»Drogensucht kann man nicht so einfach abstellen«

Wolfgang Kiehl berichtete Schülern von seiner langjährigen Abhängigkeit, um sie für dieses Thema zu sensibilisieren

Suchtberater Wolfgang Kiehl führte im Wilhelm-Bendow-Theater eine Suchtpräventionseinheit mit den Schülern der Löns-Realschule durch. In seinem Vortrag berichtete Kiehl von seiner eigenen Drogenvergangenheit, um die Kinder ab der siebten Klasse für die Gefahren des Suchtmittelkonsums zu sensibilisieren.

Einbeck. »Ich war sieben Jahre heroinabhängig«, begann der heute 47-jährige Kiehl. Er eröffnete den Schülern einen eindrucksvollen Einblick in seine eigene »Drogenkarriere«. Einstieg seien oftmals Zigaretten oder Alkohol. Pro Jahr sterben in Deutschland 50.000 Menschen an mißbräuchlichem Alkoholkonsum und 120.000 am Rauchen. Ein großes Problem sei die Verharmlosung in der Gesellschaft.

Er erklärte auch, was Komasaufen bedeutet: »Nur Kinder, deren Gehirn noch nicht ausgewachsen ist, können sich ins Koma saufen«. Die Grenze liege bei 1,6 Promille, das wachsende Gehirn könne nicht mehr verkraften und schalte ab. Durch den mißbräuchlichen Alkoholkonsum würden auch Gewalttätigkeiten zunehmen. Auch die Differenzierung »harte und weiche Drogen« sei »völliger Quatsch« – es gebe nur Drogen oder keine Drogen. Außerdem sagte er, dass jeder, der sich für ein Suchtmittel entscheide, dieses auch bekommen würde.

Er selbst habe eine behütete Grundschule besucht, mit Chaos wurde er erst in der fünften Klasse seiner neuen Hauptschule konfrontiert. Um dort dazuzugehören, habe er auch »Mist gemacht« und angefangen zu Rauchen. Zuhause übertrug sich das Chaos auf die Familie, er stritt sich so oft mit seinem Vater, bis dieser ihn nach einem Schulverweis mit 15 Jahren in eine Handwerksausbildung steckte. »Dort wurde viel getrunken«, erinnerte sich Kiehl. Er habe »mal mitgesoffen« und nach drei Bier seinen Chef beleidigt. Dies führte daheim wieder zu Streitigkeiten. »Ich habe dann soviel Mist gebaut, dass mein Vater mich hat ausziehen lassen«, so Kiehl.

Er habe sich dann Freunde gesucht, die »anders ticken, verrückt sind« und diese auch gefunden. Alle hätten gekifft, er habe mitgezogen. »Jeder reagiert auf Drogen anders«, berichtete er. Der Prozess des Grenzenaufweichens hätte bei ihm damals begonnen, auf Gras folgten Bong-rauchen, dann Pilze, Pappen, Ecstasy und schließlich LSD. Die Wirkung von LSD halte 24 Stunden an, »man kann die Wirkung nicht wegschlafen«. Wer den Trip nicht aushalte, laufe Gefahr, wahnsinnig zu werden.

Als nächste Droge kam Speed, bevor die Clique auf Kokain umstieg. Zu dieser Zeit arbeitete er in der Filmindustrie, »da haben das alle genommen«. Überhaupt sei Kokain in der Filmbranche weit verbreitet. »Wer abhängig ist, dem kann fast nie geholfen werden«, sagte Kiehl.

Bei der Bundeswehr wurde er von der Marine als Lkw-Fahrer eingeteilt, »das wollte ich überhaupt nicht«. Also habe er betrunken mit dem Gewehr auf dem Kasernendach einen Indianertanz aufgeführt, woraufhin er strafversetzt wurde.

Nach Ablauf seiner Dienstzeit wurde er von seinen Freunden wieder in die Clique eingeführt, es gab Willkommenspartys mit viel Alkohol, allen bekannten Drogen – und Heroin. Das deutsche Heroin sei nur zu fünf Prozent rein, die anderen 95 Prozent seien »Dreck«. Umschlagplatz Nummer 1 für Heroin in Deutschland sei übrigens Hannover.

»H« habe er nur geraucht und nicht gespritzt. Die Droge sei ein Gefühlskiller, man stumpfe ab und das Unrechtsbewusstsein werde abgeschaltet. Pro Tag habe er fünf Gramm geraucht, 300 Mark brauchte er täglich zur Finanzierung seiner Sucht, erklärte Kiehl. Viele würden Heroin spritzen, dadurch erhöhe sich die Gefahr einer HIV- oder Hepatitis-C-Erkrankung deutlich. Außerdem zögen sich die Adern zurück, so dass man irgendwann »keinen Platz mehr« habe, um es hineinzuspritzen. »Der letzte Ausweg ist die Beinschlagader. Natürlich besteht beim Versuch, diese zu treffen, starke Verletzungsgefahr«.

»Es läuft immer gleich«, formuliert er den Ablauf zur Geldbeschaffung: »Zuerst geht es ans Ersparte, danach werden Freunde, Eltern und Verwandte angepumpt«. Wenn diese über die offensichtlichen Probleme reden wollten, zögen sich Junkies sofort zurück, erläuterte der Suchtberater. »Wenn der Geldhahn zu ist, werden Junkies in der Regel kriminell«, weiss Kiehl.

»Drogenabhängige sind süchtig, Sucht ist eine Krankheit – und diese kann man nicht einfach abstellen«, erläuterte er. Wenn man nach Heroinkonsum aufwache, fühle man sich »total beschissen«. Alle Muskeln schmerzten, man schwitze ununterbrochen und man habe starke Kopfschmerzen. Um dem entgegenzuwirken, habe er also nach dem Aufstehen um 17 Uhr sofort wieder Heroin konsumiert. Dann sei er losgegangen, um zu klauen – zur Finanzierung seiner Sucht. Heroin sei brandgefährlich, da es schnell psychisch und physisch abhängig mache.Sieben Jahre lang habe er gestohlen, dann wurde er erwischt. Nachdem die Handschellen klickten, machte er in U-Haft unfreiwillig »kalten Entzug«. »Die ersten sieben Tage wird es immer schlimmer, Tag acht und neun sind gleichbleibend, bevor es besser wird«, berichtete er.

Nach der Haft machte er eine Therapie, weit weg von zuhause. »Die vier Jahre Therapie haben mich gerettet«, sagt Kiehl. Er habe das Abitur nachgeholt, ein Studium begonnen und sei nun seit mehr als zehn Jahren »clean«. Aus seiner Clique hätten insgesamt zwei Personen von 19 den Ausstieg geschafft. Den Schülern gab er den Tipp, früh mit Freunden und Eltern über Drogen zu reden und sich denen anzuvertrauen, die man liebe, um böse Überraschungen zu vermeiden.tc