Ausschuss für Wirtschaft, Kultur, Tourismus und Verkehr des Landkreises

Den ÖPNV-Tarifdschungel entwirren

Sanierung der ICE-Strecke | Verlängerung der Bahnstrecke bis PS.SPEICHER | Sozial- und Jugendfreizeitticket

Mit der Verein­fachung der Tarife im ÖPNV, der Sanierung der ICE-Strecke und der Anbindung der Haltestelle am PS.SPEICHER an das Schienennetz haben sich die Mitglieder des Ausschusses für Wirtschaft, Kultur, Tourismus und Verkehr des Landkreises Northeim bei ihrer jüngsten Sitzung befasst – sie haben sich dazu im BBS-Forum getroffen.

Um neue Tarifmodelle für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in den Landkreisen Göttingen, Holzminden und Northeim ging es in der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Kultur, Tourismus und Verkehr des Landkreises Northeim im BBS-Forum in Einbeck. Der Zweckverband Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen (ZVSN), der den Nahverkehr organisiert, hatte dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben. Insbesondere geht es um eine Vereinfachung des bestehenden Tarifdschungels und um günstigere Fahrpreise. Landrätin Astrid Klinkert-Kittel plädierte für eine Einführung eines Sozial­tarifs und eines Jugendfreizeittickets.

Einbeck. Nach der Begrüßung durch die Ausschussvorsitzende Christel Eppenstein, CDU, berichtete Thomas Waldmann (DB Regio AG) von den Planungen zur Sanierung der ICE-Strecke Hannover-Göttingen. Am 2. Ju­ni 1991 eröffnet, führt sie von Niedersachsen über Hessen nach Bayern. Durch sie hat sich die Fahrtzeit von Hamburg nach München um mehr als zwei Stunden verkürzt. Mehr als 420 Millionen Fahrgäste nutzten sie bisher.

Nach fast 30 Jahren Dauerbetrieb sei die hochbelastete Infrastruktur umfassend zu erneuern, sagte Waldmann. Zwischen dem 11. Juni und dem 14. Dezember komme es daher zwischen Hannover und Göttingen zu einer Sperrung der Schnellstrecke. Die Züge fahren durch das Leinetal, die Fahrzeit verlängert sich um 30 bis 45 Minuten.

Allein zwischen Göttingen und Hannover werden 243.000 Betonschwellen, 405.000 Tonnen Schotter und 142 Kilometer Gleise erneuert. Sanierungen erfolgen bei neun Tunneln und acht Talbrücken. Das Investitionsvolumen umfasst mehr als 175 Millionen Euro.

Im Vorfeld wurde die Strecke durch das Leinetal instand­gesetzt, so Waldmann, naturschutzrechtliche Aspekte spielten dabei eine große Rolle. Auswirkungen hat die Sanierung nur auf einige Bahnstrecken. Während es bei der RE 10 von Hannover nach Bad Harzburg sowie der RB 80 von Göttingen nach Nordhausen keine Einschränkungen ge­be, können sich beim Metronom (RE 2) von Hannover nach Göttingen Abfahrtszeiten ändern.

Während der Baumaßnahmen verkehrt die R 86 weiter stündlich

Auf der Linie RB 82 von Bad Harzburg bis Göttingen verkehren die Züge bis Kreiensen mit abweichenden Zeiten. Stündlich kann man den Metronom erreichen. Das gelte auch für die Strecke bis Northeim. Von Northeim bis Göttingen existiere ein Schienenersatzverkehr.

Gut angenommen werde nach der Reaktivierung die Strecke von Salzderhelden nach Einbeck-Mitte. Während der kommenden Bau­phase verkehre die RB 86 weiter stündlich. Bei baubedingten größeren Verspätungen des Metronoms in Salzderhelden wolle man nach Möglichkeit eine zusätzliche Fahrt nach Einbeck-Mitte anbieten, um Wartezeiten zu vermeiden, kündigte Waldmann an. Informationen dazu werden per Lautsprecheransagen an die Fahrgäste weitergegeben. Die durchgehenden Züge von Einbeck nach Göttingen verkehren nur teilweise. Direkte Anbindungen am Vor- und Nachmittag existieren weiter. Informationen zu den Änderungen gebe es zudem an den Bahnhöfen und unter reiseauskunft.bahn.de.

Direkte Anbindungen nach Göttingen existieren weiter am Vor- und Nachmittag

Über die Reaktivierung der Strecke Einbeck-Mitte – Salzderhelden berichtete Christian ­Gabriel, Geschäftsführer der Ilmebahn. Am Investitionsvolumen von 9,2 Millionen Euro be­teiligte sich das Land Niedersachsen mit 8,2 Millionen Euro. Eine Million Euro steuerten die Hauptgesellschafter der Ilmebahn bei: der Landkreis 700.000 Euro, die Stadt Einbeck 300.000 Euro.

Erschwernisse bei der Realisierung des Projekts waren nicht nur das Zusammenspiel der verschiedenen Behörden und die Genehmigung der einzelnen Baumaßnahmen, sondern ebenso Überraschungen bei den Baumaßnahmen, Lieferverzögerungen oder witterungsbedingte Verzögerungen, unter anderem durch Hochwasser. Die Planungen begannen im Januar 2016, Baubeginn war im April 2017, Betriebsaufnahme am 9. Dezember 2018, so Gabriel. Die Kostensteigerung betrug rund zwölf Prozent.

