Jugendliche erläutern Sorgen und Herausforderungen

Corona-Auszeit des Jugendrotkreuzes lädt Bürgermeisterin und SPD-Kandidaten zur Diskussionsrunde ein

Zu einer interessanten Diskussionsrunde waren Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek (vorn, Zweite von links) und SPD-Bürgermeister-Kandidat Dirk Heitmüller (rechts) eingeladen. Die Jugendlichen, Teilnehmer der Corona-»Auszeit« des Jugendrotkreuzes, hatten sich gewünscht, einmal mit Politikern über ihre Erfahrungen der vergangenen Monate zu sprechen. Die interessante Freizeit unter der Leitung von Jan Störmer (Dritter von links) im »Waldhaus« bei Hans-Martin Grigoleit (links) und seinem Team hatte aber auch noch weitere Inhalte, beispielsweise andere Länder – entsprechend war das Haus mit Flaggen geschmückt.

Einbeck. Wie erleben Jugendliche die Corona-Pandemie? Welche Auswirkungen hatte der Shutdown auf sie, das Leben in der Familie, den Unterricht, die Arbeit in Jugendgruppen? Das waren wichtige Themen bei der Corona-Auszeit, die das Jugendrotkreuz (JRK) des DRK-Ortsvereins Einbeck jetzt im »Waldhaus« des JRK erleben konnte. Zuvor hatten sie sich bei den – digitalen – Gruppenstunden gewünscht, einmal mit jedem darüber zu sprechen, der Entscheidungen trifft. So waren Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek und der SPD-Bürgermeisterkandidat Dirk Heitmüller eingeladen zu einer Diskussion, zu Fragen und Antworten und vielen Eindrücken, die die Jugendlichen beschäftigt haben und die sie mit den Politikern teilen wollten.

Die Corona-Krise, berichtete Jan Störmer von der Ortsjugendleitung des JRK, habe die Arbeit völlig durcheinander gebracht, auch finanziell. Im JRK sind 85 Jugendliche in vier Gruppen aktiv. Es gibt 104 Schulsanitäter. 19 Jugendliche haben die Juleica-Card, sind ausgebildete Gruppenleiter, neun Jugendliche befinden sich in der Ausbildung. Das alles ist von einem auf den anderen Tag gestoppt worden. Nachdem der erste Schock überwunden war, hat das JRK in Einbeck als eine der ersten Gruppen im Landesverband seine Arbeit ab Anfang Mai auf digitale Angebote umgestellt. Das war möglich aufgrund eines Generationen3-Antrags über den Landesjugendring. Hard- und Software wurde beschafft. Onlinegruppenstunden sind freitags zu den gewohnten »analogen« Zeiten. Inhaltlich sei das , so das JRK, nicht immer einfach: Erste Hilfe könne man schlecht digitalisieren. Aber dies alles sei eine gute Basis, um die Corona-Zeit zu überstehen

Jugendarbeit mehr eingeschränkt als Sport

Bereits ab dem 18. März haben sich die Jugendlichen jeden Abend ab 19.50 Uhr über Skype »getroffen«, in der Regel bis 22.30 Uhr manchmal auch bis tief in die Nacht. Das sei eine lustige Runde gewesen, berichtete Felix Fuchs, einer der Betreuer dieses Angebots, bis zu 20 Teilnehmer waren dabei. Sozialer Austausch und Kontakt standen im Vordergrund, der Halt der Gruppe. Man konnte Probleme, Sorgen und Ängste besprechen. Es wurde zudem online gespielt. Nach dem Schulstart fanden die Treffen dreimal wöchentlich statt.

»Jugendliche werden nicht gehört«, so der Eindruck aus den Gruppenstunden. »Wir wollen mal jemandem auf kommunaler Ebene erzählen, wie es uns geht« – so kam die Einladung an Dr. Sabine Michalek und Dirk Heitmüller zustande. Auch wenn sie bei vielen Problemen mangels Zuständigkeit gar nicht helfen können: Wichtig war den Jugendlichen, einen Ansprechpartner zu haben und das, was sich angesammelt hat an positiven und negativen Erfahrungen, loszuwerden. Die Corona-Auszeit sei die erste gemeinsame Aktion seit dem Shutdown, stellte Jan Störmer fest, nur unterbrochen durch die Postkarten-Aktion für Seniorenheime zu Ostern.

