Eine feine Gesellschaft: »Hohe Börse« als Patrizier-Treffpunkt

Adelige Kaufmannsfamilien blieben unter sich / Strenge Gesellschaftsregeln / Verstöße wurden mit Zahlung von einem Fass Bier geahndet

Die Einbecker Bevölkerung unterschied sich im Mittelalter in Geschlechter und Zunftgenosssen. Zu den Geschlechtern gehörten die Adeligen, die Patrizier und die schöffenbaren Personen. Die Zunftgenossen waren die Gewerbetreibenden und die Hörigen. Zwar waren die Gilden schon im 14. Jahrhundert im Stadtrat vertreten, die Standesunterschiede blieben aber bis zum 17. Jahrhundert bestehen. Dann begann sich die »feine Gesellschaft« nach und nach aufzulösen, bis sie ganz in der Einbecker Bevölkerung aufgegangen war.

Einbeck. Die Adeligen und Patrizier waren in einer Gesellschaft zusammengeschlossen und besaßen ein von Abgaben und Lasten befreites Haus, dass sie »Junkernhaus«, die »Junkernbörse« oder auch »Hohe Börse« nannten. Hier versammelten sie sich regelmäßig mit ihren Familien. Das Haus der hohen Börse war der Treffpunkt der reichen und einflussreichen Einbecker Kaufmanns-Familien.

»Die Gesellschaft hatte mehrere Beamte, eine eigene Kasse und gewisse Gesetze, deren Beobachtung streng überwacht war.« Zum Beispiel konnte niemand Mitglied werden, dessen Vater nicht in der Gesellschaft war. Allerdings konnte man durch die Ehe mit der Witwe oder der Tochter eines Mitgliedes aufgenommen werden, aber nur so lange die Witwe beziehungsweise Tochter lebte. Danach erlosch die Mitgliedschaft. Die in dieser Ehe gezeugten Kinder hatten kein Recht auf Mitgliedschaft. Streitigkeiten untereinander wurden von der Gesellschaft geschlichtet, wobei die Entscheidung unanfechtbar war. Wer neu in die Gesellschaft aufgenommen wurde, »hat die festgesetzten Gebühren zu erlegen, auch außerdem die ganze Gesellschaft, die Erwachsenen sowohl, als auch unverheiratete Söhne und Töchter, auf die vorgeschriebene Art zu bewirten.«

Während des Stadtbrandes im Jahr 1540 gingen, wie so vieles anderes auch, die Statuten der Hohen Börse verloren. Das Haus, alle Möbel, Gerätschaften und Papiere der Junkernbörse wurden zerstört. Viele Mitglieder der Hohen Börse verließen die Stadt für immer. »Die 1540 verloren gegangenen Statuten der hohen Börse wurden zwar im Jahre 1556 wieder erneuert, allein im Laufe der Zeit und unter verschiedenen unglücklichen Ereignissen löste sich die Gesellschaft nach und nach auf und verloren sich die Genossen derselben unter den übrigen Bewohnern hiesiger Stadt.« Doch zunächst verfolgten die in Einbeck verbliebenen Mitglieder 16 Jahre nach dem großen Brand den Wiederaufbau der Junkernbörse.

Im zweiten Band seiner Geschichte der Stadt Einbeck von Heinrich L. Harland (1859) findet sich sowohl eine Abschrift über den Beschluss des Wiederaufbaues als auch eine Abschrift der Statuten. Harland schreibt dazu: »Die Satzungen sind zwar in niedersächsischer Sprache abgefaßt, aber die in meinen Besitz gelangte Copie ist sehr falsch und von einer Person geschrieben, die der Sache nicht kundig gewesen ist; ich habe daher die hochdeutsche Fassung vorgezogen.«

Der Text ist zwar in hochdeutsch, das damals in Einbeck nicht üblich war, geschrieben – trotzdem gibt er einen guten Einblick in das Denken und die sprachlichen Formulierungen des 16. Jahrhunderts: »Im Namen der heiligen Dreifaltigkeit Amen. Nachdem und als die Aeltesten von den Geschlechtern allhier zu Einbeck vor etlichen vielen und langen Jahren eine ehrliche Gesellschaft, die hohe Börse genannt, nicht ohne bewegliche Ursache und ehrbares Bedenken, damit unter ihnen gute Freundschaft und Einigkeit erhalten werden möchte, angerichtet und vermacht hatten, wozu sie auch eine besondere Stätte und Haus an sich mit aller Freiheit gebracht und gekauft, die ein ehrbarer Rath und ganze Gemeinde zu Einbeck mit aller Pflicht und Unpflicht, womit dieselbe beim Rathe und der ganzen Stadt verhaftet und jährlich zu thun schuldig gewesen, den vorbenannten Geschlechtern und derselben ganzen Gesellschaft von der hohen Börse, um ihrer freundlichen Bitte und zu besondern Ehren und Gefallen, frei gegeben und begnadigt hatten, dahin die von den Geschlechtern zu Fastnacht (Fastelavend) sammt ihren Frauen und Töchtern damals und hernach ihre Nachkommen zur Fröhlichkeit in Zucht und Ehren sich begeben, auch die Junggesellen, welche aus der Gesellschaft geboren, die Zeit über mitnahmen, damit diese von den Alten sehen möchten, hören und lernen, und in Zucht und guten Sitten unterwiesen und erzogen werden …

Weil aber die Welt in die Länge immer schlechter und gefährlicher wird und einer dem andern nicht mit dem Besten antrachtet und nachredet, was doch unter Christen nicht sein sollte, noch gespürt werden, auch gemeine Gelage, darin viele unnütze Geschwätze mit den Worten leichtfertig geschehen, zu besuchen beschwerlich und gefährlich und aus mehreren bewegenden Ursachen und ehrbarlichem Bedenken haben wir für gut und rathsam angesehen und erachtet, in die Fußstapfen (Votstappen) der Alten zu treten und ihnen in Zucht und Ehrbarkeit nachzufolgen, was nicht unbillig und unehrlich sein wird und worüber wir von unserm Nachkommen geehrt und gelobt werden …«Weiter teilt die Gesellschaft ihren einstimmigen Entschluss mit, »solche ehrliche Gesellschaft, wie unsere Alten gehabt und gehalten, wiederum mit Artikeln und Statuten, wie sich ein jeder darauf und darin haben und halten soll, zu versehen und anzurichten, die ein Jeder, der mit auf die hohe Börse gehen will und die Gesellschaft mit halten, soll reden und angeloben, bei Verlust seiner Gerechtigkeit, er sei alt oder jung, reich oder arm, dem nachzusetzen und zu halten. Und sollen und wollen wir für uns und alle unsre Nachkommen nachfolgende Artikel und Statuten zur Unterhaltung des Hauses und der Gesellschaft Gerechtigkeit in Maßen und Wegen aufgerichtet und aufgestellt haben.«

1557 war es soweit, und die Ältesten der hohen Börse begannen mit den Vorbereitungen zu einem Neubau des Junkernhauses. Sander Koch, Jürgen Pawest, Millies von Einem, Franz von Einem und Wedekind Dellinghausen wurden im Rathaus vorstellig, um »die Rechnungsablage des Wedekind Dellinghusen, der eine Zeitlang Börsenherr gewesen, anzuhören.     (Fortsetzung folgt).wk