Manchmal ist es besser, wenn Träume Schäume bleiben

Fußballprofi, Bundeskanzler, Lottokönig: Lou Richter zieht Bilanz beim Hanse-Bankett / Einbeck als Mutterboden und Vaterland

Ein gutes Essen und ein unterhaltsamer Vortrag: Zum Hanse-Bankett hatte »Einbeck Marketing« am Freitagabend ins Alte Rathaus eingeladen. Redner der traditionellen Veranstaltung war Lou Richter, Comedian, Sport-Moderator – und in Einbeck geboren. Er sprach anschaulich darüber, warum Träume besser Schäume bleiben sollten. Musikalisch umrahmt wurde der Abend vom Duo »jazz affairs«.

Einbeck. Der Aufsichtsratsvorsitzende von »Einbeck Marketing«, Steffen Heise, hieß die Besucher willkommen. Ein Ort der politischen Entscheidungen, aber auch der Begegnungen und Feiern sei die Rathaushalle, sagte Bürgermeister Ulrich Minkner. Zum wiederholten Mal finde hier das Hanse-Bankett einen angemessenen Rahmen. Ins Leben gerufen wurde die Veranstaltung von der »Initiative Einbeck 2000«, mit der Einbeck vor 22 Jahren absolutes Neuland im Bereich Stadtmarketing betreten habe. Professor Bruno Tietz hatte in einem Gutachten Chancen und Möglichkeiten für die Stadt und den Wirtschaftsraum aufgezeigt und auf Mängel und Gefahren hingewiesen. »Initiative 2000« habe man den Zusammenschluss damals genannt – heute wisse man, dass man im Jahr 2000 nicht mit den Aufgaben fertig gewesen sei. Die gemeinsame Arbeit an der Entwicklung der Stadt, am Erhalt und an der Pflege sei niemals beendet. 1989 habe Einbeck mit Frank Jäger den ersten »Stadtmanager« eingestellt. Niemand habe bei der Gründung im Dezember 1989 die Entwicklung zur deutschen Einheit und ihre Auswirkungen gekannt oder die demografische Entwicklung diskutiert, niemand konnte die Krise der kommunalen Finanzen erahnen.

Bei den vielfältigen Aufgaben einer gezielten Stadtentwicklung seien alle gefordert, zitierte Minkner aus einem Kurzportrait von 1992.  Stadtentwicklung müsse als Bindeglied zwischen Kommune und Gewerbe aktiv zum Nutzen des Wirtschaftsraums beitragen. Damals wie heute, stellte er fest, sei Einbeck eine selbstbewusste Stadt. Sie habe in ihrer Geschichte gezeigt, wie wichtig Städte seien als Heimat der Menschen. Kultur und Bildung, Gerichtswesen, Handel und Finanzen seien hier zuhause, und in den Städte habe die Demokratie ihren Ursprung. Heute seien Städte Mittelzentren, aber die Bedeutung bleibe unverändert, deshalb sei es nur konsequent, dass die Funktion auch angesichts einer zurückgehenden Bevölkerung erhalten und möglichst gestärkt werde. Er halte die gerade beschlossene Fusion mit der Nachbargemeinde Kreiensen für richtig. Das Zusammenwachsen mit 7.000 Einwohnern und 15 Ortschaften werde Zeit brauchen, und auch die »Initiative« beziehungsweise »Einbeck Marketing« würden sich damit beschäftigen müssen. Die Aufgabe, für die die »Initiative gegründet wurde, bleibe ein anstrengender Dauerauftrag, der ständigen Veränderungen unterworfen sei. Dahinter stehe viel Arbeit, aber wer viel arbeite, habe auch das Recht, zusammen zu feiern – wie in diesem angenehmen Rahmen.

»Kinder, Kinder, ist das schön hier im Rathaus.« Ins Schwärmen geriet Lou Richter, »Bild- und Tonstörung im Farbfernsehen«, zu Beginn seines Vortrags. 1960 wurde er in Einbeck geboren, die ersten 111 Monate seines Lebens hat er hier verbracht, »aber ich war noch nie im Rathaus«, bestand er. Mit Einbeck verbinde er sehr schöne Erinnerungen, echte Heimatgefühle. Mutterboden und Vaterland sei das für ihn, und so entdeckte er auch mit Karin Schmidt, Frau von Brauereichef Walter Schmidt, eine Bekannte, mit deren Bruder er in der Sandkiste gespielt habe. Eine Monika – nicht unter den Gästen – sei seine erste Jugendliebe gewesen, und an »Tante Lotti« im Kindergarten erinnerte sich ebenfalls. Den ersten publizistischen Erfolg feierte er auf dem Titel der Einbecker Morgenpost bei einem Bericht über das Fassrollen – »Machen Sie das noch?«; ein »Hauch vom Pamlona« sei das immer gewesen, er als Stepke vorneweg.

