Der Volksbund leistet noch immer wichtige Arbeit

Elfie Haupt, Autorin von »Soldat Willi Haupt«, und Bezirksgeschäftsführer Michael Gandt berichten über vielfältige Aufgaben

Auch 67 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es noch viele Tote, von denen nicht bekannt ist, wo sie begraben sind – wenn sie überhaupt ein Grab haben. Hier findet der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge seine vielfältigen Aufgaben. Im November steht mit Blick auf den Volkstrauertag die Organisation wieder besonders im Fokus. Über deren Arbeit haben Michael Gandt, Geschäftsführer des Bezirks Braunschweig, und Elfie Haupt in der Einbecker »TangoBrücke« berichtet. Die Vogelbeckerin hat sich vor einigen Jahren mit Hilfe des Volksbundes auf Spurensuche begeben und mit »Soldat Willi Haupt« ein anrührendes Kriegsschicksal aus der eigenen Familie aufgeschrieben.

Einbeck. »Aus der Kraft der Erinnerung schöpfen«, unter diesem Motto stellte Michael Gandt, Geschäftsführer des Bezirks Braunschweig des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, die Organisation vor. Zuvor hatten Martin Keil von der »TangoBrücke« und Autorin Elfie Haupt die Zuhörer willkommen geheißen. Dass ihr Buch einmal eine solche Reise antreten würde, habe sie nicht für möglich gehalten, sagte die Vogelbeckerin. Allerdings stehe die anrührende Geschichte auch für tausende ähnlicher Schicksale. Noch seien viele gefallene Soldaten im Osten zu bergen, und der Volksbund leiste hier wichtige Arbeit. Er gebe den Toten ein Grab und damit ihren Namen und ihre Würde zurück. Sie sehe es als moralische Verpflichtung, daran mitzuarbeiten, begründete Elfie Haupt ihr Engagement für den Volksbund. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge wurde 1919 nach dem Ersten Weltkrieg gegründet als erste und größte Bürgerinitiative Deutschlands, wie Michael Gandt ausführte. Deutsche Kriegstote werden in dem Land bestattet, in dem sie gefallen sind, und nach der Genfer Konvention besteht die Verpflichtung, sich um die Friedhöfe zu kümmern, auf denen sie bleibendes Ruherecht haben. 1919 sei die damalige Regierung dazu nicht in der Lage gewesen, und so wurde der Volksbund, noch immer ein eingetragener Verein, gegründet. Seine Ausgaben beliefen sich 2011 auf rund 40 Millionen Euro, wovon rund 80 Prozent aus Spenden bestritten wurden, zehn Prozent kamen als Zuschuss von der Regierung, denn der Volksbund erfülle hoheitliche Aufgaben, so Gandt. Beschäftigt sind rund 560 hauptamtliche Mitarbeiter, davon 200 in der Bundesgeschäftsstelle in Kassel. Rund 8.500 Bürger sind ehrenamtlich für den Volksbund tätig.

»Versöhnung über den Gräbern« ist ein Leitsatz des Volksbundes, aber er übt nicht nur Gräberpflege aus, sondern steht für Friedensarbeit und Völkerverständigung. Gerade Jugendliche könne man dafür gewinnen, und sie seien auch interessiert an den Schicksalen damals Gleichaltriger, betonte Gandt. Das Gedenken an die Kriegstoten ist ebenso ein Volksbund-Ziel wie die Mahnung zum Frieden. Kriegstote werden erfasst, ihre Gräber gepflegt. Es ist Aufgabe des Volksbundes, nach Kriegsgräbern zu suchen, Kriegstote zu identifizieren und auch Reisen zu den Gräberfeldern anzubieten, von denen die meisten im Ausland liegen. In Deutschland gibt es nur zwei Kriegsgräberstätten, für die der Volksbund zuständig ist. Außerdem gestaltet der Volksbund den Volkstrauertag. Mit einem Schulreferenten ist der Volksbund zudem gerüstet für Jugend- und Bildungsarbeit, gerade auch an Schulen. Hier wünsche sie sich, machte Elfie Haupt deutlich, stärkeren Zuspruch von Einbecker Schulen. In Northeim sei sie immer wieder mit Lesungen im Einsatz, aber in Einbeck gebe es – bisher – keine Resonanz auf dieses Angebot. An den Workcamps, die seit 1953 an Begegnungsstätten stattfinden, haben im vergangenen Jahr rund 1.800 Teilnehmer an 78 Kriegsgräberstätten in 14 Staaten teilgenommen. Beantwortet werden Anfragen von Angehörigen zu Kriegsgräbern. Insgesamt 4,6 Millionen Kriegstote hat der Volksbund in seiner Datenbank. Unter www.volksbund.de kann man sich im Internet mit den persönlichen Daten des Gesuchten auch selbst auf Gräbersuche begeben. Damit verbunden sind auch Informationen zu den Friedhöfen, ihrer Lage und Besuchbarkeit. Erfüllt werden rund 7.000 Grabschmuckaufträge und Fotowünsche jährlich. Angehörige erhalten auch Informationen zu Umbettungen, und wenn weitere Kriegstote identifiziert werden, bekommen sie entsprechende Nachricht. Die Nachfrage ist groß: Rund 81.000 Post-Ein- und Ausgänge gibt es pro Jahr, außerdem 10.000 Telefonate. Der Volksbund gliedert sich in 16 Landes-, 24 Bezirks-, 295 Kreis- und 4.903 Ortsverbände. Er hat rund 151.000 Mitglieder, 282.000 regelmäßige und 1,5 Millionen gelegentliche Spender.

