»Der Zirkus war mein selbstgewähltes Schicksal«

Gerd Siemoneit-Barum wird am heutigen Sonnabend 90 Jahre alt | »Habe mir alle Träume erfüllt«

Auf die Gesundheit: Im vergangenen Jahr hat Gerd Siemoneit-Barum mit Ehefrau Rosalind auf den 89. Geburtstag angestoßen, heute wird er 90 Jahre alt.

»Für mich ist er der Beste«, sagte einer der ehemaligen Artisten aus dem Zirkus Siemoneit-Barum in einer Fernsehdokumentation über den heutigen Jubilar. Viele werden sich gern an ihn erinnern und ihm zum Geburtstag gratulieren – zum 90. Den feiert Gerd Siemoneit-Barum, soweit das unter Corona-Auflagen möglich ist, zuhause in Einbeck mit seiner Familie. Der bekannte Raubtierlehrer und Zirkusdirektor kann dabei auf ein buntes Leben schauen, das er auch mit seiner Zirkus-Familie gestaltet hat.

Einbeck. Am 6. März 1931 wurde Gerd Siemoneit in Gumbinnen in Ostpreußen geboren, in eine gutbürgerliche Familie. Seine Eltern bewirtschafteten die Kantine einer Kaserne, er hatte einen jüngeren Bruder, Ernst. Die heile Welt bekam einen Riss am 1. September 1939. Auf dem Weg in die Badeanstalt erfuhr der junge Gerd vom Krieg, erinnert er sich in seiner Autobiographie »Viel riskiert für einen Traum«, die vor einigen Jahren erschienen ist. Im Kriegsalltag wurde ein Zirkusbesuch zur Abwechslung – und zum Augenblick, der sein Leben verändern sollte. »Von Stund an bin ich wie verhext«, schreibt er. »In mir entsteht bereits die Vision meines künftigen Lebensweges. Für mich ist der Zirkus die Insel der Verheißung.« In der Realität konnte er sie nur selten genießen, aber der Film »Die große Nummer«, der von einem Raubtierdompteur handelt, wurde zum Ansporn für seine Karriere.

-Erlebnis Sarrasani im Februar 1945 in Dresden

Vater Franz Siemoneit starb im August 1943 im Osten. Die Familie blieb noch einige Monate in Ostpreußen, bevor die Front näher rückte und alle fliehen mussten. Erste Station war Dresden, und hier erlebte der junge Gerd eine Offenbarung: Der Zirkus Sarrasani gastierte in der Stadt. »Ich bin gerettet – mein Unglück bedeutet für mich mein Glück,« Doch das Glück erwies sich als brüchig, denn der verheerende Luftangriff im Februar 1945 richtete auch im Zirkus größte Schäden an. Die Welt mitsamt seiner Träume lag in Schutt und Asche.

Ab 1946 Leben für und in der Manege

Nach Kriegsende ging es über Friedland nach Hamburg, wo mit Williams erneut ein Zirkus auf ihn wartete, als sollte es so sein. Mit 15 Jahren hielt ihn nichts mehr, er heuerte dort an, und am 7. Mai 1946 begann sein Leben in der und für die Manege. Im Circus Barum übernahm er danach bei Direktorin Margarete Kreiser, als Reiterakrobat die Pferde, bis ein Unfall ihn stoppte und ihm wiederum ein Zufall eine neue Chance wies: Die Raubtiere, speziell die Löwen, hatten es ihm angetan. Dies blieben auch seine Lieblingstiere, gesteht er: »Die Würde und der Stolz dieser Tiere sind unvergleichlich.«

Drei Jahrzehnte fantastische Raubtiernummern

Er erlebte alle Höhen und Tiefen des Geschäfts, aber meist ging es nach oben. Er feierte im In- und Ausland Erfolge, kam als »Jens Claasen« Mitte der 60er Jahre zum Fernsehen. 1970 kaufte er den zwei Jahre zuvor eingestellten Circus Barum und gründete ein eigenes Unternehmen, den »Circus Safari« mit Sitz in Einbeck. 1972 erwarb er die Rechte am Namen Barum, und damit und mit seinen fantastischen Raubtiernummern, unter anderem mit weißen Tigern, schrieb er mehr als drei Jahrzehnte lang Manegen-Geschichte. 1975 erhielt er den Silbernen Clown beim Internationalen Zirkusfestival von Monte-Carlo, 1998 wurde er dort für sein Lebenswerk geehrt. Das Bundesverdienstkreuz hat er ebenso erhalten wie die Silberne Ehrennadel der Stadt Einbeck.

