»Die Schilddrüse ist für den Körper wie das Gaspedal«

Vortrag über Erkrankungen der Schilddrüse im Sertürner-Hospital gehalten / Symptome, Diagnostik und Therapie erläutert

»Ohne Schilddrüsenhormone kann man nicht leben, ohne das Organ an sich schon«, erläuterte Dr. Dietmar Gebhardt in seinem Vortrag »Die Erkrankungen der Schilddrüse«. Die Veranstaltung wurde von den Freunden und Förderern des Sertürner-Hospitals organisiert. Knapp 60 Zuhörer waren gekommen, um den Ausführungen des leitenden Arztes der Abteilung für Viszeralchirurgie zu lauschen.

Einbeck. Die Schilddrüse befindet sich im Halsbereich und »ist für den Körper Antrieb wie das Gaspedal im Auto.« Durch ihre Schmetterlingsform fließe in 1,5 Stunden das gesamte Blut des Körpers, sie sei ein »Multitalent«, erklärte Gebhardt. Eine Studie habe jedoch aufgezeigt, dass jeder Dritte krankhafte Veränderungen an der Schilddrüse aufweise. Frauen und Männer seien gleichermaßen betroffen.

Edward Calvin Kendall erhielt 1950 den Nobelpreis für die Entdeckung des Schilddrüsen-Hormons, dessen Nachweis im Blut erst seit 1965 möglich ist. Der Name stamme von ihrer  Lage als »Schild vor der Luftröhre«. Ohne die von ihr produzierten Hormone sei kein menschliches Leben möglich, ihre Funktion wird über einen Regelkreislauf gesteuert. Die Hormone gelangen über die Blutbahn in die Zellen und kurbeln dort den Stoffwechsel an, zur Hormon-Produktion wird Jod benötigt. Probleme mit dem Organ seien häufig auf Jodmangel zurückzuführen – dessen Ursachen wiederum datierten 20.000 Jahre bis zur letzten Eiszeit zurück. »Man sollte bei der Ernährung auf genügend Jodgehalt im Essen achten«, so Gebhardt.

Die Symptome von Schilddrüsenerkrankungen seien vielfältig, vom Kloß im Hals über Herz-Kreislauf-Störungen bis hin zu Augenbeschwerden reiche die Palette. »Selten ist es der Fall, dass man eine Erkrankung des Organs von außen erkennen kann«, berichtete der Mediziner, größere Kröpfe, so genannte Struma, kämen nicht oft vor. Die Diagnostik verlaufe meist in sechs Schritten: Auf die Anamnese folge eine körperliche Untersuchung, bevor Blutdruck, Puls und EKG-Wellen gemessen werden. Anschließend folge die Bestimmung der spezifischen Schilddrüsenwerte im Blutbild. Anhand dieser sei allerdings nur erkennbar, ob das Organ zufriedenstellend arbeite oder nicht. Die Größe und Form könne man daraufhin mittels Ultraschall bestimmen, die Funktion werde durch eine Szintigraphie getestet. »Hierbei wird das Jod durch Radionuklide ersetzt, anhand des dadurch entstehenden Bildes kann man die Funktionsfähigkeit feststellen«, so Gebhardt.

Die Schilddrüse könne vielfältig erkranken: Struma, Zysten, Knoten, Entzündungen, Carzinome (Krebs) oder Autoimmunerkrankungen sowie Unter- und Überfunktion sind möglich – in beliebigen Kombinationen. Deshalb sei die Diagnose so schwer zu stellen, sagte der Chirurg. Eine vergrößerte Drüse sei auf Jodmangel zurückzuführen, Knoten könnten »kalt« oder »heiß« sein. Gutartige seien meist weich, Bösartige schnellwachsend und fest. Eine Überfunktion zeichne sich durch Hyperaktivität und Unruhe des Patienten aus, Antriebsschwäche, Depressionen und Müdigkeit zeugten von einer Unterfunktion. Bei akutem Jodmangel bestehe auch ein hohes Krebsrisiko, dieser sei mittlerweile aber in 90 Prozent der Fälle heilbar.

»Drei Therapieformen stehen je nach Krankheitsverlauf und -schwere zur Auswahl«, erklärte Gebhardt. Die medikamentöse werde in leichten Fällen angewandt. Außerdem gebe es noch die Möglichkeit einer Radioiodtherapie  und zu guter Letzt die Operation, die bei bestimmten Krankheitsverläufen angewandt werden sollte. Wichtig seien hierzu eine gute Diagnostik, gute OP-Technik und eine professionelle Nachsorge. Bei Schwerkranken sollte man wegen möglicher Komplikationen von einer Operation absehen, außerdem sei ein ambulanter chirurgischer Eingriff nicht empfehlenswert, da es zu Nachblutungen kommen könne. Da dicht an den Stimmnerven operiert werde, dürften diese auf keinen Fall verletzt werden, sonst  könne eine Stimmbandlähmung oder der vollständige Sprachverlust die Folge sein. Zum Schutz werden die Nervenstränge mittels Elektroden während der OP stimuliert und durch Neuromonitore überwacht.

»Das Ziel einer Operation ist neben der Beschwerdenlinderung, einen zweiten Eingriff zu verhindern«, betonte Gebhardt. Bei einer Komplettentfernung müsse das Drüsenhormon über Tabletten zugesetzt werden, bei bösartigen Tumoren würden außerdem nahe befallene Lymphknoten gleich mit entfernt. »Früher ging es bei Schilddrüsen-Operationen nur um das Überleben des Patienten, mittlerweile spielen auch Sicherheits- und kosmetische Aspekte eine Rolle«, resümierte der leitende Arzt. So sei ein Zugang bei kleineren Operationen auch über die Achselhöhle oder Brustwarzen möglich, um die Entstehung von Narben zu vermeiden.tc