Die Freizeit-Teilnehmer berichteten über das, was sie in der Schule, als Jugendliche sowie beim Umgang mit Corona im Allgemeinen beschäftigt hat. Unter anderem wurde kritisiert, dass es bei der Jugendarbeit mehr Einschränkungen gebe als beispielsweise im Sport. Hier werde deutlich, stellte die Bürgermeisterin fest, dass die derzeitige Situation einzigartig sei. 

Man habe dafür keine Pläne in der Schublade gehabt. Alles sei neu, und das bringe viel Unsicherheit. Bund, Land und Kommunen seien immer wieder aufs Neue gefordert, Verordnungen zu erlassen und umzusetzen. Manche Regularien seien sehr strikt, erschienen unverständlich und ungerecht. Man dürfe aber, mahnte sie, nicht zu nachlässig werden. Maske, Abstand, Händewaschen, das gelte weiterhin, und das sei wichtig, damit die Situation stabil bleibe. Die Stadtverwaltung sei dankbar für Hinweise, die sie entsprechend weiterleite. Dass die Menschen wieder leichtsinniger würden, sei sein Eindruck, ergänzte Dirk Heitmüller, und das mache Sorgen.

Rücksicht auf Schwächere habe oft gefehlt

Aus dem Schulunterricht berichteten Jugendliche, dass es während des Shutdowns viel zu viele Aufgaben gegeben habe, die manchmal in zu kurzer Zeit erledigt werden mussten. Auch Lehrer seien überfordert gewesen, nicht gut auf die Schüler eingegangen, hätten nicht die richtigen Hilfestellungen gegeben. »Da dachte ich, mein Kopf explodiert«, beschrieb ein Schüler die Situation. Rücksicht auf die Schwächeren habe oft gefehlt. Hier habe man auch gemerkt, wie wichtig schnelles Internet sei – nämlich nicht nur für Netflix, sagte Dirk Heitmüller. Die Lage sei belastend gewesen für die ganze Familie: Eltern im Homeoffice, die Angst vor schlechten Noten bei den Kindern – da seien viele Probleme zusammengekommen. Auch die Regelungen zu Masken und Abstand seien nicht immer so gewesen, wie die Schüler das erwartet haben. Kritik äußerten sie an der Unterrichtseinteilung. Wöchentlicher Wechsel bedeute eine große Lücke. Nicht einfach sei dabei die Abstimmung mit dem Schulbusverkehr, gab die Bürgermeisterin zu bedenken. Dass trotz gegenteiliger Ankündigungen aus dem Kultusministerium Arbeiten voll gewertet wurden, fanden die Schüler nicht gut. Es sei gar keine Zeit gewesen, Noten zu verbessern.

Damit habe man, bilanzierte Dr. Michalek, bemerkenswerte Rückmeldungen erhalten. Das Kultusministerium habe einiges anders angekündigt, als es umgesetzt wurde. »Vielleicht solltet ihr mal einen Brief ans Ministerium schicken oder ein Video drehen, als Information, wie es gelaufen ist«, so ihr Vorschlag.

Die Corona-Situation hat die Jugendlichen teilweise aus der Bahn geworfen, insbesondere in der ersten Phase: Von jetzt auf gleich sind sie morgens aufgewacht, es gab nichts zu tun, kaum Möglichkeiten, den Hobbys nachzugehen oder soziale Aktivitäten zu pflegen: Das war schwierig. »Ein bisschen wie ›Und täglich grüßt das Murmeltier‹«, schmunzelte Dirk Heitmüller. Das sei für alle eine harte Zeit, stellte er auch aus persönlicher Sicht fest. Abendtermine, Sitzungen, Veranstaltungen, alles sei weggefallen. Als es wieder möglich war, hätten die Erwachsenen zunächst die Baumärkte gestürmt; den Jugendlichen war weiter vieles verwehrt. Viel zu organisieren, zu planen, zu bedenken, das war und ist dagegen der Alltag der Bürgermeisterin. Gerade das Fehlen sozialer Kontakte sei schwierig, nicht nur für Jugendliche.