Er habe nicht weggewollt aus Einbeck, aber als Neunjähriger hatte er keine andere Wahl. Ganz viele Träume habe er damals und später gehabt, unter anderem den, Fußballprofi zu werden, zunächst in Göttingen, wohin er mit seiner Familie ging, und auch später in Hamburg. Warum es besser sei, wenn diese Träume Schäume blieben, erläuterte Richter in seinem kurzweiligen Vortrag. Es sei gut, wenn sich nicht alle Träume erfüllten: Eine Million Bohlens und eineinhalb Millionen Podolskis, das halte kein Gemeinwesen aus. Beim Scheitern eines Traums sollte man deshalb nicht jammern. Viele würden denken: Als Fußballprofi könne man sein Hobby zum Beruf machen, werde stinkreich, wenn man an einem Nachmittag drei Tore schieße. Aber der Körper sei ein Drecksack, der nichts vergesse, und der Weg sei steinig. Wenn die Freunde mit 15 Jahren fummelten, müsse man selbst dribbeln. Der Verschleiß fordere seinen Preis, mit 45 habe man künstliche Hüften und Knie, könne eigentlich Abwrackprämie verlangen. Warmmachen, auflaufen, weghauen – so einfach sei das nicht, vom körperlichen Schmerz einmal abgesehen. Interviewcoaching, Berater, der Umgang mit der Boulevardpresse, ein voller Terminkalender – nur auf dem Platz sei das Leben gut, alles andere sei Druck. »Gewinnen ist dann nicht alles, es ist das Einzige.« »The winner takes it all«, zitierte Richter die »schwedische Viererkette« Abba. Erfolgsdruck bleibe das vorherrschende Gefühl, ständig erwarteten alle alles. Unter Druck entstehe entweder ein Diamant – oder brösliger Kohlenstaub. »Wenn Sie Top-Star sind, sind Sie auch Handelsware«, warnte er, alle zwei Jahre suchten die Berater neue Vereine, »und dann finden Sie sich sonstwo wieder.« Das Geld gebe einem schließlich den Rest: neue Autos, große Villen. Und weil das Geld arbeiten solle, gehe man Investitionen und hohe Belastungen ein. Wenn man schließlich von einem talentfreien Innenverteidiger mit einem Tritt unters Tribünendach genagelt werde, werde die Reha zum festen Wohnsitz. Das Einkommen sinke, aber man mache immer noch »Zahlemann & Söhne«. »Sie sind im Abseits, ohne dass einer pfeift.« Die Luft sei raus. Einen neuen guten Job zu finden, etwa Sportdirektor, sei schwierig, die würden so häufig gebraucht wie ein Papst. Etwa zehn Prozent aller Profis hätten nach ihrer aktiven Zeit ausgesorgt, zitierte Richter die Vereinigung der Vertragsspieler. »Gut, dass ich nicht Profi geworden bin«, bilanzierte er.

Ähnlich könne es einem mit dem Traum »Bundeskanzler« gehen: Es sei vielleicht ein tolles Gefühl, bekannter zu sein als »Bernd das Brot«. Allerdings sei schon das Gehalt ein Witz, und jeden Euro müsse man dem Volk zeigen. Der Tagesablauf werde von einem Terminkalender bestimmt, der voller sei als Harald Juhnke, Meetings, Briefings und alles Mögliche auf -ing bestimmten den Tag. Eine Amtsperiode werde so zu 1.678 Hundejahren. Dabei sei das Volk eine Ansammlung von Meckerpötten, jeder könne es besser. Mit verzweifelten Aktionen könne man wenig retten: »Das ist ein einsamer Job.« Das politische Kabarett und die Karikaturisten lebten vom Bundeskanzler, der nicht einmal so ernst genommen werde wie der Babyschlumpf. »Als Bundeskanzler sind Sie ein wandelnder Witz«, warnte Richter. Im Sinne der Demokratie müsse man sich mit »Vollspacken« arrangieren. Man werde zum Attentatsziel, in jeder Sachertorte könne eine Bombe versteckt sein, fühle sich permanent überfordert und abhängig – eigentlich könne man sich nur hinter der »Riesenarschkarte« verschanzen.

Und nicht viel besser habe es ein Lotto-König. Einen Sportwagen könne man damit kaufen und einen richtigen Stürmer für die Einbecker SVG, aber die Nachricht vom Reichtum werde sich schneller ausbreiten als Herpes. Säcke voller Bettel- und Drohbriefe kämen ins Haus, das Leben werde anstrengend. Jeder gebe Tipps, wie man die Millionen gut anlegen könne, dabei hätten alle nur eins im Sinn: den eigenen Profit. Man werde misstrauisch und einsam, und die Sammlung antiker griechischer Spucknäpfe sei doch eigentlich nichts gegen einen schmutzigen Witz unter den Kollegen der Frühschicht. Traurig werde das Leben in sozialer Verwahrlosung. Jeder wolle etwas abhaben vom Geld. Wenn man dem nicht folge, sei man der Geizhals mit dem »Igel in der Tasche«, gebe man etwas aus, sei man der »arrogante Kohle-Fuzzi«. Man fühle sich nutzlos, matt, marode, und wenn man aussteigen wolle und das Geld verschenke, sei man der Depp. »Ich habe Sie gewarnt«, so Lou Richter zum Lottokönig-Traum.

Der Preis für einen Traum sei höher als das, was man kriege, schlug er nach heiteren Einlagen den Bogen zum ernsthafen Ratschlag:  »Ihr Leben so ist besser als das, was Sie sich vorstellen«, machte er Mut, zum eigenen Leben zu stehen – eine Bilanz, die mit viel Beifall quittiert wurde.

Als Duo »jazz affairs« setzten Birgit und Karten von Lüpke aus Bovenden vielseitige musikalische Akzente. Die Sängerin und ihr Begleiter am Keyboard gingen sowohl in die 30er und 40er Jahre, aber auch Blues, Boogie und Pop sorgten für akustische Glanzlichter rund ums Menü. Die Gäste verbrachten bei Unterhaltung, Essen und Gesprächen einen schönen Abend, der durchaus mehr Besucher verdient hätte.ek