Eindringliche Schauspielkunst

»Die Glasmenagerie«, inszeniert und gespielt von Thalbach-Frauen, im Theater bejubelt

Louis Held, Anna Thalbach, Nellie Thalbach und Sven Scheele glänzten in der »Glasmenagerie«.

Einbeck. Den Südstaaten-Autor Tennessee Williams holte der Einbecker Kulturring jetzt in einer Inszenierung von Katharina Thalbach auf die Einbecker Bühne im Bendow-Theater. Die Schauspielerin bekam bei der »Glasmenagerie« Unterstützung aus den eigenen Reihen - von ihrer Tochter Anna und ihrer Enkelin Nellie. Louis Held spielte Tom Wingfield, Sven Scheele übernahm den Part des Jim O’Connor.

Die vier Schauspieler überzeugten in ihren Rollen und erhielten viel Applaus. Thalbach inszenierte das Stück trotz aller Tristesse leicht, und das animierte das Publikum auch zu Szenen-Applaus. Die eigentliche Handlung des Stücks wird von einer epischen Erzählebene eingerahmt und unterbrochen: Tom Wingfield, der auch als Figur in die Handlung involviert ist, tritt vor das Publikum und berichtet vom früheren Zusammenleben mit seiner Familie.

Das Publikum wird im Spiel der Erinnerungen - der eigentlichen Handlung - Zeuge von Tom Wingfields Rückblende. Amanda Wingfield lebt mit ihrer körperbehinderten 23-jährigen Tochter Laura und ihrem zwei Jahre jüngeren Sohn Tom in St. Louis. Tom, der eigentlich Dichter werden wollte, muss die Familie als Lagerhausarbeiter ernähren, weil der Vater flüchtete. Im Kino versucht er die deprimierende Realität zu vergessen.

Seine Mutter klammert sich an ihre Illusionen und glaubt, ihre lebensuntüchtige Tochter gut verheiraten zu können. Laura wiederum spielt am liebsten mit ihrer Glasmenagerie. Mit Jim O´Connor, Toms Arbeitskollegen, zieht die Realität in das Leben der Familie ein.

Für Mutter Amanda wäre er der ideale Heiratskandidat für Laura, doch nach anfänglicher Annäherung der beiden zerbricht der Traum, dass alles möglich gewesen wäre. Toms Einschübe als Erzähler sind von einer zweifelnden Grundstimmung geprägt. Er folgt den Fußstapfen seines Vaters, wie er am Ende des Stücks - wieder in der Erzählerrolle - dem Publikum erklärt. Er tut das nicht ohne Gewissensbisse.

Und so endet sein Schlussmonolog mit der Erinnerung an seine Schwester. Perspektivlosigkeit und Realitätsflucht sind die bestimmenden Elemente in der »Glasmenagerie«. Amanda und Laura suchen in ihren Traumwelten Zuflucht - Amanda, indem sie ständig von ihrer blühenden Jugend schwärmt, und Laura, indem sie sich in ihrer Glastiersammlung verliert.

Tom hingegen bricht aus. Durch seine Flucht schafft er sich ein neues Leben. Die Selbstverwirklichung ist das bestimmende Motiv. Jim fordert Laura auf, sich nicht entmutigen zu lassen. In einer zentralen Szene des Stücks tanzen die beiden miteinander, obwohl Laura sich zunächst wegen ihrer Gehbehinderung dagegen wehrt. Dabei zerbricht Jim aus Versehen das Horn des Einhorns aus Lauras Glasmenagerie.

Zum Abschied schenkt Laura ihm das zerbrochene Einhorn, das nun »wie alle« ist. Bühne und Kostüme stammen von Ezio Tofolutti, die Musik kommt von Emanuel Hauptmann. Der Einsatz von Licht und Musik unterstreicht die Schwermütigkeit. Auf das Notwendige reduziert ist das Bühnenbild, so dass die Darsteller noch mehr wie verlorene Gestalten erscheinen. »Die Glasmenagerie« von Tennessee Williams trägt autobiografische Züge.

In St. Louis verbrachte Williams einen Teil seiner Jugend, seine Schwester Rose war psychisch krank. In der Schilderung der entbehrungsreichen gesellschaftlichen Zustände und der familiären Beengtheit wird die düstere Grundstimmung im Stück besonders bildhaft. »Die Glasmenagerie« wurde zu einem mehrmals verfilmten Welterfolg. Den mehr als 70 Jahre alten Bühnentext setzt Thalbach in Episoden um.

Grandios agieren die Schauspieler: Anna Thalbach spielt die Amanda mit unbändiger Energie, arbeitet aber gleichzeitig auch ihre Verzweiflung heraus. Nellie Thalbach ist als Laura in ihrer Zerbrechlichkeit und Scheuheit großartig. Louis Held als Tom zeigt eindrücklich seine Zerrissenheit, und Sven Scheele als Jim spielt unbeschwert mit der gläsern-fragilen Laura.

Das Publikum konnte lachen, aber auch den Schmerz der Figuren mitfühlen, ihre Perspektivlosigkeit erahnen. Am Ende gab es für das Vier-Personen-Stück, das den Abstieg einer Familie in düsterer Stimmung eindringlich vorführt, viel Beifall.sts