Langzeitstudien aus dem Pubertierlabor

Göttinger Literaturherbst: Humorvolle Lesung mit Jan Weiler lockt fast 400 Zuhörer in die PS. Halle

Einbeck. Er ist nicht taub, sondern nur »harthörig«, sein Schwager meint, mit seinem Wurzel-Chakra stimmt was nicht, und bei seinem pubertierenden Sohn durfte er Zeuge einer Wunderheilung werden: Der Journalist und Schriftsteller Jan Weiler begeisterte am vergangenen Sonntagabend fast 400 Zuhörer in der PS. Halle bei seiner Lesung im Rahmen des 26. Göttinger Literaturherbstes.

Auf humorvolle Art gewährte er dem Publikum Einbeck in das Leben mit einem »Pubertier«. Seine Bücher »Das Pubertier« und »Im Reich der Pubertiere« hielten sich monatelang auf den Bestsellerlisten. Sein neuestes Buch »Und ewig schläft das Pubertier« stellte Weiler jetzt im Rahmen des 26. Göttinger Literaturherbstes im PS.Speicher in Einbeck vor. Schlafen, chillen und relaxen stehen ganz oben auf der To-do-Liste der Pubertierenden.

Und wenn das Pubertier erwacht, haben Eltern ihr Tun. In »Und ewig schläft das Pubertier« erlebt der Leser mit Jan Weiler die Mannwerdung am Beispiel seines Sohnes Nick. Da geht es um die 1.000-Schuss-Theorie ebenso wie um vorgeschobene Krankheiten zur Vermeidung des Schulbesuchs. Bereits mittags aber konnte Weiler Zeuge einer Wunderheilung seines Sohns werden. Mittlerweile hat Weiler »Langzeitstudien« in seinem Pubertierlabor im Keller angestellt und dabei Sohn und Tochter genau beobachtet.

Und er ist sich mittlerweile sicher, dass er es ist, der gemobbt wird: Die Kinder machten Witze auf Kosten des »Haushaltsvorstandes«, beispielsweise beim Entwurf eines Batman-Outfits mit Lesebrille im Brustmuskel und freigelegten Ohrmuscheln. Seiner Tochter ist er peinlich, vor allem, wenn er tanzt »wie der Lump am Stecken«. Sein Sohn kann nicht mit spazieren gehen, er hat »Wasser in den Beinen«.

Wie Pubertierende heute »Chicks klarmachen« wollen, stellte Weiler humorvoll dar. Nach der Pizza und dem »Chillaxen« hatten sich beide Geschlechter aber voneinander getrennt amüsiert. Dass er Ohren wie ein Lachs, ja Lachs, hat, bewies eine Konversation mit seiner Frau: Im Restaurant verstand er: »Hier bekommt man gar kein Weihnachtsgeschenk«, und er wunderte sich, es war Oktober.

Gesagt hatte sie allerdings: »Hier bekommt man gar keinen Wein nachgeschenkt. Und Jugendliche unterhalten sich nicht über das Dramenfragment »Woyzeck«, sonder per WhatsApp. Ansichten zu Musik und Politik folgten. Aber was soll aus einer Generation werden, die Helene Fischer und nicht Hannes Wader hört, fragte Weiler. Dass er in Einbeck dafür Applaus bekam, freute ihn, hatte er doch schon Wochen darauf gewartet.

Das Pubertier, folgerte er, könne auch gut Lamentier, Boykottier, Kommentier oder Diskutier genannt werden.»Früher war alles einfacher«, stellte Weiler fest, räumte aber gleichzeitig ein, dass auf dem Fußboden vergessene Legosteine Schmerzen bereiten können, und dass er den Verfasser des Liedes »In der Weihnachtsbäckerei« gerne »in Schweinefett ausbacken« würde. Aus »Vater-Stahl geschmiedet« ist das Gesetz, wonach im Hause Weiler Handys im Bett und am Tisch verboten sind, was auch den Vater manchmal daran hindert, Bundesliga-Ergebnisse abzurufen.

Neben verunglückten Witzen und dem Journalismus, der nach Meinung der heutigen Jugend voll »80s« ist, erfreute der Autor die Zuhörer zum Abschluss auch mit weiteren Familienmitgliedern und ihren Eigenheiten - beispielsweise dem esoterisch angehauchten Schwager. Jan Weiler, 1967 in Düsseldorf geboren, ist Journalist und Schriftsteller. Er war viele Jahre Chefredakteur des SZ Magazins.

Sein erstes Buch »Maria, ihm schmeckt’s nicht!« gilt als eins der erfolgreichsten Romandebüts der Nachkriegszeit. Es folgten unter anderem: »Antonio im Wunderland« (2005), »In meinem kleinen Land« (2006), »Drachensaat« (2008), »Mein Leben als Mensch« (2009), »Das Pubertier« (2014), »Kühn hat zu tun« (2015) und »Im Reich der Pubertiere« (2016). Jan Weiler verfasst zudem Hörspiele und Hörbücher, die er auch selber spricht. Jeden Sonntag erscheinen Weilers Kolumnen in der »Welt«, mittlerweile sind von »Mein Leben als Mensch« 550 Folgen veröffentlicht.

Der 26. Göttinger Literaturherbst endete mit der begeisternden Lesung von Jan Weiler. Über 15.500 Zuschauer – knapp 13 Prozent mehr als beim Jubiläum 2016 – besuchten in den vergangenen zehn Tagen die insgesamt 70 Veranstaltungen in Göttingen und der Region Südniedersachsen und bescherten Niedersachsens größtem Literaturfestival damit einen neuen Besucherrekord. Mit fast 91 Prozent konnte die Auslastung noch einmal gesteigert werden.

»Wir sind überwältigt von der großen Resonanz, die der Göttinger Literaturherbst über die Grenzen Niedersachsens hinaus erfährt«, so Festivalchef Johannes-Peter Herberhold. Dass sich das Engagement in der Region auszeichnet, zeigt das Besucherplus von 27 Prozent bei den Lesungen des Göttinger Literaturherbstes im Umland.

Der Termin für den kommenden Literaturherbst steht bereits fest. Literaturfans sollten sich den 12. bis 21. Oktober 2018 vormerken. sts In der Pause bildete sich eine lange Schlange - viele ließen sich Bücher von Jan Weiler Bücher signieren. Er datierte die Bücher auch gerne vor oder zurück, um möglicherweise ein Alibi zu liefern: »Da bin ich ihr Mann.«sts