Projekte für die Zukunft seien die stündliche Anbindung bis zum Haltepunkt PS.SPEICHER und damit auch der Berufsschulen. Bis dahin sei die Strecke schon ertüchtigt. Züge könnte sie schon mit 20 Stundenkilometern benutzen.

Die Inbetriebnahme der Haltestelle »Otto-Hahn-Straße« sei für diesen Dezember geplant, teilte Gabriel mit. In Höhe des Poser-Parks könnte eine weitere Station entstehen – wie auch im Bereich der ehemaligen Firma Feierabend. Das Planfeststellungsverfahren für die Lade- und Haltestelle für Güterverkehr und Fahrgäste an der Sachsenbreite laufe.

Über positive Aspekte und Wechselwirkungen zum ÖPNV und Linienverkehr berichtete Michael Frömming von ZVSN. Stolz könne man sein, so Ulrich Minkner, SPD, die erste wiederbelebte Strecke Niedersachsens in Einbeck zu haben. Um PS.SPEICHER und Berufsschule noch besser anzubinden, hatten SPD, FDP und GfE im Kreistag beantragt, die Reaktivierung bis dorthin zu verlängern. Die Strecke sei fertig – das »perfekte Projekt« werde damit noch besser.

PS.SPEICHER und Berufsschulen mit Haltestelle anbinden

Ähnlich sah es Karl-Heinz ­Hagerodt, CDU: BBS und PS.SPEICHER seien Leuchttürme der Region – die Reaktivierung bis dorthin ziehe großes Interesse nach sich. Der Ausschuss nahm die Berichte von Waldmann, Gabriel und Frömming zur Kenntnis, und er beschloss einstimmig, dass die Landrätin zur Aufnahme des ­Haltepunkts PS.SPEICHER in den Fahrplan Kontakt mit Landtagsabgeordneten aufnehmen und sich bei der Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) dafür einsetzen soll, die Reaktivierung des Schienenpersonennahverkehrs in Einbeck zu vollenden.

Ein Gutachten zu neuen Tarifmodellen für den ÖPNV stellten Jonathan Laser und Jens Gersten von civity Management den Ausschussmitgliedern vor. Nach einer umfassenden Bestandsaufnahme untersuchten sie 18 mögliche Maßnahmen zur erwarteten Fahrgastnachfrage und den entstehenden Kosten. Insbesondere geht es um eine Vereinfachung des bestehenden Tarifdschungels und deutlich günstigere Fahrpreise im ÖPNV. Ziel seien einfache Tarife für die Menschen vor Ort, betonte Klinkert-Kittel.

Einfache Tarife sowie Einführung von Sozialtarif und Freizeitticket

Sie sprach sich für die Einführung eines sogenannten Sozialtarifs und eines Jugendfreizeittickets aus. Das Sozialticket würde für die Bezieher von Sozialleistungen vergünstigte Tarife vorsehen. Sollte die von den Gutachtern näher betrachtete Variante zur Umsetzung kommen, könnten die Berechtigten von den um rund 72 Prozent gesenkten Fahrpreisen profitieren. So kostet eine Monatskarte (Preisstufe VI) derzeit 126 Euro; im Sozialtarif würden Leistungsbezieher lediglich 35,30 Euro zahlen.

Öffentlichen Personennahverkehr für breitere Schichten der Bevölkerung öffnen

Laut Gutachten könnte eine derartige Rabattierung der Fahrpreise für etwa 279.000 zusätz­liche Fahrten im Gebiet des ZVSN führen. »Wir könnten damit einen wesentlichen Schritt tun, um den Öffentlichen Personennahverkehr für breitere Schichten der Bevölkerung zu öffnen«, so die Landrätin, die sich davon insbesondere auch größere Teilhabechancen und positive Effekte für den Arbeitsmarkt verspricht.

Das von ihr ebenfalls geforderte Jugendfreizeitticket könnte hingegen für Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 25 Jahren ein­geführt werden. Täglich ab 16 Uhr sowie zusätzlich am Wochenende und in den Ferien sei das Angebot von Jugendlichen nutzbar. »Wir würden damit die derzeit bestehende Lücke außerhalb der Schulzeiten schließen und das Angebot sinnvoll ergänzen«, so Klinkert-Kittel weiter.

Lücke außerhalb der Schulzeit schließen und das Angebot sinnvoll ergänzen

Die ausführliche Ausarbeitung sowie die Ideen des Sozial- und Jugendfreizeittickets lobten Christel Eppenstein, Christina Münder, SPD, und Johannes Antpöhler, Grüne. Die angedachten Maßnahmen seien gut – jetzt müsse man sich mit der Realisierbarkeit befassen.

Nach der Beratung im Ausschuss für Wirtschaft, Kultur, Tourismus und Verkehr und der noch ausstehenden Befassung im Kreisausschuss soll Klinkert-Kittel gemeinsam mit dem ZVSN und dem Gutachter ausgewählte Vorschläge hinsichtlich der Umsetzung bewerten und den Gremien erneut zur Abstimmung vorlegen.

Ein wesentlicher Punkt werde dabei die Finanzierbarkeit sein, hieß es, denn allein das Sozialticket dürfte nach ersten Schätzungen mit rund 2,3 Millionen Euro jährlichem Zuschussbedarf zu Buche schlagen: Die Summe müsste von den am ZVSN beteiligten Landkreisen aufgebracht werden.mru