Eine beeindruckende Aufführung

»Crème frech« mit »Dr. med. Praetorius« / Nochmalige Aufführung am 19. Juni geplant

Seit fünf Jahren gehören die Aufführungen der Theatergruppe »Crème frech« zu den regelmäßig wiederkehrenden Highlights in der Einbecker Kulturszene. Ursprünglich einmal aus ehemaligen Schülern der Löns-Realschule zusammengesetzt, im Laufe der Zeit aber auch von außen aufgefüllt, probte die Gruppe ursprünglich im Kellerfoyer dieser Schule. Im letzten Jahr fanden die ersten Aufführungen im Musik- und Kulturhaus »TangoBrücke« statt, und genau hier ist jetzt auch in Zusammenarbeit mit Martin Keil der neue Probenort angesiedelt. Am vergangenen Wochenende führte das Team vor zwei Mal (über)vollem Haus die Komödie »Dr. med. Praetorius, Arzt« von Curt Goetz auf.

Einbeck. Ursprünglich in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts geschrieben, ist dieses Werk vor allem durch zwei Verfilmungen bekannt geworden, die erste mit dem Autor selbst in der Hauptrolle, die zweite mit dem bekannten Schauspieler Heinz Rühmann. »Crème frech« benutzte die vom Regisseur Rolf-D. Bartels in die heutige Zeit verlegte Urfassung des Stückes.

In einer Rahmenhandlung erfahren die Zuschauer vom Tod des Arztes Praetorius und seiner Frau. Die Begleitumstände dieses Ereignisses bleiben jedoch mysteriös. Wortgewandt diskutieren Sheila Holmes, die Urgroßnichte des berühmten Detektivs Sherlock Holmes (in der Textgestaltung virtuos und temperamentvoll dargestellt von Franziska Mill), und ihre Begleiterin Dr. Emma Watson (energisch angelegt von Pia-Marie Jagemann), über die Tragödie. Emmas ebenfalls anwesende Schwester Anne wird von Jana Beulshausen als in ihrer Erziehungsarbeit an der hochpubertären Tochter Jacky (Hier traf Elena Litowtschenko den rotzfrechen Ton einer verzogenen Göre ausgezeichnet) verzweifelnde und leider auch nicht sonderlich kluge Mutter gespielt. In die unklare Situation beim Tod des Arztes kann nur eine Person Licht bringen: Shunderson, das Faktotum, also das »Mädchen für alles« des Dr. Praetorius. Als einfacher, etwas schusseliger älterer Mann vorzüglich dargestellt von Kevin Lamottke, berichtet er in einer Art Rückblende darüber, wie man sich die Hauptfigur vorzustellen habe – an dieser Stelle vollzieht sich der Übergang zum zweiten Aufzug.

Inmitten seiner Studierenden (rappend: Ivana Kreies, Felix Otto und Kristina Schlüsche) hat Praetorius seinen ersten Auftritt. Er zeigt sich als allseits beliebter, humorvoller, aber auch nachdenklicher und philosophisch-kluger Mann und präsentiert seinen geschickten, oft aber auch beängstigend ehrlichen Umgang mit Menschen, wie zum Beispiel mit dem Pathologen Spiter (von Nico Rosniewski als verschrobener, grober, in seinem Beruf gefangener Professor eindrucksvoll dargestellt), der elfjährigen Jacky, die schon in diesem Alter deutlich pubertäre Züge zeigt, und der alten Mrs. Gordon, die schwer erkrankt behandelt wird. Diese ist zwar gesundheitlich am Ende, weist aber trotz geistiger Defekte immer noch eine gewisse Energie auf und kann sogar lachen (erstaunlich alt: Henrike Bock). Praetorius vermittelt zwischen Schwester Heather (Saskia Krummhaar gibt eine von sich überzeugte und energische Krankenschwester ab) und dem unbeholfenen Assistenzarzt Dr. Muddle, der keinen Satz zu Ende spricht (urkomisch: Florian Borghorst).

Schließlich zeigt Praetorius auch seine mitfühlende Seite, als ihm die Studentin Violetta verdeutlicht, warum sie das Kind, das sie erwartet, nicht zur Welt bringen kann (eine ergreifende Darstellung durch Svenja Heise, die später allerdings auch ihre schauspielerische Vielseitigkeit und damit ganz andere Seiten zeigt, zum Beispiel Charme, Witz, Temperament und Esprit). Dr. Nack, Praetorius’ Freund (heiter und witzig: Boi Krumwiede), macht ihm klar, dass er vor eine Kommission geladen sei, weil die neidischen unter seinen Kollegen dringend etwas gegen ihn unternehmen wollen. Er stellt sich dieser Anhörung überraschenderweise aber mit Freude, weil er weiß, dass er sich gegen alle bösartigen und weit hergeholten Anfeindungen wird verteidigen können. Den Kommissionsmitgliedern (zwischen verärgert, bissig und wütend: Robert Goschin, Ivana Kreies, Felix Otto, Nico Rosniewski und Kristina Schlüsche) gelingt es nicht, ihn wirklich in die Enge zu treiben, er hat auf alle Angriffe eine passende, oft humorige Verteidigung parat. Nicht nur er bleibt schließlich unbehelligt, auch sein Begleiter Shunderson, der die Anwesenden schon immer irritiert hat, kann erläutern, wie er zu Praetorius kam, und wie es ihm gelang, seinen eigenen Tod drei Mal zu überleben. Violetta schließlich macht der Kommission klar, das keines der Mitglieder ihrem Mann das Wasser reichen könne.

Die Rolle des Dr. Praetorius stellt besondere Anforderungen an schauspielerische und vor allem auch sprachliche Ausdrucksfähigkeit. Ein theatererfahrener Besucher der Sonntagsvorstellung bemerkte, er habe das Stück bereits drei Mal auf der Bühne gesehen, dieser Darsteller aber  sei der überzeugendste von allen gewesen. Kai Tietze glänzte mit facettenreichem Spiel, einer gekonnten Körpersprache und absolut sicherer Beherrschung des umfangreichen Textes.Hinter oder neben der Bühne waren beteiligt: Kimberly-Michelle Bartols als Souffleuse und Arne Dorn als Techniker, unterstützt von Anastasia Lisizin. Lars Kremmling und Klaus Veith lieferten große Teile der Ausstattung, und Antje Fleischer erstellte das Plakat.

Crème frech und der Regisseur Rolf-D. Bartels haben sich und durchaus auch den Zuschauern mit diesem anspruchsvollen Stück, das zwischen Komödie, Drama und Tragödie schwankt, eine Menge zugemutet. Das Ergebnis war überzeugend; die Aussagen der Zuschauer lagen zwischen einem einfachen und ehrlichen »Gut« und einem begeisterten »Großartig«.

Das Stück wird voraussichtlich am Sonntag, 19. Juni, noch einmal in der TangoBrücke aufgeführt.oh