Schwerpunkt der Bau- und Pflegeabteilung sind neue Anlagen im ehemaligen Ostblock, wo der Volksbund erst seit den 90er Jahren tätig ist. Allein 500 Anlagen wurden in Südost- und Osteuropa errichtet. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 43.000 Umbettungen beziehungsweise Exhumierungen vorgenommen, vor allem in Russland, Weißrussland, Polen und der Ukraine. In der Regel seien die Gebeine noch vorhanden, und wenn man Glück habe und die Erkennungsmarke finde, könne man sie eindeutig zuordnen, berichtete Gandt.

Die nächste große Veranstaltung des Volksbundes ist die Gestaltung der zentralen Gedenkfeier zum Volkstrauertag am 18. November in Berlin. Vor zwei Jahren hatte Elfie Haupt hier aus ihrem Buch »Soldat Willi Haupt« gelesen, die Fernsehaufzeichnung der Lesung wurde im Rahmen des Informationsabends gezeigt. Dabei berichtete sie, wie sie beim Aufräumen des Dachbodens auf den Koffer mit den Feldpostbriefen gestoßen sei und auf ein Foto eines jungen Mannes, dem ihr eigener Sohn wie aus dem Gesicht geschnitten sei. Das habe sie neugierig gemacht, und sie habe Willis Weg verfolgt – bis hin zum letzten Brief am 20. August 1942, in dem er von einem Brückenkopf am Don schreibt und dass er sich auf ein baldiges Wiedersehen freut. Er starb am 26. August 1942 im Alter von 32 Jahren. Sein Grab ist inzwischen mit einer Schule überbaut, aber Elfie Haupt hat als Erinnerung ein Büschel Steppengras von einer angrenzenden Wiese erhalten. Demnächst, kündigte Michael Gandt an, werde das Erinnern an Stalingrad im Mittelpunkt stehen: Anfang 2013 jährt sich das Ende der Schlacht zum 70. Mal. Vor allem Kinder und Enkel seien heute interessiert an Reisen zu den Kriegsgräberstätten, führte er aus, sie machten sich auf die persönliche Spurensuche nach ihren Vorfahren.

Der Krieg, hieß es in der Diskussion, sei zwar inzwischen in die Ferne gerückt, dass es so viele Nachfragen nach den Opfern gebe, sei ein Zeichen von Respekt vor ihnen. Auch das Bewusstsein, wie selten Kriege geworden seien, werde durch die Arbeit des Volksbundes lebendig erhalten. Kriegsgräber, betonte der Geschäftsführer, seien Lernorte zur Friedenserziehung. Wie ein Land mit seinen Toten umgehe, sei ein Gradmesser für moralische Ansprüche.

Musikalisch wurde der Abend eindrucksvoll umrahmt von Bettina Scherer, Sopran, und Alina Reinholz, Klavier. Auf dem Programm standen »Laudate dominum« von Wolfgang Amadeus Mozart, das »Wolga-Lied« auf Wunsch von Elfie Haupt, Frank Sinatras »My way« und Brahms’ »Wiegenlied«. Für sie gab es ebenso viel Beifall wie für die engagierten Beiträge von Michael Gandt und Elfie Haupt. ek