Das Normale muss immer wieder neu definiert werden

Abiturfeier an den Beruflichen Gymnasien der BBS Einbeck | »... weil wir es schaffen wollten«

Die Absolventen der Beruflichen Gymnasien konnten ihre Abiturzeugnisse in diesem Jahr wieder im feierlichen Rahmen entgegen nehmen.

Einbeck. Ein guter Jahrgang ist an den Berufsbildenden Gymnasien der Berufsbildenden Schulen Einbeck mit dem Abiturzeugnis entlassen worden - im Rahmen von zwei Feiern, um coronagerecht auch Angehörigen die Teilnahme zu ermöglichen.

Es sei etwas Besonderes, den Abschluss zusammen feiern zu können, wieder mehr Gesichter zu sehen, freute sich Schulleiter Renatus Döring. Vor einem Jahr sei die Verabschiedung nur in sehr kleinem Rahmen möglich gewesen, jetzt gehe etwas mehr. Es gebe Lichtblicke in dieser Pandemie, etwa diese Feier.

Zuletzt habe man vor fast zwei Jahren das Forum füllen können. Die Pandemie habe vieles in Frage gestellt, was »normal« erscheine. Freunde treffen, Essen gehen, Abiball, sei das normal? Jede Woche Briefe vom Kultusministerium? Das erste Mal essen zu gehen, sei ein Fest gewesen, berichtete er, etwas Besonderes, wenngleich eigentlich etwas Normales. Zudem verändere sich Normalität mit dem technischen Fortschritt. Inzwischen trage man das Wissen der Welt mit dem Smartphone in der Hosentasche. Etwas nachschlagen, in Kontakt bleiben, das sei normal geworden. Vor zehn Jahren sei ein Wochenende mit den Eltern für die Abiturienten vermutlich normal gewesen, heute dagegen etwas Ungewöhnliches. Das Normale müsse immer wieder neu definiert werden.

»Deutschland. Aber normal« sei ein Werbevideo der AfD. Zu sehen seien weiße, heile Familien, behütet und glücklich. Man sehe nicht, was dahinter stehe: Abschaffung der Maskenpflicht, Leugnung des Klimawandels, Einwanderungsstopp. Das gesellschaftliche Leben sei mit Veränderungen verbunden. In der Pandemie habe man riesige medizinische Fortschritte erlebt, etwa die Entwicklung der mRNA-Impfung, eine Technologie, die auch gegen andere Krankheiten zum Einsatz kommen könnte. Ganz vorn dabei seien zwei Deutsche aus türkischen Einwandererfamilien. Gut, dass die AfD nicht das Sagen gehabt habe, als deren Eltern nach Deutschland kamen. Vielfalt sei wichtig für die Gesellschaft, sie bringe mehr Vor- als Nachteile.

In der Pandemie habe man einen Digitalisierungsschub an der Schule erlebt. Videokonferenzsysteme würden selbstverständlich genutzt. Das Umstellen vom Präsenzunterricht sei in kurzer Zeit gelungen. Veränderungen ließen sich nicht aufhalten, »sie kommen auf uns zu.« Der Wirtschaftsphilosoph Anders Indset bezeichnete die aktive Gestaltung als »zukünften«. »Wir müssen zukünften und Probleme aktiv lösen«, stimmte Döring zu. In der Schule gehe es nicht mehr darum, nur Wissen zu vermitteln, es komme aufs Verstehen an. Wissen müsse man in Beziehung setzen. Mit dem Zukünften beschäftige man sich an der BBS übrigens schon lange, ohne dass man das Wort kannte.

Ein Lichtblick in trüber Zeit sei die Verleihung des Deutschen Schulpreises gewesen, erinnerte er. Der Unterricht sei so, dass man durch die Brille von Schülern schaue. Schüler würden befragt, Rückmeldungen zum Unterricht zu geben, das sei ein wichtiges Instrument für die Lehrkräfte. Alle sollten zufrieden nach Hause gehen. Wege würden erst gemacht, indem man sie gehe: Er wünschte den Schülern, dass sie dazu den Mut hätten, dass sie Herausforderungen begegneten und auch mal Verrücktes tun wollten. »Stay hungry, stay foolish«, so habe Steve Jobs das formuliert. Und von George Bernard Shaw stamme das Zitat: »Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.« Dies sei, lobte er, ein starker Jahrgang gewesen.

Im Leben laufe es nicht immer nach Plan, die Pandemie habe alles verändert, sagte Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek. Seit März 2020 sei der Schulalltag davon geprägt, von neuen Regeln, Wechsel zwischen Präsenz und Distanz. Die Feier könne noch nicht im gewünschten Rahmen stattfinden, aber man sollte das Glas als halbvoll ansehen. Die Absolventen hätten bewiesen, dass sie in einer Ausnahmesituation einen klaren Kopf behalten könnten. Nebenfächer seien zum Fernstudium geworden, Fahrten und Exkursionen mussten ausfallen, die Prüfungen brachten ein Ende der Schulzeit ohne ein Davor. Aber sie hätten den schulischen Weg gut zu Ende gebracht, und die Türen stünden ihnen offen, soweit Corona es zulasse.

