Kunsthandwerkliches in »irrer Virtuosität«

Beim Einbecker Geschichtsverein: Jörg Richter spricht über die textilen Kunstschätze der Klosterkammer

Dr. des. Jörg Richter referierte beim Einbecker Geschichtsverein über die textilen Schätze der Klosterkammer.

Einbeck. Die faszinierende Welt von Textilien im Kirchenraum war jetzt Vortragsthema im Einbecker Geschichtsverein. Und Jörg Richter, Kunsthistoriker und angehender Doktor, war genau der Richtige, diese Welt dem interessiert lauschenden Publikum in der Teichenwegschule näherzubringen. Seine »Einstiegsdroge« sei der Textilschatz im Brandenburger Dom gewesen, mit dem er nach dem Studium beruflich zu tun hatte.

Darauf folgten sieben Jahre das Projekt einer Neu-Präsentation des Domschatz in Halberstadt sowie sieben Jahre Lehrtätigkeit an der Universität Bern zur Geschichte der textilen Künste. Seit zwei Jahren arbeitet er nun für die Hannoversche Klosterkammer.

Er berichtete begeistert von den umfangreichen Textilbeständen in den 15 Klöstern und Stiften, die zur Klosterkammer gehören, einem »wunderbaren Tummelfeld, auch für Restauratoren«. Weshalb gerade hier in Niedersachsen? Nach der Reformation wurden viele Klöster nicht aufgelöst, sondern weitergeführt. So blieb vieles erhalten.

Mit einem Tafelbild aus der Zeit um 1500 aus der Kirche St. Denis bei Paris erklärte er die damals übliche Ausstattung: Altartücher, Altarmensa, Altarvorhänge, Knüpfteppich auf Altarstufen und Tücher im Chor. Ein Verzeichnis von 1598 des Chorfrauenstifts Weende gab weiteren Aufschluss zur Ausstattung: 18 Altartücher »gut und böß« (verschlissen), drei bestickte Seidenvorhänge, 16 Vorhänge, zwei Teppiche, vier »Banklaacken«. Es folgen noch Fasten- und Pulttücher sowie Stuhlkissen und sechs Fahnen. Insgesamt fand er nahezu 100 Stücke inventarisiert.

Aufgelöst wurde Weende 1630. Große Wandbehänge, so ein Wollstickereibehang aus dem Kloster Lüne von 1507 in 380 mal 320, boten breite Material- und Themenvielfalt. Hier war es der auferstandene Christus. Grundlage war eine Bibelstelle aus dem zweiten Buch Mose, 36,8: »Also machten alle weisen Männer unter den Arbeitern am Werk die Wohnung, zehn Teppiche von gezwirnter weißer Leinwand, blauem und rotem Purpur und Scharlach, und Cherubim daran von kunstreicher Arbeit.« Textilien boten im Gegensatz zu Malerei den Vorteil, flexibel zu sein.

Je nach Anlass im Kirchenjahr konnte entsprechend gestaltet werden. Dass allein schon das Material große Bedeutung hatte, zeigt eine Vorschrift aus dem zehnten Jahrhundert, aus einem »Sendbuch für die Pfarrvisitation«: Tücher für die Altarmensa sollten nur aus Leinen und nicht mit anderen Stoffen vermischt sein. Im mittelalterlichen Verständnis repräsentierte weißes Leinen stets die Grabtücher Christi.

Aber im Rahmen des Kirchenrechts habe man einen Balanceakt versucht, eine Aufwertung: Seide war verboten, aber kunsthandwerklich in »irrer Virtuosität« Leinentücher flächig mit Leinenfädchen zu besticken in Durchbrucharbeit - das war nicht verboten. Detailliert erklärte Richter dies an einem Altartuch aus dem Kloster Lüne von 1300, auf das ein, vereinfacht formuliert, »Rasterbild-Christus« gestickt wurde.

Richter verstand es, spannend aus seinem Fachgebiet zu berichten. Das Antependium, die Textil-Vorderseite des Altars, durfte »endlich Farbe« haben. Aus St. Alexandri um 1420, seit den 1960er Jahren im Kestner-Museum Hannover, zeigte er ein rotes Wolltuch, bestickt mit verschiedenfarbiger Seide sowie mit applizierten Lederstreifen für Konturen, die mit Seide aufgestickt wurden. Ein teurer Hanse-Import sei das gewesen. Weiter erläuterte er gestickte Details aus der Verkündigung an Maria von Lockenfrisuren bis zu sternenübersätem Himmel.

Gezeichnete Vorlagen kursierten, etwa zu Faltenwurf oder bestimmten Szenen. Ein ungewöhnliches Motiv, eine Frau ohne Heiligenschein, die die Augen der Maria schließt, entdeckte Richter auf dem nur noch als Foto existierenden Mittelteil einer Altarbekleidung von 1360 der Wallfahrtskirche auf dem Nikolausberg, heute Göttingen. Die Kirche unterstand dem Damenstift Weende.

Offenbar sorgten diese für die Ausstattung, und deshalb war Darstellung weiblicher Frömmigkeit hier ungewöhnlich oft Thema. Kirchenregelungen für den Umgang mit liturgischen Textilien nach der Reformation recherchierte Richter, etwa die des Herzogs Philipp von Braunschweig-Lüneburg von 1538 für Klöster und Stifte im Fürstentum Grubenhagen: Dabei stellte er fest, dass sich im Hinblick auf die »Kirchenkleydunge« nichts änderte.

Nur 1544 wurde ein eigener Paragraf für Bilder eingefügt, dass »alle Götzen und Bilder« außer dem Kruzifix und christlichen Bildern über den Altären »abgethan«… und Fahnen »verkofft, vernichtiget« werden sollten. Dass die Reformation also keine Zäsur darstellte, sei der historische Hintergrund, dem man diese reiche Ausstattung verdanke. Vorsorge zur Erhaltung der Stoffe, entsprechende Klima- und Licht-Bedingungen zu schaffen, das sei heute die umfassendste Aufgabe der Restauratoren, schloss Richter.

Zum 200-jährigen Klosterkammer-Jubiläum sei er gern Dr. Heeges Einladung gefolgt. Die Geschichtsvereins-Vorsitzende hatte ihn bei einem Besuch im Kloster Lüne kennengelernt. Sie dankte ihm für diesen »tollen Abriss« und die »faszinierenden Einblicke«. Die Zuhörer sparten nicht mit Beifall und Fragen. Noch auf der Suche ist Richter nach einem Inventar von St. Alexandri. Hier hoffe er auf Hinweise. Zustimmende »Ah«s ertönten bei Marion Bartels’ Ankündigung, für September liege eine Klosterkammer-Einladung zu einer Führung vor.des