten beide, Dr. Michalek und Landrätin Astrid Klinkert-Kittel, »diese gestohlenen Erinnerungen, gestohlenen Beziehungen«. Es sei so unglaublich wichtig, die Erinnerung in die Gegenwart zu transportieren, »bei den heutigen Tendenzen«, stellte Dr. Michalek fest und Klinkert-Kittel pflichtete ihr bei.
Ergänzt wird die Ausstellung vom StadtMuseum durch Exponate mit lokalen Bezügen.

»Wir freuen uns, dass wir diese Ausstellung nach längerer Vorlaufzeit, gemeinsam mit dem Einbecker Museum, der Kreisvolkshochschule, unterstützt von der ’Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Northeim’, hier haben«, erklärte die Landrätin und wies noch auf das pädagogische Begleitmaterial hin, das zur Ausstellung gehört.

Dr. Christian Riemenschneider, in Einbeck bereits 2019 bei einer Tagung zur Provenienzforschung im Museum zu erleben, referierte kurz zum Thema. Im kommenden Jahr erscheint ein Buch von ihm über diese Projektarbeit, die beim Netzwerk Provenienzforschung und beim Landschaftsverband Göttingen angesiedelt ist.des