Bewährungsstrafe: 5,92 Euro werden zum Problem

Bewährungsstrafe für psychisch kranken Straftäter | Betreuung erforderlich

Die Ansage war deutlich: Sollte sich der Angeklagte nicht in eine dauerhafte Betreuung begeben, um seine psychische Krankheit unter Kontrolle zu behalten, steht fast schon sicher fest, welche Entwicklung sich abzeichnet: erneute Straftaten, Haft, Abschiebung. Der Anlass für derart klare Worte von Amtsgerichtsdirektor Thomas Döhrel war gering­fügig, ein Ladendiebstahl über Lebensmittel in Höhe von 5,92 Euro. Aber zusammen mit der Vorgeschichte des Angeklagten wurde aus dieser kleinen Summe ein Zeichen.

Einbeck. Der in Afghanistan geborene junge Angeklagte, nach eigenen Angaben soeben 20 Jahre alt geworden, hat Anfang Februar einen Ladendiebstahl begangen in einem Supermarkt, in dem er Hausverbot hatte. Er habe Hunger gehabt, begründete er die Tat, wobei er, so Richter Döhrel, »günstige« Lebensmittel gewählt habe; der Angeklagte war geständig.

Im Alter von 15 Jahren ist er nach Deutschland gekommen, wo er sich schnell einlebte, und auch der Schulbesuch ließ sich gut an; von einem »Musterflüchtling« war die Rede. Das änderte sich im Sommer 2017, als er eine psychische Erkrankung bekam. Er fiel durch unterschiedliche Straftaten auf und gilt als vermindert straffähig. In diesem Zusammenhang wurde durch einen Rechtsmediziner festgestellt, dass der Angeklagte bereits 1997 oder 1998 geboren sein muss – zum Zeitpunkt des Ladendiebstahls war er also älter als 21 Jahre, somit gilt Erwachsenenstrafrecht.

Kurze Freiheitsstrafe oder Bewährung

Wenn er, so sein gesetzlicher Betreuer, Medikamente nehme, gebe es gute Chancen, dass er sein Leben im Griff habe. Er lebe weitgehend zurückgezogen. In einem Betreuten Wohnen wäre er gut aufgehoben, aber dagegen sträube er sich.

Er habe gestohlen, um etwas zu essen zu haben, stellte die Staatsanwaltschaft fest. Andererseits gebe es Vorbelastungen, der Angeklagte sei ein Bewährungsbrecher. Kurze Freiheitsstrafe oder Bewährung? Da tendiere man zur Bewährung in der Hoffnung, dass weitere Hilfsmaßnahmen anlaufen könnten.

Keine Geldstrafe

Eine Strafe müsse es geben, stellte die Verteidigung fest; eine Geldstrafe werde hier nicht greifen. Eine Bewährungsstrafe halte man für angemessen im Zusammenhang mit der weiteren medizinischen Versorgung des Mandanten. Dann werde es auch zu keinen weiteren Verfehlungen mehr kommen.

Diebstahl für täglichen Bedarf

Hausfriedensbruch und Diebstahl: Amtsrichter Döhrel verhängte mit dem Jugendschöffengericht eine Haftstrafe von vier Monaten auf Bewährung. Der Angeklagte habe für den täglichen Bedarf gestohlen. Das sei verboten, aber nicht hochgradig kriminell. Das treffe allerdings auf das falsche Geburtsdatum zu, das er bei der Einreise angegeben habe, was bisher keine Behörde aufgegriffen habe. Da konnte Döhrel seitens des Gerichts nur großes Unverständnis äußern.

Die erheblichen Vorbelastungen würden gegen den Angeklagten sprechen. Eine Geldstrafe halte das Gericht nicht für richtig. Auch wenn die Strafe auf Bewährung derzeit nicht spürbar sei, sei das Gericht doch ­sicher, dass der Angeklagte in eine Einrichtung ziehen müsse, in der man ihn versorge und regelmäßig Medikamente verabreiche. Ohne Behandlung werde es drei Tage später wieder zu einer Straftat kommen, »dann zwei Jahre in den Knast, dann in den Flieger nach Afghanistan«, machte der Richter mit Nachdruck klar. Gehe es dagegen in eine betreute Einrichtung, könne alles gut werden – aber nur dann, »und das ist der Punkt.«ek