»Den Betroffenen wird durch Demenz der Geist geraubt«

Vortrag über Erkrankungen im Alter / Gehirnkrankheiten werden zum Problem / Verlauf der Beschwerden und Warnsignale erläutert

Im Rahmen der Vortragsreihe der Freunde und Förderer des Sertürner-Krankenhauses referierte Krankenpflegelehrer Frank Weißsohn kürzlich über »Erkrankungen des Alters – Demenz und Alzheimer«.

Einbeck. Die demographische Entwicklung mache dieses Thema immer wichtiger, erklärte Weißsohn, »die Demenz wird ein Faktor im Gesundheitswesen werden.« Demenz definierte er als »den erworbenen Verlust intellektueller Fähigkeiten«, es sei ein Prozess im Gehirn, der Intelligenz vernichte.

Die Demenz sei allerdings nicht mit Oligophrenie oder Idiotie, heute dritter Grad geistiger Behinderung genannt, gleichzusetzen. Bei diesen Erkrankungen seien die Defekte angeboren, »hier ist sowieso nur eine geringe Intelligenz vorhanden.« Demenz sei gekennzeichnet durch die Unfähigkeit, im Langzeitgedächtnis gespeichertes Wissen abzurufen und Entscheidungen zu treffen. Das Verständnis für Objekte und Dinge gehe ebenfalls verloren. Unterschieden werden müsse zwischen primärer und sekundärer De­menz. Die Primäre finde im Hirn selber statt. Zwischen Multi-Infarkt-Demenz, Mini-Schlaganfällen, und Schlafapnoe, bei der die Atmung im Schlaf in einer Stunde bis zu zehn mal für zehn Sekunden aussetzt, müsse weiter diffenrenziert werden. »Beides ist aber behandelbar«, so der Krankenpflegelehrer.

Als sekundäre Demenz bezeichne man, wenn eine andere Erkrankung dafür sorgt, dass »man nicht mehr richtig denken kann.« Solche Verwirrtheitszustände könnten durch Infektionen, Meningitis, Altersdiabetes, Flüssigkeits- und Sauerstoffmangel, Medikamente oder Alkohol hervorgerufen werden. Auch Alkoholentzug könne ein Auslöser sein. Weitere Demenz-verstärkende Faktoren seien Seh- und Hörbehinderungen, Stress sowie verstärkter Stuhl- und Harndrang.

Alzheimer als primäre Demenz sei im Gegensatz zur Demenz weder behandel- noch heilbar. Emil Kraemplin benannte die Krankheit nach dem Neurologen und Hirnpathologen Alois Alzheimer. Dieser arbeitete in einer psychiatrischen Anstalt und beobachtete den sich verändernden Zustand von Auguste Deter, die mit Verwirrtheit, Angstzuständen und starker Aggressivität eingeliefert wurde. Nach fünf Jahren Klinikaufenthalt verstarb sie. Alzheimer entdeckte bei der Gehirnautopsie, dass das Hirn geschrumpft und teilweise abgestorben war.

Die Definiton von Alzheimer lautet »auftretende, unaufhaltsam fortschreitende Groß­hirn­rindenathropie mit zunehmender Verblödung.« Bis heute ist die Ursache der Krankheit ungeklärt. Die World Health Organisation bezeichne die Erkrankung als »eines der größten Probleme der Zukunft«. In Deutschland seien ungefähr 1,6 Millionen Menschen von einer Demenzkrankheit betroffen, die Dunkelziffer liege allerdings viel höher.

Der Krankheitsverlauf sei schleichend: Als erstes leide der Patient unter kleinen Gedächtnislücken und Stimmungsschwankungen, das Denken und Sprechen verlangsame sich, die Menschen könnten einfachen Gesprächen nicht mehr folgen. An lang Vergangenes sei eine Erinnerung oft möglich, das Kurzzeitgedächtnis funktioniere aber nicht richtig. Wenn sich die Persönlichkeit des Patienten auflöse und dieser niemanden mehr erkenne, befinde sich die Krankheit bereits im Endstadium.

»Einfache Grundfunktionen fallen aus«, erläuterte Weißsohn, die Infektionsanfälligkeit steige. Der Tod ereile die Demenzkranken darum auch meist durch Infektionen.Es gebe jedoch Mittel zur Früherkennung und bestimmte Warnsignale. »Jeder Mensch vergisst mal etwas, das ist völlig normal«, beruhigte der Referent. Fehler in der Erinnerung an kürzliche Ereignisse und Probleme bei Routineaufgaben, wie sich die Schuhe zuzubinden, könnten allerdings auf Demenz hindeuten, ebenso Artikula-tionsschwierigkeiten.

»Wenn der Betroffene nicht mehr weiß, dass der Stuhl ein Stuhl ist, kann dies ein Indiz sein.« Auch Orientierungsprobleme in Bezug auf Zeit und Ort seien bei Demenz häufig zu beobachten. Alzheimerpatienten legten oft Dinge an die falsche Stelle, zum Beispiel Schlüssel in den Kühlschrank.

»Den Betroffenen ist der Geist geraubt worden«, konstatierte Weißsohn. Als Betreuer müsse man sich auf die Ebene des Patienten begeben und einen strukturierten Tagesablauf schaffen. Auch die Beschuldigung Angehöriger, Sachen entwendet zu haben, müsse man ertragen und beim Suchen helfen. Eine gewohnte Umgebung könne eine zusätzliche Hilfe sein. Den Kranken zu korrigieren und Gehirntraining hätten keinen Sinn, da die abgestorbenen Hirnzellen »nicht mehr nachwachsen.«

»Was weg ist, ist weg«, betonte er. Auf den Erkrankten einzugehen, sei immens wichtig. Alzheimerpatienten wähnten sich oft in einem völlig anderem Lebensabschnitt und zeigten Weglauftendenzen. »Manche Erkrankte scheinen sogar glücklich zu sein, da sie sich wieder jung sehen.«

Bei der Betreuung eines Angehörigen dürfe man allerdings die Selbstpflege nicht vernachlässigen, sonst »zerreißt es die Familie.« Eine Pflegestufe oder Tages- oder Kurzzeitpflege für die Patienten zu beantragen, sei meist unausweichlich. Der letzte und auch vernünftige Schritt sei die Einweisung in ein Pflegeheim.tc