Beratungsarbeit hat sich komplett verändert

»Billabong« coronabedingt geschlossen: Wichtiges niedrigschwelliges Angebot fällt weg | Neue Formen der Hilfe

Sozialberater Julian Oppermann ist froh, dass er in der Begegnungsstätte der Arbeiterwohlfahrt nach Anmeldung und mit entsprechenden Schutzvorkehrungen Klienten empfangen kann. Die meisten Probleme müssen aber derzeit telefonisch gelöst werden, und der Treff »Billabong« musste sein Frühstücksangebot und die Lebensmittelausgabe coronabedingt einstellen.

»Das ist keine günstige Kombination.« Die coronabedingte Schließung des Tagestreffs »Billabong« in der Arbeiterwohlfahrt (AWO), im Haus der Sozialarbeit in der Einbecker Grimsehlstraße, dazu die strenge Kälte der vergangenen Tage und alles vor dem Hintergrund des langen Lockdowns, das macht vielen Menschen und auch den Klienten der Beratungsstelle der AWO zu schaffen. Dennoch ist es möglich, weiterhin Angebote zu machen beziehungsweise wahrzunehmen, allerdings, auch das wegen der Corona-Vorgaben, nicht so niedrigschwellig wie früher – aber das war ja gerade das Besondere dieser Anlaufstelle.

Einbeck. Menschen soll auch in dieser Zeit unkompliziert und vertraulich geholfen werden, in einem respektvollen Umgang. Das bleibt für die AWO mit ihrem Angebot »Essen auf Rädern« und für Julian Oppermann, zuständig für die Sozialberatung, weiterhin wichtig. Er hat großes Verständnis für die derzeitige Notsituation, in der sich viele Klienten befinden. Leider könne man die Beratung derzeit aber leider nicht im gewohnten Umfang anbieten.

Der Wintereinbruch stellte einige Klienten vor zusätzliche Probleme: Während des scharfen Frostes in der vergangenen Woche seien die Schlafsäcke, die vor einigen Wochen vom Arbeiter-Samariter-Bund gespendet wurden, gut nachgefragt worden, berichtet er. Auch der Rotary-Club habe Winterkleidung gespendet, die sehr willkommen war. »Kleidung und Schuhe gehen immer«, sagt er, nach warmer Ausstattung werde regelmäßig gefragt. Einbeck sei da allerdings kein Brennpunkt wie etwa die Großstädte. Durchreisende, die besondere Hilfe benötigten, habe es sonst zwei bis drei pro Monat gegeben. Während der gesamten Corona-Monate waren es insgesamt etwa eine Handvoll.

Einstellen musste die AWO das Frühstücksangebot von »Billabong« und die Lebensmittelausgabe, die dort dreimal pro Woche stattgefunden hat. Beides, betont Julian Oppermann, seien wichtige und gute Angebote, aber man habe am 17. März des vergangenen Jahres schließen müssen und bisher auch nicht wieder öffnen können. Damit sei eine Situation eingetreten, die man sich zuvor gar nicht habe vorstellen können. Mit den vorhandenen Räumen beziehungsweise Gegebenheiten sei jedoch kein ausreichendes Hygienekonzept möglich gewesen, Abstände wären nicht einzuhalten, Zugangsbeschränkungen schlecht umzusetzen. »Wir hoffen aber, dass es irgendwann wieder los geht«, stellt er fest. Aktuell gibt es aber die Möglichkeit, Wäsche zu waschen und zu trocknen, allerdings nach vorheriger telefonischer Anmeldung.

