Ein kritischer Geist mit einer »kleinen Versfabrik«

»Bücher aus dem Feuer«: Förderverein Alte Synagoge rückt zum Jahrestag der Bücherverbrennung Erich Kästner in den Blick

»Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.« Aus dem Jahr 1820 stammt dieses Heinrich-Heine-Zitat, und mehr als 100 Jahre später sollte er Recht behalten. An die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in vielen deutschen Städten erinnerte der Förderverein Alte Synagoge mit seiner Veranstaltungsreihe »Bücher aus dem Feuer«. Im Blickpunkt stand Erich Kästner, zu dem Inge Hüttig und Heinrich Sprink biographische Details sowie Gedichte und Prosatexte vorstellten.

Einbeck. Die Veranstaltung in der Stadtbibliothek stieß auf große Resonanz, aber Erich Kästner sei ja auch ein pointierter, kluger Mann gewesen, so die Vorsitzende des Fördervereins Alte Synagoge, Dr. Elke Heege.

Man wolle des Unrechts gedenken, das am 10. Mai 1933 in Deutschland geschehen sei, stellte Inge Hüttig fest. Neben den Werken von Mann, Brecht und Zweig wurden auch Kästner-Bücher verbrannt, und mit eigenen Augen sah er auf dem Berliner Opernplatz dabei zu. Trotz des Berufsverbots verließ er Deutschland nicht. Unter Pseudonym konnte er unterhaltsame, aber »harmlose« Texte veröffentlichen. Kästner blieb in Deutschland, um Chronist der Ereignisse zu sein, wobei er die Gefährlichkeit der Situation vermutlich unterschätzte. In »Ich bin ein Deutscher aus Dresden« hält er kurz und prägnant fest, was ihn an seine Heimat band.

Die Personen aus Kästners Büchern schienen wie aus dem Leben gegriffen, wie Szenen eines Films, stellte Inge Hüttig fest. Dieses spot-on-Phänomen gebe es auch bei seinen Gedichten: »Die Helden sind die Zuschauer des Lebens.«

Als Zeitchronist war er für die Nationalsozialisten sehr unbequem. Der Antimilitarist hatte seine Eindrücke aus dem Ersten Weltkrieg verarbeitet, etwa in »Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühen?«. Kästners Schaffen ging weit über Kinderbücher hinaus, sein in den 90er Jahren veröffentlichter Nachlass zeigte, dass man das Image des typischen »Kinder-Onkels« relativieren muss. So hat er in der »Lyrischen Hausapotheke« von 1935 »seelisch verwendbare Strophen« zusammengetragen: »Man lese ...« heißt es da bei den Ratschlägen; bei Problemen etwa wird das Eisenbahngleichnis empfohlen: »Alle sitzen im gleichen Zug, viele im falschen Coupé.« Von dieser »Lyrischen Hausapotheke« sei sie seit ihrer Jugend »absolut begeistert«, verriet Inge Hüttig, und Heinrich Sprink trug verschiedene »Rezepturen« vor.

Kästner wurde 1899 in Dresden geboren, seine Eltern waren Ida und Emil Kästner, Sattlermeister. Zu seiner Mutter hatte Kästner zeitlebens ein sehr enges Verhältnis. In »Emil und die Detektive« beispielsweise findet sich viel Eigenes. Immer wieder hat er seiner Mutter ein liebevolles Denkmal gesetzt, wenngleich idealistisch überhöht. Ida Kästner wiederum hat ihren Sohn eng an sich gezogen, so dass kaum eine feste Bindung an andere Frauen möglich war. Sie habe alles auf den Sohn gesetzt, mit Haut und Haaren, so Inge Hüttig. Und er wollte der vollkommenen Mutter ein vollkommener Sohn sein. Sie habe ihm alles gegeben und hatte deshalb nur wenig für andere Menschen übrig, sie sei für ihn Trost und Bürde zugleich gewesen – eine große Verantwortung für ein Kind. Kästners Berufswunsch war Lehrer. Er war ein hervorragender Schüler, litt aber unter der Strenge in der Schule. Ab 1913 besuchte er ein Lehrerseminar. Nach dem Krieg entschied er sich, sein Abitur zu machen und ein Studium zu beginnen: Geschichte, Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaften in Leipzig, wofür es ein Stipendium gab. Kästner wünschte sich ein freies Leben als Bohemien. Er musste verschiedene Nebenjobs anzunehmen, um über die Runden zu kommen: als Parfumverkäufer ebenso wie als wandelnde Litfaßsäule, Journalist und Theaterkritiker. Ab 1923 veröffentlichte er Gedichte. 1926 wurde er politischer Redakteur einer Tageszeitung in Leipzig. 1927 musste er die Stelle wegen eines frivolen Gedichts räumen. Es folgte seine kreativste Zeit, die Jahre in Berlin, wo er zu einer wichtigen intellektuellen Persönlichkeit aufstieg, mit »kleiner Versfabrik«. Während der NS-Zeit wurde er zweimal von der Gestapo verhaftet, außerdem überwacht. Anfang 1945 gelang es ihm, mit seiner Freundin Luiselotte Enderle nach Tirol zu flüchten. 1946 kehrte das Paar nach München zurück. Das Verhältnis zu Frauen war schwierig. Die »Liebe seines Lebens« war Ilse Julius. Beide hatten viel gemeinsam, dennoch zerbrach die Beziehung nach fast acht Jahren. Kästner hat diese Erfahrung in der »Sachlichen Romanze« festgehalten. Das Thema Liebe hat Kästner nicht glücklich gemacht, gegenüber Frauen war er misstrauisch. Möglicherweise wurde er aus verletzter Liebe zum Satiriker. Nur einer Frau trat er immer mit unerschütterlicher Liebe gegenüber: seiner Mutter. Fast täglich hat er ihr über Jahrzehnte Briefe oder Karten geschrieben, und sie hat alles aufbewahrt. Dabei hatte Kästner Sehnsucht nach einem Sohn, schon 1932 verfasste er ein Gedicht dazu. Aber sein Wunsch wurde erst 1957 erfüllt; Mutter des Kindes war Friedel Siebert, seine Geliebte seit 1949. Da lebte er schon zehn Jahre mit Luiselotte Enderle zusammen, der er diese und weitere Beziehungen allerdings verschwieg. Auch vom Kind erfuhr sie erst Jahre später.

Kästners häusliche Dramen wurden mit den Jahren für alle Beteiligten schwierig. 1969 verließ Friedel Siebert ihn, und der Autor haderte mit seinem Privatleben, aber auch damit, Deutschland nicht verlassen zu haben. Er, dem die Ideen stets nur so zugeflogen waren, verstummte und versteinerte. Geplagt auch von gesundheitlichen Problemen. Kästner verstarb am 19. Juli 1974 in München.ek