Die Sehnsucht auf besondere Weise eingefangen

Weihnachtliche »lange Nacht der Marktkirche« mit viel Musik, Ansprachen und Farbenspiel an St. Jacobi

Beeindruckende Farben an St. Jacobi: Die Innenstadt-Kirche war zur »langen Nacht der Marktkirche« in wechselnde Farben getaucht.

Einbeck. Die Marktkirche leuchtet, und trotz des Regenwetters kommen viele Besucher und staunen und fotografieren. Dann Musik vom Turm: BorchardtBrass, drei Brüder, spielen Weihnachtslieder auf Trompete, Posaune und Waldhorn, geben einen akustischen Vorgeschmack auf Weihnachten, das anders ist als gedacht, für das es aber doch eine Möglichkeit zum Feiern gibt. In der Kirche tritt abends Mister Me auf, Micha Meißner ist in Einbeck aufgewachsen, er greift damit das Nachhausekommen auf, auch diesmal ganz anders. Und zuvor gibt es Weihnachtansprachen von Pastor Daniel Konnerth, Amtsgerichtsdirektor Thomas Döhrel und Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek. Weil der erneute Lockdown die geplante Präsenzveranstaltung nicht erlaubte, gab es das alles in der »langen Nacht der Marktkirche« per Stream, mit über 300 Zuschauern an den Computern zuhause.

»Stille Nacht«, »Ihr Kinderlein kommet«, »Alle Jahre wieder«, aber auch »Versuch’s mal mit Gemütlichkeit«: Von der Türmerstube der Marktkirche schallte es über die Stadt, immer wieder brandete auf dem Marktplatz, wo die Zuhörer unter Regenschirmen stehen blieben, starker Beifall auf, den die jungen Musiker im Turm, Roland, Konrad und Hinrich Borchardt bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt als BorchardtBrass, da oben auch hörten und über den sie sich sehr freuten. Sie stimmten akustisch ein auf die »lange Nacht der Marktkirche«, die bis nach Mitternacht dauerte.

Bereits ab 16 Uhr zeigte sich St. Jacobi in ungewohnten Farben: Rot, lila, grün, blau, pink – Krümmel Event hatte in der vorhergehenden Nacht farbige Scheinwerfer innen im Turm und rund um die Kirche installiert und geprobt und das beeindruckende Farbenspiel vorbereitet. Kräftige Farben hinter den Turmfenstern, die gesamte Kirche in wechselnde Töne getaucht, das war bis Mitternacht ein echter Hingucker und beliebtes Fotomotiv.

In der Kirche hieß Moderatorin Lena Maier die virtuellen Besucher willkommen. Man freue sich, auf diese Weise Weihnachten nach Hause zu bringen. »Nach Hause kommen«, unter diesen Aspekt stellte auch Pastor Daniel Konnerth seine Ansprache. Für viele Einbecker sei der Tag vor Heiligabend der Tag des Heimkommens, des Wiedersehens auf dem Weihnachtsmarkt bei der Homecoming-Party, nur in diesem Jahr eben nicht. Alles möge wieder ganz normal sein, das sei derzeit eine große Sehnsucht.

Ein Lied über diese Sehnsucht habe Chris Rea geschrieben, »Driving Home for Christmas«, in dem er davon singe, seine Füße auf heiligen Boden zu stellen, zuhause zu sein. Das sei der Ort, an den man gehöre. Vor 2.000 Jahre habe es diese Sehnsucht auch gegeben, so Pastor Konnerth. König David hatte die Sehnsucht, einen Tempel zu bauen, in dem Gott zuhause sei. Ein Haus für Gott, ein cooler Plan. »Wo fühlen Sie sich Gott ganz nah?«, fragte er. Da gebe es viele Plätze im Alltag. David habe einen Platz auf dem Zionsberg gewählt, aber Gott habe den Tempel nicht gewollt.

Der Gott Israels sei ein Gott ohne Ort und ohne Zuhause – er sei selbst das Zuhause. Gott habe hier keinen Ort, aber die Welt habe einen Ort in Gott. Gott sei ein »mobiler« Gott, in einem Haus könne man ihn nicht halten: »Er baut ein Haus in dir«. Heiligen Boden zu spüren, das brauche man derzeit ganz besonders. Man sei zusammen, man dürfe nach Hause kommen, und diese Gewissheit wolle das Kind von Bethlehem den Menschen schenken.