Das Gleiche gilt auch für die Sozialberatung. Dazu hat die AWO die Begegnungsstätte in ein coronataugliches Büro umgewandelt, mit Desinfektion, großem Abstand und Glaswänden. Hier ist Julian Oppermann persönlich ansprechbar; er arbeitet aber auch oft mit dem Briefkasten-Prinzip, wie er erläutert: Telefonisch können Klienten ihre Probleme schildern, und er hilft, soweit es ihm möglich ist, mit entsprechenden Schreiben, beispielsweise an Behörden. Und diese Post wirft er dann bei den Klienten in den Briefkasten. Sie unterschreiben und senden das Schriftstück weiter. Sehr viele Beratungen, stellt er grundsätzlich fest, liefen jetzt anders. Früher sei man ganz spontan mal beim Frühstück ins Gespräch gekommen und habe Probleme thematisiert und gelöst, das falle jetzt alles weg. Für einige Klienten könne es schon zum Problem werden, einen Termin zu vereinbaren.

Insgesamt, das gilt für die Klienten wie auch für weite Teile der Bevölkerung, werde man »langsam mürbe« angesichts der Pandemie und der Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung. Insbesondere die Kontaktbeschränkungen machten den Menschen zu schaffen, und das sei auch bei den früheren Gästen des Treffs so und bei denen, die Beratung in Anspruch nehmen, hat Oppermann festgestellt.

Aber es gebe auch Positives, so seine Erfahrung der vergangenen Monate: Manche Freund­schaften hätten sich intensiviert in dem Rahmen, in dem das erlaubt sei. In Verbindung bleibe man etwa über WhatsApp, das sei eine gute Sache. Andere hätten sich allerdings komplett zurückgezogen, bedauert er, das gehe im Einzelfall so weit, dass selbst existenzielle Fragen nicht weiter verfolgt würden, bis hin zur Entstehung wirtschaftlicher Probleme. Bei dieser Form der Vereinsamung gebe es auch eine hohe Dunkelziffer, fürchtet er.

Die Gruppe der Ratsuchenden umfasse über Familienangehörige alle Altersgruppen, vom Schulkind bis zum hochbetagten Rentner. Die früheren regelmäßigen Frühstücks-Besucher, im Kern 15 bis 20 täglich, seien etwa 40 bis 60 Jahre alt und alleinstehend. Für sie sei es besonders traurig, dass »Billabong« geschlossen werden musste, denn der Treff habe ihrem Tag Struktur gegeben und soziale Kontakte ermöglicht. Niedrigschwellig sollte das Angebot immer sein, das sei jetzt leider nicht mehr im früheren Ausmaß möglich.

Eine stärkere Nachfrage registriert Oppermann bei Anträgen auf Unterstützung durch die Bundesstiftung »Familie in Not« mit Hilfen für Mutter und Kind. Für Geringverdiener könne das sehr wichtig sein, wenn etwa Sonderausgaben im Zusammenhang mit dem Nachwuchs zu bewältigen seien. Es sei eine gute Sache, dass die Beratungsstelle so vielen verschiedenen Menschen helfen könne.

Zum Kernangebot zähle weiterhin, eine Postadresse zur Verfügung zu stellen, aber auch die Weitervermittlung an andere Beratungsstellen sei wichtig, führt er aus. Dazu müsse man sich die komplette Problemlage anschauen, denn häufig würden psychische und finanzielle Probleme in engem Zusammenhang stehen. Während des vergangenen Jahres habe es, trotz Corona, viele Neukontakte für Beratungen gegeben, obwohl es ohne die gewohnte offene Tür ein ganz anderes Arbeiten sei. Glücklicherweise seien noch viele Möglichkeiten vorhanden seien, um Hilfe anbieten zu können - und sei es, dass Ratsuchende an die Scheiben der AWO-Geschäftsstelle klopfen oder ihn in der Stadt ansprechen würden. Insgesamt sei er froh, dass der direkte Kontakt noch möglich sei – man müsse das Beste daraus machen.

»Wenn es wieder weitergeht ...«, oft höre er diesen Satz, wenn sich die Klienten an Vergangenes erinnerten wie die gemeinsamen Ausflüge zur Weihnachtszeit oder das Grillen auf dem Hof, Sie wünschen sich, dass man bei »Billabong« daran anknüpfen kann – möglichst bald. Die Erinnerungen sind stark.ek