Dass man nicht mehr so leben spontan könne wie vor Corona, das fehle allen, und da müsse man auch schauen, was das mit der Gesellschaft mache. Intensiv, da waren beide einig, müsse man daran arbeiten, dass ein Shutdown, nicht noch einmal erforderlich sei.

Welche Probleme es in den Familien gab, berichteten die Jugendlichen aus persönlichem Erleben: Auch das waren große emotionale Belastungen, »unglückliche Umstände zu einer ganz schlechten Zeit.«

Bei vielen Dingen habe einfach die Sorge im Vordergrund gestanden, etwas falsch zu machen, vermutete Dr. Michalek. Dass man im Landkreis mit insgesamt bisher gut 160 Fällen gut dran sei, hob Dirk Heitmüller hervor. Aber umso wichtiger sei es, nicht leichtsinnig zu werden. Wenn andere das als übervorsichtig ansehen würden, sei es eben so. Informationen, sagten beide, seien wichtig - vor allem aus seriösen Quellen. Im Internet gebe es vieles, was falsch sei: »Da muss man nicht jeden Mist glauben.« Maskenpflicht früher einführen, Reise-rückkehrer konsequenter testen, Unsicherheit, wenn jemand »nur« einen Husten habe: Die unterschiedlichen Nachrichten hätten die Menschen verängstigt, und das mache sie leichter manipulierbar, stellte ein Jugendlicher in einer Analyse fest. Das Virus sei und bleibe gefährlich, eine Durchseuchung der Bevölkerung sei gut, aber allein darauf könne man nicht setzen, so die Bürgermeisterin.

Erschreckend seien die Verschwörungstheorien, die im Umlauf seien. Immer wieder aufklären, die Theorien als falsch entlarven, darauf komme es jetzt an.

Nach Ferien eventuell analoge Gruppenstunden

Schließlich fragten die Jugendlichen nach einer Rückmeldung aus der Politik: »Wir finden Sie unsere Kritik?« Es sei gut, lobten beide, dass die Jugendlichen sich solche Gedanken gemacht hätten. Viele Bereiche seien tiefgreifend hinterfragt worden, und es müsse einiges aufgearbeitet werden. Es sei schlimm, wenn jemand die Lage nicht ernst nehme. Sie sei aber zuversichtlich, dass die Jugendlichen gestärkt aus der Situation hervorgehen würden. Hier werde, sagte Dr. Michalek zu Jan Störmer, wertvolle Arbeit geleistet. »Mit guter Jugendarbeit kann man den kreativen Geist anregen.«

»Uns hat der Shutdown zusammengeschweißt«, stellte Jan Störmer fest. Dass innerhalb von zwei Tagen der Terminkalender völlig leer gewesen sei, habe er noch nicht erlebt. Er wünsche sich, dass die Politiker mitnehmen würden, welche Emotionen im Raum gestanden hätten. Dank ging an Hans-Martin Grigoleit, der die Freizeit ermöglicht hatte, und an das Team im »Waldhaus«.

Nach den Sommerferien will das JRK wieder mit analogen Gruppenstunden starten, sofern es die Lage zulässt. Die Planungen dafür werden in der letzten Ferienwoche aufgenommen. Unklar ist noch, wie es bei der Arbeit an den Schulen weitergeht. Hier befürchtet das JRK einen Mitgliedereinbruch; während ihrer Tätigkeit im Schulsanitätsdienst sind die Schüler zugleich Mitglied im JRK. Bisher hat erst eine Schule angekündigt, dass sie das Ganztagsangebot mit dem JRK wieder aufnehmen will.ek