Bei Mobbing muss die Gruppe ihr Verhalten ändern

Karl Dambach referiert in der Goetheschule über Mobbing / Kognitive, emotionale und Handlungsebene einbeziehen

Mobbing kann jeden treffen – das stellte Karl Dambach, Fachleiter für Erziehungswissenschaften am Studienseminar für berufliche Schulen in Wiesbaden, jetzt bei seinem Vortrag fest. Auf Einladung des Pädagogischen Forums der Goetheschule nahm er vor interessierten Zuhörern Mobbing in den Blick. Das Cyber-Mobbing stufte er als verstärkte Form des Mobbens ein, denn Cyber-Mobber seien oft auch in der realen Welt Mobber.

Einbeck. Seit den 80er Jahren gebe es den Begriff Mobbing, erklärte Dambach. In Anlehnung an den Verhaltensforscher Konrad Lorenz, der diesen Begriff geprägt hat, soll damit die Ausgrenzung, die Aggression, die Isolation eines Einzelnen durch Mehrere bezeichnet werden, die über einen längeren Zeitraum anhält. Beim Mobbing handelt es sich nach Dambach um einen gruppendynamischen Prozess. Wenn Mehrere ständig und lange gegen einen Einzelnen gehen, ihn körperlich oder auch nur psychisch angreifen, ihn hänseln oder auch »nur« Streiche spielen, ihn ausschließen – dann soll von Mobbing gesprochen werden.

Kinder und Jugendliche, so Dambach weiter, grenzten sich von der Erwachsenenwelt ab, die Peer-Group werde wichtiger. Deshalb seien Botschaften wie »Du bist anders« extrem belastend. Denn »Kinder brauchen Kinder«. In den Gruppen gebe es Hierarchien mit Gruppenführer, Mitläufer, Zuschauer, Einzelgänger und Außenseiter. Die Opfer reagierten auf die Ausgrenzung, werteten sich auf, suchten sich Bündnispartner – Schüler oder auch Lehrer –, stellten sich in den Mittelpunkt. Denn im Stress verfielen die Menschen in Stereotypen, werden aggressiv oder treten die Flucht an. Am Anfang stehe die Ausgrenzung durch die Gruppe, es folge das Abwehrverhalten des Einzelnen. Daraus könnten sich absonderliche Verhaltensweisen entwickeln, so dass der Jugendliche seine Ausgrenzung selbst verschuldet zu haben scheint. Gut sei es, so Dambach, Kindern kleine Versagungen zuzumuten. Dann steige die Frustrationstoleranz, das Kind sei nicht so empfindlich. Denn Abgelehnte werden aggressiv, schwieriger, unkontrollierter. Die allgemeine Freude der Mehrheit am Mobbing entlaste Täter und Zuschauer. Jeder einzelne Schüler trage zum Mobbing bei, jeder einzelne Stich summiere sich beim Opfer auf.

Mobbing werde von Lehrkräften häufig nicht erkannt, denn Vieles finde in den Pausen, auf dem Weg zur Schule oder innerhalb der Schule statt. Vereinzelte Hänseleien seien nicht so tragisch, aber wenn sie ausuferten, seien sie schwer auszuhalten. Schwierig sei es für die Lehrkräfte auch, Isolation und Nichtachtung zu erkennen.

Eltern sollten ihr Kind stützen und stärken, appellierte Dambach. Man müsse ins Gespräch kommen, familiären Rückhalt bieten und von Schuld- und Minderwertigkeitsgefühlen entlasten. Denn: Jeder könne Mobbing-Opfer werden. Am besten sei es, die Vorkommnisse zu dokumentieren, das Opfer bestimmen zu lassen, wann, wo und wie darüber gesprochen werde und eine Lehrkraft des Vertrauens einzuschalten. Eltern der anderen Kinder soll man für ihre eigenen Kinder sensibilisieren. Mitschüler können beispielsweise mit dem Opfer allein reden oder sich auf seine Seite stellen und damit Zivilcourage zeigen. Hilfreich sei die Zuammenarbeit zwischen Eltern und Lehrern.Selbst wenn Lehrkräfte Mobbing wirklich erkennen, falle es ihnen schwer, etwas dagegen zu unternehmen. Die Bestrafung der Täter werde als ungerecht empfunden, weil man sicher ist, die Opfer seien gar keine, sondern hätten sich ihre Behandlung selbst zuzuschreiben. Durch Strafe werde kein Einfühlen in das Opfer und damit kein Einstellungswandel erreicht. Auch die direkte Ansprache sei oft nicht erfolgreich. Fast niemand habe ein schlechtes Gewissen, denn »Dissen« ist unter Kindern und Jugendlichen eine anerkannte Verhaltensweise. Das werde in bestimmten Fernsehsendungen sogar vorgemacht, stellte Dambach fest. Seiner Meinung nach reicht es nicht aus, auf der kognitiven Ebene zu bleiben, wie bei Appellen oder schriftlichen Verträgen. Vielmehr müssten auch die emotionale Ebene und die Handlungsebene mit einbezogen werden. Dambach plädierte nach Diagnostik und Gespräch für verdeckte Intervention und vor allem soziales Lernen für die gesamte Klasse. Ein verfremdeter Einstieg mit Literatur samt szenischem Spiel kann dabei helfen, nah an den Einzelnen heranzugehen und die gesamte Gruppe einzubeziehen.

Gerade im Grundschulbereich sinnvoll sei der »No Blame Approach« (Ohne Schuld-Ansatz), berichtete eine Lehrerin. Mit dieser lösungsorientierten Vorgehensweise habe man ein Instrument an der Hand, bei Mobbing zum Wohl und Schutz der Mobbing-Betroffenen zu handeln mit dem Ziel, Mobbing nachhaltig zu stoppen. Die Faszination und gleichzeitig große Herausforderung des Ansatzes liege darin begründet, dass trotz der schwerwiegenden Problematik auf Schuldzuweisungen und Bestrafungen verzichtet wird. Vielmehr vertraut der Ansatz auf die Ressourcen und Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen, wirksame Lösungen herbeizuführen.

Annett Steinberg, Fachkonferenz Deutsch, stellte besonders heraus, dass der Referent für das Einfühlen in das Opfer plädierte. Marion Villmar-Doebeling vom Schulelternrat bedankte sich für den aufschlussreichen Vortrag. Die Schulleitung, der Fachbereich Deutsch und der Vorstand des Schulelternrates bedankten sich zudem beim Förderverein der Goetheschule und der Sparkasse Einbeck für die finanzielle Unterstützung.sts