Zeichen gegen Gleichgültigkeit

Ansprache zum 9. November 1938 und Kranzniederlegung am Mahnmal

Einbeck. An den 9. November 1938 hat Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek in ihrer Ansprache zum Jahrestag der Reichspogromnacht erinnert, und sie hat gemahnt, wachsam zu sein gegen rechtsextremes Gedankengut und Antisemitismus. An jedem 9. November treffe man sich am Mahnmal in der Bismarckstraße zum Gedenken an das Jahr 1938, als in Deutschland die Synagogen brannten, Geschäfte verwüstet und Deutsche jüdischen Glaubens verhaftet und misshandelt wurden.

In den Jahren zuvor hatte sich diese Gewalt vorbereitet: in Hetzparolen in den Zeitungen, durch den Ton auf der Straße, durch menschenverachtendes Verhalten gegenüber Minderheiten. Gleichgültigkeit, öffentliches Unrecht und Angst aufzufallen führten dazu, dass die wahnsinnigen Pläne Hitlers in Bezug auf die jüdischen Mitbürger und andere Minderheiten in die Tat umgesetzt werden konnten, bis hin zu Deportation und Vernichtung.

Der Holocaust sei noch immer ein Phänomen, das sich tief ins Bewusstsein eingegraben habe, stellte die Bürgermeisterin fest. Gedenken sei ein wichtiges Wort im Alten Testament. Es markiere einen Punkt, der etwas verändere. Im Gedenken werde das »Nichts« zurückgebracht ins Leben. Durch das Zusammenkommen an diesem Platz, gegenüber der zerstörten Synagoge, gebe man dieser Art des Gedenkens Raum. Man widerspreche der Forderung » ... nun lasst es mal gut sein.«

»Nein, wir gedenken.« Damit nehme man jenen den Triumph, die beabsichtigt hätten, die Erinnerung an jüdische Menschen und jüdisches Leben aus dieser Stadt zu tilgen. Jüdisches Leben, fuhr sie fort, sei heute viel vitaler gegenwärtig als nur an Gedenkorten. Es gebe wieder jüdische Gemeinden, die zur Kultur des Landes gehörten. »Wir wollen leben statt mahnen«, dieser Wunsch eines jungen Juden aus Frankfurt müsste selbstverständlich sein, aber er sei es nicht.

Der Antisemitismus sei nach Jahrzehnten demokratisch-humanistischer Bildung und Erziehung nicht verschwunden, er werde sogar wieder offen gezeigt. Juden, die als solche erkennbar seien, würden auf offener Straße angegriffen, jüdische Einrichtungen brauchten Polizeischutz. 20 Prozent der Bevölkerung, so ein Bericht aus dem Jahr 2012, seien als »latent antisemitisch« einzuschätzen.

Die aktuellen Wahlergebnisse ließen befürchten, das manche Parteien wieder gern und leider nicht erfolglos mit Sündenböcken und Feindbildern argumentierten. Das Phänomen greife in der Mitte der Gesellschaft um sich. Dafür müsse man sich schämen - und an die Arbeit gehen, nach- und umdenken, erinnern und unterrichten, einstehen für Würde, Recht und Menschlichkeit.

»Alle sind heute gefragt, ihren Teil beizutragen«, sagte sie. In Einbeck lebten rund 33.300 Menschen unterschiedlicher Religion, Herkunft und Tradition in einer Gemeinschaft und in gegenseitigem Respekt. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung beruhe auf Werten wie Verständnis, Toleranz und Offenheit. An die innere und äußere Freiheit jedes Einzelnen und der Gesellschaft seien Wohlstand und Entwicklungsmöglichkeiten geknüpft.

2015/16 hätten viele Menschen auf der Flucht Unterkunft in Einbeck gefunden, unterstützt von unzähligen Ehrenamtlichen, die Engagement und Nächstenliebe gezeigt hätten. Herzliche Aufnahme und Hilfe waren und seien vorbildlich. Mit großer Sorge sehe man deshalb Kundgebungen des rechtsextremen »Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen« auch in Einbeck. Mit solchen Veranstaltungen sollten erneut Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und rechtsextreme Parolen verbreitet werden. Dagegen habe sich als überparteiliches und konfessionsübergreifendes Bündnis »Einbeck ist bunt« gebildet.

Das Gedenken an diesem Abend wolle sie als ein Zeichen verstanden wissen für den guten Willen, die Situation konstruktiv und gemeinschaftlich zu meistern und sich nicht durch Vorurteile, sondern durch ein Bild aus eigener Anschauung leiten zu lassen, »indem wir die Menschen, die hier mit uns leben wollen, kennenlernen und sie mit unserer Kultur und mit unseren Werten vertraut machen.«

Der 9. November lehre, dass man nach wie vor an der Verantwortung trage für das, was Nazi-Deutschland den Juden angetan habe. Man könne dafür sorgen, dass Weltoffenheit, Toleranz und die gerechte Verteilung von Ressourcen die Grundlage des Handels gegenüber anderen Menschen blieben.

Im Gedenken werde ein Zeichen gegen Gleichgültigkeit gesetzt. Die Bürgermeisterin rief dazu auf, nicht irgendwann, sondern hier und jetzt Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in jeder Form entgegen zu treten. Gemeinsam trage man Verantwortung für die Zukunft, die Freiheit, eine starke Demokratie und ein friedliches, respektvolles und gleichberechtigtes Miteinander - das gelte für alle in diesem wohlhabenden Land.ek