»Was bedeutete Corona für uns, für mich?«, darüber machte sich Amtsgerichtsdirektor Thomas Döhrel in seiner Weihnachtansprache Gedanken. Seien rechtliche Ausführungen zu den Corona-Regeln seine Sache? Öffentliches Recht, räumte er ein, »könne« er nicht, und einen Fachvortrag wolle einen Tag vor Weihnachten niemand hören. Aber als Jurist habe er sich Gedanken über die Pandemie gemacht. Die Vorschriften sollten verhindern, dass sich sie sich ausbreite und Menschen daran erkranken oder sterben würden. Einschränkungen seien laut Infektionsschutzgesetz erlaubt, es handele sich um eine epidemische Lage von nationaler Tragweite, und dann dürften Bund und Länder ermächtigt werden, entsprechende Regelungen zu erlassen.

»Ermächtigungsgesetz«, dieser missbrauchte Begriff habe allerdings in der deutschen Geschichte eine fatale Bedeutung. Ein Vergleich mit dem Nationalsozialismus sei jedoch bösartig falsch, betonte Döhrel. Die Beschränkungen in Freiheitsrechten seien in jedem Bundesland anders, Föderalismus sei manchmal verwirrend. Aber es sei besser so als mit einheitlichen Regelungen zu arbeiten, denn es gebe Unterschiede, schon innerhalb eines Bundeslandes. Je genauer Vorschriften aber seien, um Einzelheiten zu regeln, desto unverständlicher würden sie auch. Rechtsprechung solle bestimmte Rechtsbegriffe mit Inhalten füllen, doch das dauere häufig Jahre, und dazu sei diesmal keine Zeit gewesen. Das Bemühen sei allerdings erkennbar.

Das, was nicht zu kontrollieren sei, kontrollieren zu wollen, sei nicht gut, sondern rechtsstaatlich bedenklich, und das kritisiere er. Wer treffe sich mit wem zuhause zum Kaffee, das sei nicht zu überprüfen, und Sanktionen könne es nicht geben. Rechtstreue, die sich an die Vorschriften hielten, würden also benachteiligt beziehungsweise bestraft. Rechtswidriges Verhalten, in dem Freiheitsrechte ausgelebt würden, werde belohnt. Nicht kontrollierbare Regeln gehörten nichts ins Gesetz. Das müsse man anders machen.

Aus Angst habe man nicht auf Experten gehörten. Man erlebe derzeit überall Angst, vor Ansteckung bei sich und anderen, bei Politikern davor, etwas falsch zu machen und für das Sterben von Menschen verantwortlich gemacht zu werden. Angst sei aber ein schlechter Ratgeber. Keine Angst zu haben, das gebe es nicht, das sei auch gut so. Aber die Angst dürfe nicht überhand nehmen. Unbesonnen zu handeln und in Panik zu verfallen, mache auch krank. Gegen die Angst handele jeder anders: Sein Weg sei beispielsweise Musik: Aus allen Nöten befreie ihn der »Boss«, Bruce Springsteen, gestand er. Aber es könne durchaus sein, dass Mister Me mit seiner Musik für viele ein Retter sei – so freue er sich auf das Konzert.

Licht, aber kein Trubel und keine lebendige Freude im Weihnachtsdorf, das gewohnte Weihnachten »vermissen wir schmerzlich«, stellte Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek fest. Corona habe viele Menschen vor Herausforderungen gestellt, die sie so nicht kannten. Derzeit befinde man sich in der Hochphase der zweiten Welle, mit Einschränkungen und mit vielen Sorgen um die Gesundheit und um die Existenz. Niemand könne sage, wie lange die Situation noch andauern werde und welche Folgen sie habe. Dennoch sei man dankbar für das, was geschaffen wurde mit Disziplin und Rücksicht. Der Weg aus der Pandemie sei beschwerlich und weit, aber wenn man zusammenstehe, dann werde man auch durch diese Krise kommen.

Die Botschaft des Weihnachtsfestes sei in diesem Jahr, Kraft zu schenken. Sie wünsche sich, dass es viele kreative Formen der Nähe gebe, Briefe, Pakete, Chats, die in schwerer Zeit Licht und Freunde schenken könnten. »Frohe Weihnachten, Gesundheit, Frieden und Gottes Segen. Bleiben Sie behütet«, so ihr Wunsch. Umrahmt wurden die Ansprachen von jungen Musikern der Mendelssohn-Musikschule: Tim Meyer, Keyboard, Tom Hahn, Gitarre, und Liana Aranyi, Gesang. Mit Stücken von Coldplay, Fury in the Slaughterhouse oder mit Leonard Cohens »Hallelujah« hätten sie vor einem Live-Publikum sicher viel begeistern Applaus erhalten. Bei einer After-Show-Party legte, begleitet vom bunten Licht, DJ MENJU auf.

Die »lange Nacht der Marktkirche« war eine Initiative der Jugendkirche »marie«, der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Einbeck, unterstützt von Ein-Stream, der Jugendpflege Einbeck und der St. Alexandri Stiftung sowie Sponsoren, die diese besondere Form des Weihnachtskonzerts möglich gemacht haben.ek