Geburtstagsgäste bei Franz Cestnik im Atelier

Am 3. August würde der Einbecker Künstler 97 Jahre alt | Erinnerungen in der Galerie zu sehen

»Maler und Modell«: Zum Geburtstag von Franz Cestnik am Freitag, 3. August, wird dieses Bild von 1999 in der Cestnik-Galerie in der Tiedexer Straße gezeigt.

Einbeck. Am Freitag, 3. August, hätte der 2011 verstorbene Einbecker Künstler seinen 97.Geburtstag feiern können. Die Betreiber der Cestnik-Galerie haben aus diesem Anlass wichtige Utensilien aus seiner Werkstatt in der Walter-Rathenau-Straße in die Räume in der Tiedexer Straße 15 gebracht, und sie haben Menschen dazu geholt, genauer gesagt Bilder von Menschen, die Franz Cestnik zu seinem Festtag die Ehre erweisen sollen.

Im Zentrum des Geschehens ist seine Staffelei platziert. Die Kuratoren haben sie mit einem Bild bestückt, das einen Maler bei der Arbeit im Atelier zeigt. Dieses Ölbild von 1999 darf als ein Selbstzeugnis des Künstlers verstanden werden, denn Ähnlichkeiten mit anderen Selbstbildnissen von seiner Hand sind unverkennbar.

Bei den Gästen um ihn herum handelt es sich um sehr unterschiedliche Menschen, die allesamt, wie Franz Cestnik selbst immer wieder betont hat, sein liebstes Thema waren. Natürlich sind kunstaffine Besucher einer Vernissage zugegen (»In der Ausstellung«, 1987) und kulturbeflissene Besucher antiker Schaustätten (»Römisches Paar«, 1990), aber auch Flaneure (»Straßenszene«, 1987; »Paar vor Schaufenster«, 1996). Auch Kollegen aus anderen Kunstgattungen, wie die Schauspielerin und der Schauspieler, die vor der Vorstellung in ihrer Garderobe ihren Text memorieren (»Garderobe«, 1998) sind mit dabei. Selbst Tennisspieler (1985), von denen man weiß, dass sie sich nach dem Sport gern auch mit Kunst und Kultur beschäftigen, gehören zur Schar der Gäste.

Aus den Erzählungen der Familie und von seinen Freunden weiß man, dass Franz Cestnik gern feierte. Nur: Im Mittelpunkt wollte er dabei nie stehen. Er bevorzugte die Position des liebevoll-ironischen Beobachters am Rande.

In seinem Atelier fanden solche Feten aber nicht statt, schon allein deswegen, weil es da oben unter dem Dach des Siedlungshauses recht beengt zuging. Sein Atelier war sein Arbeitsplatz, den er so weit wie möglich vor Eindringlingen schützte. Nicht, weil er etwas zu verbergen gehabt hätte, wie geschlussfolgert werden könnte, wenn man das Bild auf der Staffelei als ein realistisches Abbild der Wirklichkeit ansähe. Denn immerhin ist dort eine nackte Frau zu sehen, die für ein Aktbild Modell steht – eine Szene, die nicht unbedingt für großes Publikum gedacht ist.

Man weiß aus vielen, absolut sicheren Quellen, dass Franz Cestnik diese traditionsreiche Variante der Aktmalerei nicht praktizierte. Bereits sehr bald nach seinen Anfängen als Künstler verzichtete er vollständig darauf, nach lebenden Modellen zu zeichnen oder zu malen. Seine Motive entstanden immer aus der Erinnerung an bestimmte Situationen. Oder die Figuren entsprangen seiner Phantasie. Dass keine realen Menschen – und in der Geschichte der Kunst bedeutet das vor allem: Frauen – für ihn Akt standen, hat nichts mit Prüderie zu tun, sondern ist seinen gestalterischen Intentionen geschuldet. Cestnik wollte keine Individuen originalgetreu abbilden, was er ebenfalls perfekt beherrschte, wie die wenigen Porträts zeigen, die er schuf, sondern er wollte menschliche Archetypen und typische Situationen des Zwischenmenschlichen in Bilder fassen. Das traditionsreiche Thema des Malers mit seinem Modell ist für ihn eine dieser Situationen.

So, wie er das Thema aufgreift, interessiert er sich aber nicht primär für eine möglichst realistische Darstellung der Nacktheit. Sein Zugang ist vielmehr eine Hommage an die große Tradition des Themas. Damit reiht er sich ein in die lange Liste der vielen Maler, die vor ihm dieses Sujet gewählt haben. Man denke nur an sein großes Vorbild Picasso, der sich im Alter geradezu obsessiv mit der Beziehung von Maler und Modell und der Vieldeutigkeit dieser Konstellation beschäftigte. Anders als Picasso, bei dem der Akt des Malens sich oft gefährlich der Erotik des Liebesaktes näherte, stellt Franz Cestnik den Maler dar als einen kühlen Beobachter des Werkes, das gerade entsteht.

Im vorliegenden Fall lehnt er sich leicht zurück, versenkt die linke Hand tief in seiner Hosentasche. Die andere Hand, mit der er den Pinsel hält, verharrt ruhig, vermutlich so lange, bis sein prüfender Blick das nächste zu bearbeitende Detail ausfindig gemacht hat. So wie die Figur des Malers angelegt ist, signalisiert sie Geduld und Konzentration und vor allem kritische Distanz.

Wer je mit Franz Cestnik vor einem seiner Bilder oder vor dem eines anderen Künstlers stand, kommt nicht umhin, die Figur des Malers als die Person Franz Cestnik zu identifizieren, denn so war seine Art, der Kunst zu begegnen. Dass ihm die Darstellung so erkennbar persönlich gerät, sollte man nicht als Widerspruch zu seiner typisierenden Methode werten, sondern sich daran erfreuen, dass der sonst so diskrete und zurückhaltende Künstler auch einmal etwas Privates von sich selbst preisgibt.

Die Auswahl der Bilder, die um sein Selbstporträt herum im Atelier versammelt wurden, verrät auch viel von seiner Sicht auf die Menschheit: Er arbeitet Unterschiede heraus und hat Verständnis für sie. Was ihn nicht daran hindert, sich ab und zu über einzelne Personen oder Gruppen, die er malt, zu amüsieren und sie auf die Schippe zu nehmen, wie im Fall der blasierten Besucher der Vernissage, die sich selbst mindestens so wichtig nehmen wie die ausgestellten Kunstwerke. Jegliche ironische Distanz verbietet sich für Franz Cestnik dann, wenn er existenziell wichtige Situationen thematisiert, wie bei den Trauernden von 2005 oder bei der Dreiergruppe (»Begegnung«, 2005), die ergriffen auf etwas blickt, was sich außerhalb des Blickfeldes befindet.

Am kommenden Sonnabend, 4. August, wird Rainer Cestnik, der Sohn des Künstlers, von 10.30 bis 15.30 Uhr in der Galerie anwesend sein, sodass Gelegenheit besteht, die Bilder aus der Nähe zu betrachten und sie sich von ihm erklären zu lassen. Auf Wunsch kann dieses Angebot nach Absprache unter der Telefonnummer 05561/1389, auch zu anderen Zeiten wiederholt werden. Klaus Eubeloh