Gleichwertigkeit ist mehr als eine gute Idee

Auftaktveranstaltung in Salzderhelden | »ZukunftKuventhal« | SOFI geht aufs Land

Beim Dorfrundgang präsentierte Ortsheimatpfleger Willi Hoppe den Teilnehmern Besonderheiten, prägende Merkmale und historische Grundlagen von Kuventhal.

Kuventhal. 29 Milchbetriebe, eine Dorfschule mit einem Lehrer, zwei Bäckereien, eine Tischlerei, eine Poststelle, zwei Kolonialwarengeschäfte, einen Schuhmacher, einen Sattler, einen Friseur, eine Gemeindeverwaltung, ein Standesamt, drei Hausschlachter, eine Mühle, drei Gastwirtschaften, eine Tankstelle oder eine Polizeidienststelle gab es um 1950 in Kuventhal bei mehr als 400 Einwohnern, sagte Ortsheimatpfleger Willi Hoppe. Dies alles existiere nicht mehr, immer wieder stellte man sich in der Vergangenheit erfolgreich neuen Herausforderungen. Momentan habe Kuventhal rund 200 Einwohner. Rund 35 Prozent der Bürger waren 2017 über 60 Jahre alt, bis 2030 könnte sich das auf 47,0 Prozent erhöhen.

Eine gute Gemeinschaft und reges Vereinsleben prägen das Dorfleben. 2014 entstanden bei einer Dorfversammlung verschiedene Projektideen. Die Arbeitsgruppe »ZukunftKuventhal« setze sich für die deren Umsetzung ein. Neugestaltung des Spielplatzes mit dem Jugendortsrat, WLAN im Dorfgemeinschaftshaus und im Ort über Freifunk Einbeck, Insektenwiesen oder Sanierung des Kapellenplatzes erfolgten schon – weitere Projekte stehen an.

Zudem nimmt Kuventhal am Modellprojekt »Dorf ist nicht gleich Dorf« teil. Dorfmoderatoren sind Anneke Schoop und Walter Watermann. Die südniedersächsischen Landkreise wollen prägende Faktoren der Dorfentwicklung herausarbeiten und Prozesse entwickeln. Wissenschaftlich begleitet werde dies durch die Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) sowie das Soziologische Forschungsinstitut (SOFI) der Universität Göttingen.

Im März startete das SOFI-Projekt »Gleichwertigkeit – Mehr als eine gute Idee«, erklärten  Professor Dr. Berthold Vogel und Maike Simmank. Die Auftaktveranstaltung fand jetzt im Dorfgemeinschaftshaus Kuventhal statt. Das vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) geförderte Forschungsvorhaben will auf die Bedeutung des ländlichen Raums und die Vielfältigkeit einzelner Dörfer und Lebenswirklichkeiten hinweisen.
Sozialräumliche Ungleichheiten verschärfen sich nicht allein zwischen urbanen und ländlichen Räumen, sondern auch innerhalb von Kleinstädten und Dörfern. Städtische Quartiere werden abgehängt, ländliche Regionen nehmen unterschiedliche Entwicklungen. Daher nimmt das Vorhaben gezielt die Alltagswirklichkeit von »Gleichwertigkeit« in den Blick – an exemplarischen Orten im ländlichen Raum Südniedersachsens wie in Kuventhal.

Mit einer dezentralen Veranstaltungsreihe geht das SOFI »aufs Land«. Im Sinn »öffentlicher Wissenschaft« werden Dorfbegehungen organisiert und vor Ort zum wissenschaftlichen Diskurs eingeladen. Im Projektverlauf kommen Bürger zu Wort, deren Erfahrungsberichte zu örtlichen Infrastrukturen und Daseinsvorsorgeleistungen zentrale Untersuchungselemente darstellen.

Die Zielvorstellung der »Gleichwertigkeit« besage, so Simmank, dass bundesweit – unabhängig vom Wohnort – gesellschaftliche Teilhabechance bestehen sollten, die durch eine flächendeckende Daseinsvorsorge und öffentliche Infrastrukturen sichergestellt werden. Wie es tatsächlich um die Versorgung im ländlichen Raum aussehe und vor welchen Herausforderungen Kommunen stehen, seien große Aspekte des Projektes.

Der gut besuchten Veranstaltung in Kuventhal folgen weitere Termine. In der Oberschule Dransfeld geht es um Aspekte, warum junge Erwachsenen ländliche Regionen verlassen oder doch vor Ort verweilen. Beim Dorfrundgang in Kirchbrak steht die ärztliche und medizinische Versorgung im Mittelpunkt sowie bei einem »Tag des offenen Betriebes« Erfolgsgeschichten und Herausforderungen von Handwerksbetrieben. Es folgen Befragungen von Bürgern bei »Haustürgesprächen« und Experteninterviews. Vertreter von Kommunen, Kirchengemeinden oder aus der Wirtschaft kommen dabei zu Wort.

