Ein Gedenkstein in der Münsterkirche

Und ein Einbecker Choral zum Himmelfahrtstag / »Einbecker Lied«

Dass in Inschriften auf Gedenksteinen oder auch auf Grabmälern die Vorübergehenden angeredet werden, ist seit der Antike oft zu finden. Und in einer Zeit, in der man nicht mit dem Auto, der Bahn oder dem Flugzeug reiste, sondern meist – auch über größere Strecken – zu Fuß ging, hatte eine Anrede an die Vorübergehenden eine andere Bedeutung, als das heute der Fall sein dürfte. Das »Wanderer, kommst du nach Sparta …« haben Generationen von Schülern gelernt, und eine umfangreiche Sammlung dieser Inschriften findet sich in der spätantiken »Anthologia Graeca«. Ein derartiger Gedenkstein mit einer langen, lateinischen Inschrift, in der der »Viator«, der »Wanderer«, angeredet wird, steht an der Innenseite der Nordwand in der Münsterkirche.

Einbeck. Die Inschrift beginnt in gut antiker Tradition mit den Worten »Bleib stehen, Wanderer, und lies auf diesem Grabstein – Sta viator et cippum hunc … lege«. Und danach folgt eine recht ausführliche Lebensbeschreibung des mit dem Gedenkstein zu Ehrenden. Der letzte Satz wendet sich dann wieder an den »Wanderer« mit der Aufforderung: »Erkenne darin (= in der Lebensbeschreibung) die Sterblichkeit (von uns Menschen) und gehe weiter – Tu vero viator ex eodem mortalitatem disce et abi«.

Der Stein erinnert an Ernst Sonnemann (1630 bis 1670), der von 1661 bis 1670 Pastor an der Münsterkirche war. Die Inschrift mit Übersetzung und weiter mit dem, was über Ernst Sonnemann in Erfahrung gebracht werden konnte, steht im Einbecker Jahrbuch 46 (1999): Er war nach seiner Ausbildung »Conrector« in Celle gewesen und hatte dort ein Gesangbuch bearbeitet und herausgegeben. Danach war bis zu seinem Tod »in der Blüte seiner Zeit – aetatis suae flore« – er war da gerade 40 Jahre alt – Pastor in Einbeck.

Ernst Sonnemann gehört zu den Pastoren, die etwas von dem, was sie allsonntäglich predigten und den Kindern im Unterricht zu vermitteln suchten, in mehr oder weniger gelungene Verse gebracht haben. Sein Lied »Auf Christ Himmelfahrt allein« steht bis heute im Evangelischen Gesangbuch (Nr. 122).

Zwei Strophen dieses Liedes seien hier wiedergegeben:

Auf Christi Himmelfahrt allein / ich meine Nachfahrt gründe / und alle Zweifel, Angst und Pein / hiermit stets überwinde. / Denn weil das Haupt im Himmel ist, / wird seine Glieder Jesus Christ / zur rechten Zeit nachholen.Weil er gezogen himmelan /und große Gab’ empfangen, / mein Herz auch nur im Himmel kann, / sonst nirgends Ruh’ erlangen; / denn wo mein Schatz gekommen hin, / da ist auch stets mein Herz und Sinn, / nach ihm mich sehr verlanget.

Dem Text liegen zwei Bibelstellen zugrunde: Im Johannes-Evangelium sagt Jesus, er werde alle seine Anhänger »zu sich ziehen«, wenn er »erhöht« sei, also nach seiner Himmelfahrt (12, 32). Und Paulus schreibt an die Philipper (3, 20), der Christen »Bürgerrecht« werde »im Himmel« sein. Aus diesen beiden Stellen, an denen Johannes und Paulus mit verschiedenen Worten eigentlich dasselbe sagen, hatte der Augsburger Pastor und spätere Schulinspektor Josua Wegelin einen Liedtext gemacht, den dann der Einbecker Pastor umgedichtet und in die noch heute gedruckte Form gebracht hat.

Sonnemann schließt an die biblische Aussage mehrere »Begründungssätze« (Kausalsätze) mit »denn« und »weil« an und einen »Zwecksatz« (Finalsatz) mit »dass«. Kausal- und Finalsätze sind ihrer Natur nach wenig poetisch und stehen sonst eher in sachlich-nüchternen Prosatexten: Sonnemanns Lied kann also als eine in Gedichtform gebrachte Textauslegung, eine Art »Predigt«, angesehen werden, die er dann in der letzten Strophe mit einem Gebet beschließt.Eine Textdeutung in gereimter Form ist sicher keine bedeutende Dichtung, aber seit Sonnemanns Zeit findet sich dieses Lied in unseren Gesangbüchern, und so sei zu Himmelfahrt an dieses »Einbecker Lied« erinnert.D.A.