Literatur mit Gänsehaut-Effekt
»Federkiel«-Autoren präsentieren sich mit Lesung »Hirngespenster« im StadtMuseum
Einbeck. Sich im gedämpften Licht etwas vorlesen lassen, in Geschichten eintauchen, der Fantasie dabei Raum geben, dazu hatte die Frauenliteraturgruppe »Federkiel« ins StadtMuseum eingeladen, und vor einer ansehnlichen, interessierten Kulisse widmeten sich die Autorinnen »Hirngespenstern«.
Den Auftakt machte Petra Layher mit »Er und ich«. Aus Sicht eines Jugendlichen, der sich seinen Kameraden in vielen Dingen unterlegen fühlt, beschreibt sie eine Bergwanderung auf den Gamskogel. Wer nicht dort oben war, hat im Dorf nicht viel zu putzen, und so will es auch der Junge wagen. Ängstlich und unsicher, wie er ist, entschließt er sich gerade zum Abbruch, als ein anderer Junge sich zu ihm gesellt. Sie kennen sich nicht, aber der Fremde fühlt sich tief in die Seele des jungen Wanderers ein. Als er sich beim Abstieg den Fuß verstaucht, hilft der Fremde ihm, und er bleibt bei ihm, bis Hilfe aus dem Dorf kommt. Alle sind heilfroh, dass dem Jungen nichts passiert ist, auch wenn er es nicht zum Gipfel geschafft hat. Und sein neuer Freund? Ist plötzlich weg - davongestohlen in der Menge oder vielleicht auch nie da gewesen.
Nach Afrika nahm Annekatrin Zillich die Zuhörer mit: »Die Fahrt zum Zahnarzt« wurde von Carmen Heinrich-König gelesen. Annekathrin Zillich hat selbst lange in Afrika gelebt, und so erhält die Geschichte von Nina und Peter in der Zentralafrikanischen Republik besondere Authentizität. Im Busch ist das Funkradio die einzige Kontaktmöglichkeit zur Außenwelt. Das reicht nicht bei Zahnschmerzen, und so macht sich das Paar auf zur nächsten Praxis in der 350 Kilometer entfernten Mission. Die Tour wird zu einer wahren Expedition mit allen erdenklichen Pannen und einem Wolkenbruch, und als beide am Ziel ankommen, erscheinen sie als »Matschgespenster«: »Wenn wir gewaschen sind, sehen wir ganz manierlich aus«, versichern sie in der Missionsstation.
Einen »Alptraum« weckte Bärbel Spann zum Leben. Als Amelie erwacht, ist sie erleichtert: Es war nur ein Traum. Doch die Bilder kommen wieder, die Monster verfolgen sie. Sie fühlt sich wie in einem Grab, an einem Ort mit der Abwesenheit von allem. Eines Nachts schnappt die Falle zu, die Dunkelheit schleicht sich heran und will nicht mehr weichen. Tage und Wochen hört man nichts von ihr. Schließlich wird ihre Wohnung wieder vermietet, doch der Student, der sie nun bezieht, kann sich gegen das Schaudern nicht wehren. Auch er fühlt: Die Falle schnappt zu. Eine anrührende Familiengeschichte hat Edith Schmidt mit »Vierte Reihe Mitte« verfasst. Student Jan freut sich über seine günstige Bleibe, wenn nur Opa Marquard nicht wäre, mit dem er den Flur teilt. Er ist über 90 und erinnert an das Gespenst von Canterville. Aber beide verbindet etwas: die Liebe zur Oper. So kommen sie sich näher, und der Student hört staunend zu, wenn der Senior von den Reisen erzählt, die er als Schiffsingenieur unternommen hat. Sie verabreden schließlich sogar einen gemeinsamen Opernbesuch. Doch vorher stirbt Opa Marquard, und Jan ist völlig überrascht, als er erfährt, dass alle Fahrten nur in der Fantasie stattgefunden haben. Im Andenken an ihn fühlt er sich aber auf dem Platz in der Oper, vierte Reihe, Mitte, ganz nah.
Aufs Schiff beziehungsweise aufs Boot verlegte auch Brunhild Ernesti die Handlung der »Bootsfahrt«. Lange hat sich die Familie gefreut auf die Ferien und eine Tour auf dem Wolfgangsee mit dem frisch erworbenen Boot. Nach einem schlechten Start und einigen Missgeschicken liegt die »Molli« endlich auf dem Wasser, aber segeln kann sie aufgrund ihrer wenig schnittigen Form nicht. Macht nichts: Beim Blick in die Wolken wird Vater und Sohn nämlich klar, dass man auch so segeln kann.
Ein gruseliges »Ende einer Ehe« hat Carmen Heinrich-König beschrieben. Miriam und Jan sind für Außenstehende das Traumpaar schlechthin, aber ihre Ehe ist seit langem problematisch. Immer wieder gibt es Stress und Streit, und schließlich trennen sie sich. Miriam weiß nun: Ihr Mann ist ein Tyrann, er ist gewalttätig, und er wird sich auch nicht ändern. Der Zank um materielle Dinge und das Kind geht in der Trennungszeit und nach der Scheidung weiter, auch wenn es schnell eine neue Frau an Jans Seite gibt, die er zur Miriam-Kopie umstrickt. Miriam möchte mit ihrem Sohn nur ein friedliches Leben - da holt Jan zur letzten Attacke aus.
»Für den angstfreien Weg nach Hause« las Ursel Grimme »Sprachlos« von Edith Schmidt. Die Bedienung aus einer Kneipe nimmt eine Abkürzung nach Hause. Der Weg ist einsam und unheimlich, die Frau wird verfolgt. Hilfe kann sie nicht holen, sie findet ihr Handy nicht. Aber die Situation löst sich, mit einem zunächst »sprachlosen« Verfolger, zum Guten auf.
Die vielschichte Stimmung, die die Autorinnen in ihren Texten vermittelten, griff Adolf Leschonski gekonnt in seiner musikalischen Begleitung auf. Zu Gitarre und Mundharmonika sang er nachdenkenswerte deutsche Texte. ek