Erinnerung pflegen, Verantwortung zeigen

Ehemaliger Einbecker Lehrer Hinrich Lange und Professor Dr. Friedhelm Zubke zur Göttinger Erinnerungstafel

Hinrich Lange (rechts) und Professor Dr. Friedhelm Zubke an der Einbecker Erinnerungstafel am Alten Rathaus: Seit 2008 wird hier an die jüdischen Einwohner erinnert, die während des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert und ermordet wurden.

Einbeck. Die Universität Göttingen wird an diesem Sonnabend eine Gedenktafel für die während der nationalsozialistischen Herrschaft verfolgten und entlassenen Wissenschaftler öffentlich enthüllen: um 18 Uhr an der Aula am Wilhelmsplatz. Sie enthält 95 Namen - eine Auflistung der aus rassistischen oder politischen Gründen verfolgten Wissenschaftler. Hinrich Lange, langjähriger Lehrer am Einbecker Goethegymnasium, hat sich für diese Tafel eingesetzt.

Mit Professor Dr. Friedhelm Zubke begrüßt er, dass dieser Abschnitt der Universitätsgeschichte nun beleuchtet wird. »Einen öffentlichen Gedenkplatz gibt es in Göttingen für die Wissenschaftler, die die Stadt ab 1933 verlassen mussten, bisher nicht«, kritisiert Hinrich Lange schon seit geraumer Zeit: Es gebe ein »Gedenktäfelchen« im Vestibül der Universitätsaula, das für einen Besuch eigens aufgeschlossen werden müsse, und einen Hinweis im Kulturwissenschaftlichen Zentrum.

»Als Stadtführer habe ich bisher keine Möglichkeit gehabt, darauf hinzuweisen - und auch Hinterbliebene der Wissenschaftler hatten keinen Ort, an dem sie ihre Vorfahren entsprechend gewürdigt sehen konnten.« Schließlich habe er begonnen, die Notwendigkeit immer wieder öffentlich zu machen. Mit Professor Friedhelm Zubke hat er einen Mitstreiter gewonnen, und Universitätspräsidentin Professor Dr. Ulrike Beisiegel hat die Initiative im vergangenen Jahr unterstützt.

»Uns geht es um zwei Anliegen«, stellt Professor Zubke fest: »Zum einen muss sich die Universität öffentlich an das dunkelste Kapitel ihrer Geschichte erinnern, nicht nur an die Jahre, die wissenschaftlich eine große Zeit gewesen sind. Zum anderen sollte die Jugend einen Ort haben, an dem sie die 95 jüdischen Gelehrten kennenlernen kann.« Hinrich Lange ist zunächst von 53 aus dem Dienst entlassenen Wissenschaftlern ausgegangen, genauere Nachforschungen haben 42 weitere Namen ergeben, wobei man von »Unschärfen« an den Rändern ausgehen müsse, etwa mit Blick auf aberkannte Promotionen.

Die Georgia Augusta war mit rund 240 Lehrenden eher klein; wenn knapp 100 Mitarbeiter aus dem Dienst entfernt wurden, gefährdete das den Betrieb - ein Umstand, der den Machthabern egal war. Zudem war die Maßnahme formal gerechtfertigt: Angewandt wurde das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933. Das Erinnern und das Antreten gegen eine Vergessenskultur sei nicht nur Sache der Universität, sondern der gesamten Stadt und der Öffentlichkeit, so Lange und Zubke: Göttinger Bürger seien vertrieben worden.

Man schmücke sich einerseits mit den Wissenschaftlern, andererseits seien viele nicht einmal mehr im Bewusstsein. An sie zu erinnern, sei eine Form der Wiedergutmachung. Ein extremes Beispiel des Vergessens zeigt Professor Zubke auf: So fehlten im Nachruf auf den Mathematiker und Nobelpreisträger Max Born (1882 bis 1970) die Jahre 1933 bis 1945 völlig. Inzwischen gebe es umfangreiches Material zum Thema Universität und Nationalsozialismus, zu Vertreibung, Rückkehr und Wiedergutmachung - allerdings sei es wenig bekannt: »Nur Interessierte und Fragende wissen etwas dazu.«

Es fehlte an der Aufarbeitung. Göttingen sei eine »braune« Stadt gewesen, berichtet Historiker Hinrich Lange, und die Universität habe mitgemacht. Hasserfüllt, antisemitisch, nationalistisch - es gebe viele Dokumente zu Ton und Klima jener Jahre. Bereits Weihnachten 1945 wurde die Universität wieder eröffnet, ohne eine Aufarbeitung der vergangenen Jahre. Groß sei das Interesse nicht gewesen, die vertriebenen Wissenschaftler wieder an ihre frühere Stätte zu holen.

Jetzt stehe die Universität endlich zu ihrer Schuld. Er sei dankbar, dass die Idee aufgegriffen wurde, so Hinrich Lange. Die Tafel direkt am Aula-Gebäude am Wilhelmsplatz anzubringen, sei etwas Besonderes: »Mehr geht nicht.« Die Gestaltung hat Professor Dr. Dirk Schumann mit Studierenden des Seminars für Mittlere und Neuere Geschichte übernommen. »Viele kehrten nicht mehr zurück.

Die Erinnerung an sie wachzuhalten und sich der Verantwortung für das ihnen zugefügte Leid zu stellen, bleibt Pflicht der Universität«, heißt es darauf. Zu denen, die die Universität verlassen mussten, zählen unter anderem Max Born (1882 bis 1970), der Experimentalphysiker und Nobelpreisträger James Franck (1882 bis 1964), der Pädagoge Herman Nohl (1879 bis 1960) sowie die Mathematikerin Emmy Noether (1882 bis 1935).ek