»Sie können und sollen stolz sein, Sie werden es schaffen«, sagte sie. Die Schüler hätten den höchstmöglichen Schulabschluss erreicht, die beste Basis für das weitere Leben. Sie sagte ihnen als Stellvertreter der jungen Generation, Dank, dass sie auf so vieles verzichtet und Verantwortung und Geduld gezeigt hätten. Sie hätten schneller erwachsen werden müssen als frühere Generationen. Aber auch an Lehrer und Eltern ging der Dank. Videokonferenzen, alle den ganzen Tag zu Hause, das seien neue Herausforderungen gewesen. Schule solle auf das Leben vorbereiten, die Jugendlichen zu selbstständigen Personen machen. Das gelinge an der BBS, dafür stehe auch der Deutsche Schulpreis. Die Wege führten nun in verschiedene Richtungen, man werde alte Freunde behalten und neue treffen. Dabei sollte man den Kurs immer mal hinterfragen, kleine Stopps gestalten und Zeit zum Genießen einplanen, und auch Demokratie leben vom Mitmachen. »Bleiben Sie behütet«, so ihr Wunsch.

Für die Lehrer gaben Ina Böttger, Evelyn Lerche in Vertretung von Frank Knackstedt, Gaby Groß-Scholz und Mareike Plate einen Rückblick auf die Schulzeit. »Die Schule war häufiger dicht als wir« lautete das Motto des Jahrgangs. Seien diese Jahre nun Glück oder Unglück gewesen? Wenn mal etwas nicht klappte, konnte man das aufs schlechte Internet schieben. Materielles, das habe man gesehen, mache nur vorübergehend glücklich. Zufriedenheit sei etwas anderes. Die Glückswahrscheinlichkeit könne man berechnen. Die Glücksformel ergebe sich aus dem Erreichten abzüglich der Erwartungen. Glücklich seien nun alle, weil sie von der Last der Schule befreit seien. Jeder sei, so ein gängiges Sprichwort, seines Glückes Schmied; auf den Zufall sollte man sich nicht verlassen, sondern mit Ausdauer und Mühe am Glück arbeiten. Das letzte Jahr habe gezeigt, dass zum Glück ausreichend Klopapier und Nudeln gehören könnten. Da das Virus hartnäckiger sei als gedacht, habe der Jahrgang bei Projektarbeiten zwar geniale Ideen entwickelt, aber es fehlte an der Praxis. Dennoch hätten sich alle den besten Grundstein für den Berufsweg erarbeitet. Wenn sie nun die Anstalt verlassen würden, könnten sie feststellen, dass sich die »Therapie« gelohnt habe. Mit Spannung gehe es an neue Aufgaben. Aber neben dem Beruf sollte man nicht vergessen, sich Gutes zu gönnen - auch Alltägliches mache glücklich.

Jan Rother, Anasthasia Kaufhold und Mehmet-Can Atav hielten die Abschlussrede für den Jahrgang. Man habe unter anderem gelernt, Obst zu konservieren, einen Lötkolben sicher zu beherrschen und Mitarbeiter zu motivieren, das dürfe man nun feiern, sagten sie mit einem Augenzwinkern. Nötiges und unnötiges Wissen habe man sich angeeignet, in Nachtschichten und mit Unterstützung einer Kaffeemaschine. Brauchen werde man das vielleicht mal für Quizshows. Nebenbei habe man aber gelernt, Prioritäten zu setzen das Lernen zu organisieren - und dass Lernen sinnvoll sei für die persönliche Entwicklung. Die Lehrer hatten es nicht immer leicht mit dem Jahrgang, aber das gelte auch für Schüler. »Sie haben es mit uns ausgehalten, wir schätzen das sehr.« Man habe Unmengen an bekloppten Ideen geäußert, beste Freunde gewonnen, und jetzt beginne die Arbeit. Alle sollten versuchen, die Erinnerung an diesen Tag zu reproduzieren - und zu leben. Auf die Lehrer warteten die nächsten Klassen, »fast so cool wie wir.« Über weite Teile der Rede sei Corona kein Thema gewesen, stellten die Schüler fest. Aber man könne nicht verschweigen, dass die Pandemie neue Ungewissheiten gebracht habe, dass viel Flexibilität gefragt sei und dass man das Abitur nicht trotz, sondern wegen Corona geschafft habe - »weil wir es schaffen wollten.«

Keine Aufteilung mehr in A und B, keine Skripte, »wir schicken Ihnen vorerst nichts mehr«, versprach Abteilungsleiterin Sandra Both. Die Bilder des Tages sollte man im Kopf bewahren für die Zukunft, in der man so viel ausprobieren sollte wie möglich. Die Abiturienten könnten andere mitreißen mit ihrer Begeisterung. Sie sollten ihrem Herzen folgen und sich überraschen lassen. Was sie tun würden, sollten sie mit leidenschaftlicher Hingabe tun - aber dann auch mal den Flugmodus einschalten, um sich auf die Gegenwart zu konzentrieren und Glücksmomente mit Hingabe zu genießen.

Für das beste Abitur wurde Jan Rother vom Beruflichen Gymnasium Technik mit einem Notenschnitt von 1,0 ausgezeichnet. Im Gymnasium Gesundheit und Soziales/Sozialpädagogik hatten Lina Schneider und Kevin Chateh- Nkengtego die besten Noten, im Gymnasium Gesundheit und Soziales/Ökotrophologie war es Jan Keitel, im Gymnasium Wirtschaft Isabell Hesse. Die Feier wurde von Celine Feistner und Lina Schneider, Gesang und Gitarre, umrahmt. Ihre Freude teilten die Abiturienten auch diesmal mit den Einbeckern: beim Autokorso durch die Stadt.ek