Barum-Winterquartier am Pfänderwinkel

Immer wieder spielte der Zufall – oder das Schicksal – eine wichtige Rolle in Gerd Siemoneits Leben. Wenn sich verschiedene Möglichkeiten auftaten, wählte er nicht den einfachsten, wohl aber den richtigen Weg. Seine Risiken wurden belohnt, an seinem Zirkus-Traum hat er festgehalten. Schon als Jugendlicher hatte er sein Ziel klar vor Augen. Lebhaft steht ihm noch seine erste Begegnung mit ­Einbeck vor Augen. Damals gab es ein Barum-Winterquartier am heutigen Parkplatz Pfänderwinkel; und weil spätabends von Salzderhelden aus kein Zug mehr fuhr, ritt er kurzerhand auf dem Pferd dorthin.

Bescheidenheit und Geduld gegenüber Löwen

Mit 20 Jahren schon eine Löwen-Nummer zu übernehmen, »da wird man vom Tier schnell belehrt«, umschreibt er eine Grundlage seines Verständnisses für Tiere. Mit Bescheidenheit und Geduld müsse man sich den Tieren nähern. Jedes habe eine eigene Persönlichkeit, die gelte es zu respektieren, zu erhalten und zu fördern. »Die Tiere sprechen zum Menschen«, sie hätten genau gemerkt, wenn es in einer Vorstellung nicht rund gelaufen sei.

Auch gefragter Tierlehrer

Die Sprache der Tiere könne man erlernen, ist Siemoneit überzeugt. Die natürlichen Instinkte hätten sie nicht verloren. Sie haben mehrfach zu lebensgefährlichen Situationen geführt, die er aber alle überstanden hat. Er hat hart trainiert, starken Willen bewiesen, Niederlagen verarbeitet und dabei viel gelernt. Als gefragter Tierlehrer hat er sein Wissen in zahlreichen Fernsehbeiträgen als Experte weitergegeben. Interessant und spannend wusste er zu erzählen – aus dem eigenen Leben und warum sich Tiere so verhalten, wie sie es tun.

2001 stand er letztmalig mit »seinen« Tieren in der Manegen, der Circus Barum gab 2008 seine letzte Vorstellung.

Seit 80 Jahren Begeisterung für den Zirkus

Der Junge, der mit nicht einmal zehn Jahren zum ersten Mal in eine Zirkus-Vorstellung ging und begeistert war, wird am heutigen Sonnabend 90. Er hat sich dem Zirkus fast sein ganzes Leben gewidmet. Würde er diesen Weg heute noch einmal so einschlagen? »Immer wieder«, betont er, »denn ich habe mir alle Träume erfüllt und mich selbst verwirklicht, in jeder Art und Weise. Der Zirkus war mein selbstgewähltes Schicksal.«

Den Menschen Freude bescheren

Faszination und Motivation, so lange die Verantwortung für das Unternehmen und seine Menschen zu tragen, war sein Wunsch, den Menschen Freude zu bescheren, jenseits jeder Altersgrenze und jenseits jeden Bildungsstandes. Und ihm selbst war diese Art zu leben wichtig, in Einheit mit seinen Tieren, »selbstbestimmt und autark als Showman dass zu tun, was ich am meisten liebe.«

Hoffnung auf Aufschwung für Kollegen

Derzeit erholt sich Gerd Siemoneit-Barum gut von seinem Schlaganfall, den er im vergangenen Jahr erlitten hat. Gefeiert wird im kleinen Kreis mit seiner Frau Rosalind und den Kindern Rebecca und Maximilian – anders sei es derzeit ja nicht möglich. »Ansonsten lese ich viel, und ich hoffe, dass dieses Jahr den Zirkus-Kollegen und Geschäftsleuten in Einbeck allgemein wieder etwas Aufschwung bringt und alle gesund bleiben«, so sein Wunsch.
Auch die Einbecker Morgenpost gratuliert Gerd Siemoneit-Barum ganz herzlich zum Geburtstag und wünscht alles Gute, vor allem Gesundheit.ek

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