»Jeder ist es wert, gerettet zu werden«

»Seebrücke« mit original Flüchtlings-Gummiboot als Symbol für dramatische Lage | Andacht in St. Jacobi

Für 30 Passagiere ausgelegt, aber manchmal drängeln sich auf solchen Booten 80 bis 100 Flücht­linge auf ihrem Weg übers Mittelmeer. Ein original Rubberboat hat die »Seebrücke« Einbeck bei ihrer Aktion auf dem Marktplatz ausgestellt.

Einbeck. Das Boot ist zugelassen für 30 Personen. 80, manchmal 100 sind es aber, die darin die Flucht von Afrika übers Mittelmeer antreten mit der Hoffnung, in Europa Sicherheit und Schutz zu finden. Oft genug erfüllt sich diese Hoffnung jedoch nicht, und die Flüchtlinge ertrinken im Meer. Auf diese Situation hat jetzt die »Seebrücke« Einbeck aufmerksam gemacht – mit dem originalen Fluchtboot aus dem Mittelmeer, mit Informationen zur dramatischen Situation und mit einer Andacht der Evangelisch-lutherischen Kirche in St. Jacobi.

Das auf dem Marktplatz ausgestellte sogenannte Rubberboat sei ein Symbol, sagte Pastorin Annegret Kröger in der Andacht. Auf dem Boot sei zu lesen, welche Schicksale die Flüchtlinge, die mit solchen Booten unterwegs seien, zu erleiden hätten. Das sollte zum Nachdenken anregen. Liebe zeige sich nämlich in Worten und Taten.

Aus dem Matthäus-Evangelium las Pastor Daniel Konnerth unter anderem den bekannten Vers: »Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.« Danach bekomme der Gerechte das ewige Leben.

Sich fremd zu fühlen, das sei ein unangenehmes Gefühl, stellte Pastorin Kröger fest. Sie erinnere sich an den Beginn ihres Studienjahres in Dublin, als sie sich sehr einsam gefühlt habe. Dabei habe sie ihren Rucksack, eine Kontaktadresse, ein Zimmer und eine Perspektive gehabt. Die Menschen, die in diesem Boot und in anderen vor der libyschen Küste unterwegs seien, hätten nichts davon. Bis zu 100 Menschen säßen darin zusammengedrängt. Das Boot sei überfüllt, alle hätten Angst, nicht anzukommen. Sie würde an das denken, was sie hinter sich gelassen hätten und mit Ungewissheit daran, was vor ihnen liege. Das Leben, aus dem sie kämen, sei jedoch noch gefährlicher als diese Reise übers Meer. Dabei wisse man nichts über die Schicksale der Passagiere, denn die Küstenwache habe dieses Boot mit Zustimmung der Europäischen Union aufgegriffen und die Reisenden zurück gebracht.

»Die Würde des Menschen ist unantastbar«, in Artikel 1 des Grundgesetzes sei das Menschenbild mit christlich-jüdischen Wurzeln festgeschrieben. Der Mensch sei gemacht nach dem Spiegelbild Gottes, und in jedem Menschen werde etwas von Gottes Liebe spürbar und von seiner Güte und Gnade sichtbar – in jedem, unabhängig davon, wo er herkomme. Gott habe die Menschen als Mann und Frau, als Junge und Alte geschaffen – auch diejenigen im Gummiboot seien Abbilder seiner Herrlichkeit. In jedem Menschen stecke der Geist Gottes, und jeder sei es wert, gerettet zu werden.

Fremdlinge solle man nicht bedrücken, diesen Rat habe Moses gegeben. Es sei, räumte die Pastorin ein, nicht immer leicht, liebevoll mit allen umzugehen. Aber schon ein kleiner Schritt sei wichtig für nachhaltige Veränderungen. Kein Mensch dürfe mehr auf dem Mittelmeer ertrinken. Niemand sollte erleben müssen, woanders keine Unterkunft zu haben. Gottes Himmelreich finde man dort, wo Mitgefühl herrsche. Wenn Menschen abgewiesen würden und ertrinken müssten, seien Christen gefragt. Die Realität sei kaum zu ertragen, aber jeden Tag seien Menschen unterwegs, die »Fremdlingen« Zuflucht geben würden – dieses Bibelwort gelte noch. Und wenn viele anfassen würden, werde ein Stück Himmelreich sichtbar.

Christenmenschen, ergänzte Pastor Konnerth, würden an Solidarität und die Kraft des Gebets glauben.

Das Schlauchboot als Symbol für die dramatische Situation auf dem Mittelmeer hat die »Seebrücke« durch viele deutsche Städte transportiert, verbunden mit dem Appell, dass die Menschen sich dem Protest gegen die Abschottungspolitik der Europäische Union einsetzen, für sichere Fluchtwege, die Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine humanitäre Aufnahme derjenigen, die fliehen mussten oder auf der Flucht sind. Auch in Einbeck wurden dafür Unterschriften gesammelt. Am 19. Mai ist das Boot im Berlin im Rahmen der Großdemonstration »Ein Europa für alle«.ek