Heinrich von Kleist: Ein außergewöhnlicher Dichter

Germanistin Barbara Stein berichtete unterhaltsam und informativ über Leben und Werke des widersprüchlichen Künstlers

»Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl!« Diese Worte schrieb Heinrich von Kleist kurz vor seinem Freitod am 20. November 1810 an seine Halbschwester Ulrike von Kleist. Sie spiegeln die Zerrissenheit des Dichters wider. Auf der Suche nach der »wahren Wahrheit« war der unruhige Mensch getrieben von der Suche nach Erkenntnis und Anerkennung. Barbara Stein referierte anschaulich über das Leben und die Werke des Künstlers im »Haus der Bücher«.

Einbeck. Anlässlich des Kleist-Jahres  und des 200. Todestages des Dichters, begrüßte Frauke Molle, die Germanistin Barbara Stein und die mehr als 40 Besucher im »Haus der Bücher«. Die Referentin berichtete über das außergewöhnliche Leben des Dichters Heinrich von Kleist. Sie erachtet den im Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder geborenen Lyriker als einen der größten Protagonisten des frühen 19. Jahrhunderts. Seine radikale Hingabe an die Findung der Wahrheit und das ruheloses Streben nach dem idealem Glück prägten sein Leben und seine dramatischen Werke. An seine Halbschwester Ulrike, die er als Freigeist schätzte, schrieb er:

»Das Leben ist ein schweres Spiel, weil man beständig und immer von Neuem eine Karte ziehen soll, und doch nicht weiß, was Trumpf ist!« Gemeinsam mit der an Krebs erkrankten Henriette Vogel wählte er am 21. November 1811 den Freitod am »Stolper Loch« beim Wannsee.

Die Referentin, die in Einbeck schon über Thomas Mann, Johann Wolfgang von Goethe und Heinrich Heine gesprochen hatte, berichtete, dass Kleist in nur zehn Jahren Schaffenszeit von 1801 bis 1811 viele Dramen und Erzählungen geschrieben hat. Zu Lebzeiten war er ziemlich erfolglos und galt als Außenseiter. Er war oft als unruhiger Mensch unterwegs und suchte sein Glück in verschiedenen Bereichen. Aus einer pommerschen Adelsfamilie stammend, wurde er nach dem Tod seines Vaters 1788 vom Reform-Prediger Samuel Heinrich Catel erzogen, der ihm auch die Gedanken der zeitgenössischen Aufklärung näher brachte. Gemäß der Familientradition trat Kleist in den Militärdienst ein. Durch seine wachsenden Zweifel am Soldatensein verließ er aber die Armee nach kurzer Zeit, um in Frankfurt an der Oder drei Semester zu studieren. In den folgenden Jahren war er als Landwirt am Thuner See, als Beamter im preußischen Wirtschaftsministerium und als Buchhändler im Dresden tätig.

Sein Wesen trieb ihn auf der Suche nach »freier Geistesbildung« weit umher, was ihm eine mystischen Note einbrachte. Diesen Eindruck verstärkte die geheimnisvolle Reise nach Würzburg 1800. Nach Thesen der Kleist-Forschung könnte diese Fahrt eine Spionage-Reise für einen preußischen Minister, zu einer medizinischen Behandlung gegen bedrückende »Ehehindernisse« oder ein Auftrag für die Freimaurer gewesen sein.

Während seines Lebens kommunizierte Kleist mit vielen Frauen, doch nur drei beschäftigten ihn längere Zeit: seine Halbschwester Ulrike, seine Frau Wilhelmine von Zenge und seine Todes-Gefährtin Henriette Vogel. Sein Frauenbild war traditionell für die damalige Zeit, so dass seiner Meinung nach Frauen kein eigenes Denken haben. Aus diesem Grund war es erstaunlich, dass er seine Halbschwester, die ein Freigeist war, hoch achtete.

1800 heiratete er Wilhelmine von Zenge und erhoffte sich die Erfüllung durch die Liebe. Die Korrespondenz der Vermählten enthielt statt Liebesschwüren eher einen Lehrbrief-Charakter. Wilhelmine musste Aufsätze über Lehre und Glück in der wahren Liebe schreiben oder die Briefe in die französische Sprache übersetzten.Die letzte Frau, die ihn inspirierte, war die an Krebs erkrankte Henriette Vogel. Ihre trübsinnige Stimmung fand die Sympathie des Künstlers, so dass sie gemeinsam musizierten. Sie bewunderte die mutigen wie feigen Selbstmord-Gedanken des Dichters. Da der Freitod gesellschaftlich und kirchlich geächtet war, wurden beide nach ihrem Freitod am »Stolper Loch«, dem Ort ihres Geschehens, begraben.

Laut Stein spielt Kleist in seinen Dramen und Erzählungen mit der Vieldeutigkeit sowie den Möglichkeiten und der Faszination des Irrationalen. Mit dem feinsinnigem Humor, der kraftvollen Sprache und den effektvollen Initiierungen will der Dichter Tabus brechen, was ihm in vielen Werken auch gelingt. Bei »Amphitryon« durchleben alle Beteiligten eine Identitätskrise im Bezug auf Doppeldeutigkeit, idealisiertes Aussehen und göttliche Aufklärung. Den Konflikt zwischen einem stark fühlenden Individuum und einer gesellschaftlichen Ordnung, die dem natürlichen Empfinden in unnatürlicher Weise gegenübersteht, stellt er in »Penthesilea« dar.

Eine für die damalige Zeit skandalöse Begebenheit, eine unwissentlich zustande gekommenen Schwangerschaft, beschreibt Kleist in »Die Marquise von O…«. In seinem bekannten Lustspiel »Der zerbrochene Krug«, das 1808 in Goethes Hoftheater in Weimar uraufgeführt wurde, zeigt der Dichter anschaulich ein Verwirrspiel zwischen Wahrheit und Lügen sowie Aufklärung und Dogmatismus.

Die Germanistin Barbara Stein zog bei ihrem Vortrag über das Leben und die Werke Heinrich von Kleists ihre Zuhörer in den Bann und weckte bei vielen das Interesse für den Künstler. Frauke Molle überreichte der Referentin Präsente, die sie unter großem Applaus entgegennahm.mru