Ein faszinierendes Wesen, aber kein Kuscheltier

SPD-Projektsommer zu Besuch im Wolfsgehege | Aufklären, aber Ängste ernst nehmen

Matthias Vogelsang (links) gab beim SPD-Projektsommer Auskunft über das Leben mit den Wölfen. Die Tiere, mit denen er auch beruflich zu tun hat, faszinieren – und beschäftigen – ihn rund um die Uhr.

Einbeck. Haus- oder gar Kuscheltiere sind es nicht: »Der Wolf polarisiert«, weiß Matthias Vogelsang. Der Wolfsexperte, hauptberuflich im Wisentgehege in Springe tätig, hat als Privatmann vor einigen Jahren mit seiner Frau Birgit bei Brunsen ein Wolfsgehege aufgebaut. Beide leben mit den Tieren, haben so tiefe Einblicke in ihr Wesen bekommen – und haben jetzt im SPD-Projektsommer über ihre Arbeit berichtet.

»Der Wolf ist ein Beutegreifer, ein Raubtier«, das sollte man, so Matthias Vogelsang, nicht vergessen. Als er sich in Brunsen niedergelassen habe, habe es viel Kritik gegeben. Das Wild werde zurückgehen, so die Befürchtung, die aber nicht eingetreten sei. Beschwerden habe es noch nie gegeben, und wenn einer beim Ansitz tatsächlich mal den Wolf heulen höre, empfinde er das als beeindruckend.

Strengen Kontrollen sind Vogelsangs mit ihrem Gehege unterworfen: Ein 3,30 Meter hoher Zaun, elektrifiziert und als Untergrabungsschutz zwei Meter tief im Boden versenkt, ist gezogen worden.

Der ist tatsächlich nicht zu überwinden. Einmal im Jahr werden die Tiere ärztlich untersucht und geimpft.
Beide haben ihr Leben ganz klar dem Wolf gewidmet, nachdem sie als Sparkassenfinanzwirtin beziehungsweise Kfz-Meister zuvor andere berufliche Wege eingeschlagen haben. Tauschen möchten sie nicht mehr, auch wenn die Arbeit bedeutet, 365 Tage im Jahr präsent zu sein. »Aber es sind einfach wunderbare Tiere«, stellt Matthias Vogelsang fest.

Seit 1999 ist der Wolf in Deutschland wieder heimisch, zunächst in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Zurzeit gibt es etwa 450 Exemplare, alle aus der polnischen Art.

Vieles, was mit dem Ruf des Wolfes zusammenhänge, gehöre ins Mittelalter. Er nehme aber die Ängste und Sorgen der Menschen ernst. Der Umgang sei auch ein Generationenproblem, später werde man über die Befürchtungen sicher lächeln. Einen 110-prozentigen Schutz vor dem Wolf gebe es nicht, aber der Experte sieht auch die Nutztierhalter in der Verantwortung: »Statt Mahnfeuer zu entzünden, sollten sie ihre Tiere sichern«, so sein Appell, entsprechende Maßnahmen zur Einfriedung zu ergreifen. Wenn man beide Seiten berücksichtige, werde es der Wolf in Deutschland gut haben. Dafür sei aber viel Aufklärungsarbeit notwendig. Der Mensch müsse sich mit dem Wolf arrangieren. Wenn er selbst, so Matthias Vogelsang, als »Wolfskuschler« bezeichnet werde, stehe er da drüber.

Er spreche lieber von einer Wolfsfamilie statt von einem Rudel. Rüde und Fähe, männliches und weibliches Tier, verpaaren sich einmal im Jahr. Im Mai kommen vier bis sieben Welpen zur Welt, wobei die Welpensterblichkeit bei 30 Prozent liegt. Nach dem Heranwachsen verlassen die Welpen die Familie. Sie sind territorial unerfahren und allein unterwegs, das führt dann zu Sichtungen. Dabei können sie auch mal durch ein Dorf laufen. Viele kostet dieser Weg das Leben, sie werden auf der Suche nach eigenem Territorium überfahren, oder sie verhungern. Wölfe seien, schwärmt Vogelsang, hochsozial, und eine Familie zusammen zu sehen, sei ein »Herzöffner.« Wölfe sind Aas- und Allesfresser.

