Mit Hainski’schen Sichtweisen durch Einbeck

Bekanntes und Vergessenes aus 150 Jahren von Hellmut Hainski im Einbecker Geschichtsverein vorgestellt

Ansicht vor etwa 120 Jahren vom Möncheplatz in Richtung Lange Brücke/Marktplatz.

Einbeck. Die Sertürnerstraße hieß einst Molkereistraße - bekannt, vergessen? Den Stukenbrokpark samt einer Rotunde schenkte im Jahr seiner Ernennung zum Kommerzienrat August Stukenbrok der Stadt - bekannt, vergessen? »Einbeck gestern und vorgestern, Bekanntes und Vergessenes aus eineinhalb Jahrhunderten« nannte Hellmut Hainski jetzt im Einbecker Geschichtsverein seinen Vortrag.

Auf der Basis von Erich Strauß’ Ton-Dia-Schau »Einbeck gestern« von 1984 brachte Hainski einen Rundgang durch die Innenstadt mit vielen unbekannten Details und neuen Aspekten. Fotos und Reproduktionen stammten aus seinem sowie dem Stadtarchiv, von Walter-Wilhelm Funcke oder auch von Marie-Luise Menneckes Ehemann: vom Einbecker Kalk- und Mergelwerk am Altendorfer Berg - selten fotografiert.

Ebenso wie Strauß begann Hainski seinen Foto-Rundgang mit der Bahnstrecke, die Strauß vom Altendorfer Berg aus fotografierte, und der Bahnhofstraße, heute Dr. Friedrich-Uhde-Straße. Spannende Gegenüberstellungsfotos wie das Molkereigebäude einst und an gleicher Stelle heut, das Volksbank-Gebäude, hervorragend bei Nacht aufgenommen, beeindruckten, ebenso die Villa Domeier einst und heute als Ärztehaus.

Hainski hat durch seine jahrzehntelange Beschäftigung mit und Erforschung der Stadtgeschichte nicht nur das umfassendste Wissen, sondern auch immer einen Blick für das Besondere - und das Korrekte. Am einstigen »Hotel I. Ranges Zum Herzog Erich« von 1904 ärgerte ihn der Hinweis in einem Prospekt des DKKD-Festivals: Erbaut von Herzog Erich. Am früheren Kreishaus, später Amtssparkasse, war er neugierig auf den Sitzungssaal, heute noch existent als Rezeptionsraum einer Zahnarztpraxis.

Die Saal-Buntglasfenster mit Wappen interessierten ihn, Aufnahmen davon konnte er von Rudolf Lindemann zeigen: Die Stadtwappen von Einbeck und Dassel sowie das »Fürstentum Hildesheim/Grubenhagen« - ob dies historisch einwandfrei sei, bezweifelte er. Weiteres Detail: Eine Sparkasse gab es in Einbeck bereits seit 1830, die Amtssparkasse seit 1867, die Fusion erfolgte in den 1940er Jahren. Schmunzelnde Publikums-Blicke auch bei einem Foto aus den 60er-Jahren von der Schalterhalle der Sparkasse im Vergleich zur heutigen Passage.

Mittelschulgebäude-Fotos vom Möncheplatz sah man schon, aber das Wandschild nicht, das Hainski entdeckte: »Hier wirkte 1866 bis 1873 Dr. W. U. Jütting«. Dahinter verbarg sich der Sohn armer Ostfriesen-Bauern, Wübbe Ulrichs Jütting, der, unterstützt vom Magistrat, künftigen Handwerksmeistern und Betriebsleitern ein anderes Schul-Fundament vermitteln wollte als Volksschülern.

Seine Pläne sahen deshalb in der Bürgerschule acht Lehrer für 320 Schüler vor, in der Volksschule vier für 410. Auch den Einbeck-Bezug des Mittelschul-Namensgebers kennt Hainski: Hermann Löns schrieb als Journalist nicht nur Aufsätze über Krummes Wasser und Storchenturm, sondern auch ein kleines Buch zur Stukenbrok-Fabrik. Lange Brücke 5, ach ja, seit 2005 feuervernichtet: Hier wuchs Carl Mohrmann auf, Sohn eines Malermeisters, dann Architekt und Konsistorialbaumeister. Mohrmann?

Sein bekanntester Bau ist die Stabkirche in Hahnenklee. Eine Altarwand in der Marktkirche stammte auch von ihm, wurde jedoch in den 1960er Jahren entfernt. Der Polytechniker fertigte in den 1880er Jahren eine Zeichnung vom Eickeschen Haus für den Kronprinzen an.

Im Zuge der Putzentfernung an diesem Haus kam ein Gutachter aus Hannover, dessen Gedächtnis wohl nicht so gut war, jedenfalls tauchte das damals »Nordhornsche« genannte Haus sowohl in einem Brockhaus als auch in einem Meyers Lexikon als »Northeimsches Haus« auf, ärgerte sich der Referent. Ausgerechnet Northeim - zustimmendes Stöhnen im Publikum in der Teichenwegschule. Weiter ging der Rundgang: Große Beschriftungen trugen die damals noch verputzten Häuser wie die Eckhäuser Marktplatz/Geiststraße oder die Schneiderei von August Tomförde auf dem Marktplatz.

Etwas Besonderes hatte das Haus von Klempnermeister Fritz Harnisch, das erste Haus neben der heutigen »Tangobrücke«: einen Lichtschacht, extra beantragt und eingebaut 1914. Zwei Meter tief wurde Boden entfernt und eine Fensterscheibe eingebaut. Zugemacht wurde dies, als alles Mögliche dort hineingeriet, erklärte ein Nachkomme Hainski. Fotos vom Marktkirchturm in alle vier Himmelsrichtungen zeigten Veränderungen ebenso wie Luftbildaufnahmen von 1959, etwa vom Getreide-Silo der Firma Bestian sowie noch erkennbaren Heidemann-Werken.

Auch, was nicht mehr da ist, »sieht« Hainski, wie das »Schusterkrug«-Schild, das bis vor drei Jahren noch hing. Dass nicht nur ein Haus »ausgelöscht« - Zitat Inge Hüttig - wird, sondern auch gleich noch die Adresse, das machte ihn traurig beim Haus Münsterstraße 41. Der Neubau gehört heute zum Haspel. Zum Glück konnte Dr. Andreas Heege dies noch archäologisch untersuchen.

Auf der gegenüberliegenden Seite lebte von 1837 bis 1884 der Stiftskantor, Lehrer und Stadthistoriker Heinrich Ludolph Harland. Ein weiteres unbekanntes Detail aus der Münsterkiche: Der Altar im Hohen Chor wurde nach einem Entwurf von Architekt Wilsdorf 1865 durch Bildhauer und Hochschullehrer Friedrich Küsthardt in Hildesheim gebaut, dort ausgestellt, wieder auseinandergebaut und nach Einbeck geschafft.

Hellmut Hainski hat hier wirklich in Strauß’scher Tradition mit zeitlich neuerem Blick und in seiner bekannt fundierten Arbeitsweise den Blick geöffnet für Unbekanntes an Gebäuden, in Straßen, die jeder zu kennen meint. Erich Strauß »auf Wolke 7« wäre sicher erfreut darüber, stellte Dr. Elke Heege, Geschichtsvereins-Vorsitzende, treffend fest.

Die vollbesetzte Aula stimmte zu mit großem Applaus. Dr. Heege wies noch einmal auf das Baudenkmal-Buch von Dr. Thomas Kellmann hin, ein Schwergewicht an Fakten und Kenntnissen über Einbecks Häuser vom Keller bis zum Dach, zu erhalten im Museum sowie im Buchhandel.des