Der Neidkopf: früher bunt und heute ochsenblutrot

Einbeck. Die beiden Fotos zeigen einen der beiden großen Neidköpfe in der Münsterstraße. Man findet ihn, wenn man vom Marktplatz in die Münsterstraße einbiegt, nach einigen Metern rechter Hand in Augenhöhe an der Seitenwand der Ratsapotheke. Zwischen den beiden Aufnahmen liegen ungefähr 50 Jahre. Der Fotograf des linken Bildes war der damalige Oberstudienrat und späterer Schulleiter der Goetheschule, Friedrich-Karl Wiemer. Das Anbringen eines Neidkopfes an einem Gebäude war ursprünglich ein keltischer Brauch.

Im ausgehenden Mittelalter sollte der Neidkopf Unheil abwehren und verhindern, dass die bösen Mächte gegen sie »neiden«, also gegen die Hausbewohner erzürnt werden. Er bot auch den Neidern aus der Nachbarschaft die Stirn, denn überall soll es Leute im nahen Umfeld gegeben haben und noch geben, die einem neiden, was man erreicht hat. Auch hier erfüllte der Neidkopf seine Aufgabe, indem er alle Häme, die man gegen die Hausbewohner aussprach, zurückwarf.

Der Neidkopf schützte das Haus auch gegen »innere Feinde«, nämlich die Geister der Verstorbenen in den uralten Fachwerkhäusern – ein Aberglaube, der noch vor einigen Jahren von älteren Bewohnern der Einbecker Altstadt vertreten wurde. Der abgebildete Neidkopf an der Ratsapotheke stammt aus der Zeit zwischen 1552 und 1590. Eine genaue zeitliche Bestimmung ist nicht möglich, weil das Haus nach seinem Neubau um 1552 mehrfach umgebaut wurde. Alle Einbecker Neidköpfe stammen aus der Zeit von 1541 bis etwa 1600 – man findet sie in verschiedenen Formen und Größen, aber alle hatten ihre abschreckende Wirkung gemeinsam. Wenn man die beiden Fotos vergleicht, fällt auf, dass in der Farbfassung einige Details hinzu gezeichnet wurden: Der Neidkopf scheint frisches »Lippgloss« aufgetragen zu haben. Dieser »Kussmund« hat über die Jahre immer wieder einige Bürger »im Vorbeigehen« zu einem Scherz angeregt: Ab und an sah man eine Zigarette zwischen seinen Lippen klemmen. Seine Frisur ähnelt im linken Bild dem »Pottschnitt« der 1950er Jahre und zusätzlich hat man ihm die Augenbrauen stark nachgezogen.

Die heutige Fassung (rechts) stammt von 1998. Die Schnitzerei wurde eisenoxidrot (auch »ochsenblutrot« genannt) angestrichen. Damit wurden die tatsächlichen historischen Farben nachempfunden, wofür seiner Zeit 148 Farbproben am Gebäude der Ratsapotheke entnommen wurden. Man sieht hier, dass der Neidkopf gar keine geschnitzten Augenbrauen hat. Das Auge selbst ist allerdings in der farbigen Fassung etwas besser getroffen – beim roten Neidkopf erkennt man die Pupille nur bei ganz genauem Hinsehen. Dafür sieht man gut, dass der Kragen ziemlich willkürlich gemalt wurde. An der »Frisur« befinden sich zwei kleine Bögen. Das deutet daraufhin, dass der Kopf vielleicht eine Narrenkappe mit aufgesetzten Ohren trägt. Insgesamt erkennt man in der roten Fassung mehr Details und wegen der fehlenden Farbigkeit wird auch die Fantasie der Betrachter mehr angeregt. wk