Ein Blick 100 Jahre zurück

1920: Bürgermeisterwahl, Humoriges zum Fest, Wurst-Diebstahl und beschlagnahmtes Bier

Kultur und Sport: An den Festtagen 1920 wurde einiges geboten. 100 Jahre später kann es leider keine großen Silvesterfeiern mit Konzerten geben.

Wie mag es in Einbeck zu Weihnachten und Silvester vor 100 Jahren ausgesehen haben? Susanne Gerdes aus dem Einbecker Stadtarchiv hat dazu und zum Verlauf des Jahres 1920 recherchiert.

Einbeck. Im April gründete sich der Einbecker Mandolinenclub, der dieses Jahr auf sein 100-jähriges Bestehen zurückblicken konnte und immer noch sehr aktiv ist. Im Juni wurde Dr. Hans Oehlmann zum Bürgermeister gewählt, im Juli stellte man einen Gedenkstein für Friedrich Sertürner, den Entdecker des Morphiums, vor die Bartholomäus-Kapelle. Der Tummelplatz an der Jahnstraße, im Ersten Weltkrieg zur Hälfte in Gärten umgewandelt, wurde im Sommer 1920 mit einem Sportfest neu eingeweiht. Ein besonderes Datum war auch das erste Hubebergturnfest im September.

Versailler Vertrag

Politisch begann das Jahr mit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages, den Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg unterschreiben musste. Das Land und seine Verbündeten wurden für den Ausbruch dieses Weltkriegs verantwortlich gemacht und in dem Vertrag zu Gebietsabtretungen, Reparationszahlungen und Abrüstung verpflichtet. Die Deutschen empfanden das als Demütigung.

Am Ort: Politische Auseinandersetzungen

In Einbeck gab es fortwährende Auseinandersetzungen um die politische Macht zwischen den Sozialdemokraten und der bürgerlichen Fraktion, die im Bürgervorsteher-Kollegium jeweils zwölf Sitze inne hatten. Im März endete der Kapp-Putsch unter dem republikfeindlichen General von Lüttwitz, General Ludendorff, Wolfgang Kapp und General Paul von Lettow-Vorbeck in Berlin mit einem Generalstreik der arbeitenden Bevölkerung in ganz Deutschland. Nicht nur in Einbeck versorgten sich die streikenden Arbeiter mit Waffen, die sie später nicht zurückgeben wollten.

Berichterstattung im Einbecker Tageblatt

All das schlug sich natürlich in der Berichterstattung im Einbecker Tageblatt nieder, das in der Druckerei von Johannes Schroedter an der Langen Brücke 12/14 gedruckt wurde. Nach und nach stiegen die Lebensmittelpreise, eine Folge des verlorenen Krieges und der großen finanziellen Belastungen, die Arbeitslosigkeit nahm zu, die Folgen des Krieges waren überall spürbar. Doch trotz aller Sorgen und einer ungewissen Zukunft, oder gerade deswegen, lief das Alltagsleben weiter.

Humorige Theaterstücke und Tanzkränzchen

Man ließ sich das Weihnachtsfest in Einbeck nicht verderben und auch nicht die Silvesterfeier. In großen Anzeigen wurden Weine, Sekt und Cognac feilgeboten. Als Geschenk wurde »feine Herrenwäsche« beworben, die »köstliches Behagen erwecken« sollte. Es gab humorige Theateraufführungen in Dassensen, die einen »kolossalen Lacherfolg« versprachen, danach ein Tanzkränzchen. Vereine organisierten Weihnachtsfeiern, es gab Fußballspiele, Sportfeste, Konzerte und Theateraufführungen. 

Würste-Diebstahl aus Vorratskammer und Schornsteinfeger-Gebühren

In Holtensen klaute vor Weihnachten ein frecher Dieb im Hause der Familie Hasselmann mehrere Würste aus der Vorratskammer. Gebühren für die Schornsteinfeger wurden neu festgesetzt. So kostete das Reinigen eines besteigbaren Schornsteins 2,30 Mark, das Ausbrennen kostete 3 Mark und die An- und Abfahrt schlug mit 0,20 Mark zu Buche. Zum Alltag gehörte aber natürlich auch der Sport: Einbeck 05 hatte ein Liga-Spiel gegen Germania Osterode, von dem man sich ein »flottes, energisches Spiel« versprach, der Sieg der Einbecker Mannschaft setzte der Schreiber des Artikels allerdings schon voraus …
»Hebung des religiös-sittlichen Geistes«

Im Berkenbuschhaus gründete sich ein evangelischer Männerverein, der zur Hebung des religiös-sittlichen Geistes beitragen sollte im Gegensatz zu den scharfen politischen Gegensätzen innerhalb der Bevölkerung.

In Dassel fand im Ratskeller das jährliche, sehr beliebte »Richter-Konzert« unter Leitung des Einbecker Kapellmeisters Richter mit dem Solokünstler Karl Hassendorn aus Magdeburg an der Violine statt.

Bei Domeier & Boden

Eine kuriose Begebenheit trug sich kurz vor Weihnachten zu: Die Brauerei Domeier & Boden hatte einen »ausgezeichneten Gerstensaft« produziert und als Starkbier an die Einbecker Wirte ausgegeben. Leider hatte jemand »gepetzt« und bei der Northeimer Zollbehörde angezeigt. So beschlagnahmte die Behörde sämtliche Vorräte ...

1920 und 2020

Jahre der Entbehrungen lagen hinter den Einbeckern, viele Familien verloren Ehemänner und Söhne im Krieg, doch das Leben ging weiter. 100 Jahre später liegt durch die Pandemie auch ein schweres Jahr hinter der Weltbevölkerung, ein Jahr, in dem viele Menschen starben, über viele Monate Kontakte minimiert werden mussten, Menschen in Kurzarbeit gingen, Geschäfte schlossen. Hier bestimmen Homeoffice und AHA-Regeln das Leben, »doch durch den Impfstoff sehen wir heute Licht am Ende des Tunnels, das heißt in ein paar Monaten wird einiges wieder möglich sein. Doch zunächst sollten wir noch diszipliniert bleiben, auch an Weihnachten und Silvester. Bleiben Sie gesund!«

Susanne Gerdesoh