Professor Dr. Vogel sagte, dass es seit 2003 in Ostwestfalen eine Etablierung von Kulturveranstaltungen in außergewöhnlichen Orten in ländlichen Regionen gebe, das sollte man auch in Südniedersachsen mehr etablieren. Das SOFI wolle die Dörfer wieder mehr in den Blick nehmen und mit dem Menschen in Austausch kommen. Erfahren will man, wie das Leben vor Ort sei, welche Perspektiven existieren und was man machen kann, um auch zukünftig attrakrive Lebensbedingungen bieten zu können. Gleichwertigkeit, Gemeinwohl, Infrastruktur, sozialer Strukturen, bürgerliches Engagement und Zusammenhalt stellen prägende Elemente dar.

Zu Beginn der Veranstaltung führte Ortsheimatpfleger Willi Hoppe die rund 100 Teilnehmer durch Kuventhal. 1257 in einer Homburger Urkunde erstmals erwähnt, entstand die Ortschaft aus einem herrschaftlichen Vorwerk in der Dorfmitte. Nach dem Aussterben derer von Kuventhal wurde das Gut aufgelöst und dabei nicht in wenige große Höfe aufgeteilt, sondern in viele kleine Kötnereien.

Fünf Kilometer von der Stadt Einbeck entfernt, bedingte die Lage im Tal mit den steil ansteigenden Hängen auch immer viel Viehwirtschaft, weil viele Flächen sich nicht als Acker eigneten. Weil die Betriebe verhältnismäßig klein blieben, waren die meisten auf einen Nebenerwerb angewiesen; das war in den meisten Fällen eine handwerkliche Tätigkeit.

Heute existiere keine hauptberufliche Landwirtschaft mehr in Kuventhal, nur ein Betrieb im Nebenerwerb. Lange Zeit blieb die Einwohnerzahl konstant. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wuchs die Bevölkerung, reduzierte sich aber schnell wieder, da viele Jahre kein Bauland zur Verfügung stand.

Der Rundgang führte vom Dorfgemeinschaftshaus, der ehemaligen Schule, die 1654 erstmals erwähnt wurde, am Lindenthal und an der Dorfmitte vorbei. Hoppe erklärte Veränderungen der vergangenen Jahrhunderte, Herausforderungen durch die enge Tallage sowie besondere Besuche: Zum 80. Geburtstag von August Henze kam Herzogin Viktoria Luise, die Tochter von Kaiser Wilhelm II, nach Kuventhal, um ihm zu gratulieren. Weitere Anlaufstellen waren die Hofstelle Huchthausen, das Feuerwehrgebäude, die zwei steilen Zufahrten oder die prägende Brücke. Der Vorgängerbau wurde von 1828 bis 1831 errichtet, die neue doppelstöckige Brücke 1956 durch den damaligen Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm eröffnet.

Weiter ging es an der ehemaligen Mühle, erstmals 1618 erwähnt, dem Gasthaus Watermann und dem Weg Richtung Einbeck vorbei. Viele nutzen ihn und den neu konzipierten Spielplatz.

Ortsbürgermeister Walter Watermann freute sich über die große Resonanz. Dank vieler engagierter Menschen, die sich gern einbringen, wurden die vergangenen Herausforderungen in Kuventhal gut gemeistert, so Schoop. Lebensumstände, Strukturen und Wohlfühleffekte seien wichtig, um vor Ort mit Freude zu leben. Rege Vereins- und Feieraktivitäten existieren, seit 2014 setze sich die Arbeitsgruppe »ZukunftKuventhal« gezielt ein.

Als ältere Mitbürgerin sagte Gisela Kleiner, dass sie gern in Kuventhal lebe. Hier aufgewachsen, fühle sie sich wohl im schönen Dorf. Nach Einbeck sei man gut angebunden, viele kommen aber auch gern zu Fuß oder mit dem Fahrrad in den lebens- und liebenswerten Ort. Für die Zukunft wünsche sie sich Möglichkeiten, um die Daseinsversorgung zu erleichtern.

Kai Reichelt aus der mittleren Generation lobte das gute Vereinsleben und das Miteinander. Gegenseitig kenne und helfe man sich. Eine noch größere Aktivität zum Wohl der Menschen vor Ort wäre schön. Die Ruhe im Dorf hob Ole Reichelt hervor. Mobilitätskonzepte werden jedoch vermehrt in der Zukunft benötigt.

Gerrit Hoppe wünschte sich für die Zukunft bessere Mobilität und Versorgung in allen Bereichen, während Schoop meinte, dass bei 200 Einwohnern bei den Vereinen Ämterhäufungen auftreten. Immer weniger wollen sich in Vorständen engagieren, sondern sich lieber projektbezogen einbringen.

Herausforderungen sollte man sich stellen, mal Altes auflösen und Neues ausprobieren. Betont wurde, dass man gern und priviligiert in Kuventhal wohne und sich gemeinsam einsetzen will, dass das Dorf auch zukünftig lebens- und liebenswert sowie attraktiv bleibe.mru