Ihre Nase ist 100 mal besser als die des Hundes, und sie haben einen angeborenen Jagdtrieb. Allerdings sind sie bei zehn Jagden nur zwei- bis dreimal erfolgreich, und pro Jagd legen sie bis zu 100 Kilometer zurück – ein anstrengendes Leben also. Ganz falsch sei es, wenn der Wolf vom Menschen angefüttert werde. »Problemwölfe werden vom Menschen gemacht«, kritisierte er. Ein Fehler sei es, Nahrungsreste in die Landschaft zu werfen. Hätten Wölfe einmal gemerkt, dass der Mensch Beute sei, müsse man handeln, wobei der Mensch eigentlich nicht ins Beuteschema passe. Vom gesunden Wolf gehe für Menschen keine Gefahr aus.

Sehr umstritten seien Handaufzuchten. Allerdings würden diese Tiere im Menschen keinen Feind sehen, und so hätten sie beispielsweise im Wisentgehege weniger Stress. »Unsere Arbeit ist dabei eine Gratwanderung: Wir wollen Aufklären, dass der Wolf ein Wildtier ist, aber wir zeigen Handaufzuchten.« Der Wolf sei kein Hund und kein Haustier, er lasse sich nicht erziehen. Bei Vogelsangs bleiben die Welpen bis zur zwölften Woche im Haus, dann geht es ins artgerechte Gehege. Das älteste Tier dort ist 13 Jahre, wobei bis zu 15 Jahre in menschlicher Obhut erreicht werden können. In der Natur werden Wölfe sieben bis neun Jahre alt. Derzeit gibt es 14 Tiere in der Anlage, finnische, kanadische und Polarwölfe, und ein Jungtier ist dabei. Der Polarwolf sei ruhiger als der europäische Wolf – eine Vergesellschaftung sei nicht möglich.

Am Gehege konnte der Wolfsberater zahlreiche interessierte Fragen beantworten. So heulen die Wölfe nicht den Vollmond an, sondern gehen dann öfter jagen. Das Heulen ist das Zeichen zum Aufbruch, und es zeigt Stärke. Außerdem macht es darauf aufmerksam, dass ein Territorium besetzt ist.

Die Sprache der Wölfe, verstehe er genau, stellte Vogelsang fest. Er sei noch nie ernsthaft gebissen worden. Die Basis dafür sei Vertrauen, aber man dürfe sich auch keine Ablenkung erlauben. Andererseits wisse er auch, dass die Wölfe ihn verstehen würden.

Gefüttert werden die Wölfe unter anderem mit Fallwild, es werden aber auch rund sechs Tonnen Fleisch pro Jahr dazu gekauft. Ein kräftiger Wolf bringt bis zu 70 Kilogramm auf die Waage, ein Polarwolf sogar noch mehr.

Großes Entzücken rief ein fast 13 Wochen alter Welpe bei den Besuchern hervor, und hier zeigten sich schon deutlich die Unterschiede zum Hund: die schwarze Schwanzspitze, der gerade Rücken, die kleinen bewachsenen Ohren, die längeren Beine. Ein Wolf hat einen weißen Unterkiefer und einen keilförmigen Körper, was ihm bei hohen Schneelagen zugute kommt.

Was tun, wenn es tatsächlich zu einer Begegnung mit einem Wolf kommt? »Kinder an die Hand, Hunde an die Leine«, so Vogelsangs Rat. Empfehlenswert ist es weiter, Krach zu machen oder laut zu reden. Außerdem sollte man ruhig stehen bleiben. Davon, sich groß zu machen, rät er ab, ebenso vom Weglaufen, und ein Selfie muss auch nicht sein. Wölfe wollten Menschen riechen – und dann werde der Wolf sich wieder entfernen. In Niedersachsen gebe es derzeit um die 100 freie Wölfe. Dass der Hils einmal territorial das Ziel eines Rudels sei, glaube er nicht, allenfalls ein Sprungbrett.

»Wir waren mal neugierig«, dankte der SPD-Vorsitzende Marcus Seidel für die Möglichkeit des informativen Besuchs. Die Chance gibt es sonst nämlich nicht, Gäste werden eigentlich nicht herumgeführt: »Dafür sind wir im Wisentgehege in Springe zuständig.«ek